„Lourdes“ von Jessica Hausner
Der Abgrund hinter dem Wunder
„Lourdes“ von Jessica Hausner
Fünf Millionen Pilger empfängt das kleine französische Örtchen Lourdes jährlich. Dem Ort, an welchem 1858 die Mutter Gottes erschienen sein soll, werden heilende Kräfte nachgesagt. Auch Christine, die Heldin von Hausners Film, kommt in der Hoffnung nach Lourdes, von ihrer Krankheit erlöst zu werden. Doch Wunder haben die Eigenschaft, komplexer zu sein als die Vorstellung, die so mancher Gläubiger von ihnen hat.
Von Lukas Hunziker
Christine leidet an multipler Sklerose, welche sie an den Rollstuhl fesselt. Ihre Hände sind zu Fäusten geballt, wirklich bewegen kann sie nur ihren Kopf. Obwohl sie nicht wirklich an Wunder glaubt, begleitet sie eine Gruppe von Senioren und körperlich Behinderter auf eine Pilgerreise nach Lourdes. Hoffnungen auf körperliche Heilung werden den Reisenden aber keine gemacht; für die Seele soll am Wallfahrtsort gebetet werden, nicht für den Körper. Natürlich machen die Geschichten von in Lourdes genesenen Kranken dennoch die Runde, und die Pilger debattieren darüber, wie man seine Chancen auf ein Wunder erhöhen kann.
Wunder auf wackligen Beinen
Als Christine beobachtet, wie nach dem Besuch der Grotte die behinderte Tochter einer Pilgerin plötzlich aus ihrer Starre erwacht und mit Tränen in den Augen ihre Mutter anschaut, scheint das Wunder geschehen. Christine lächelt den beiden zu, doch ihr Blick zeigt ebenso die Enttäuschung, dass jemand anderem eines der seltenen Wunder widerfahren ist, und Gott sich wohl kaum ein zweites Mal erbarmen würde. Doch sie irrt sich, denn als sich eine alte Dame ihrer annimmt und mit ihr an einem freien Nachmittag die Grotte ein zweites Mal besucht, kann Christine plötzlich ihre Arme heben und den Felsen berühren. In derselben Nacht vermag sie sich aufzurichten und erste, vorsichtige Schritte zu gehen.

Obwohl die Ärzte vor überstürzter Freude warnen – es wäre nicht das erste Beispiel, bei welchem die Besserung nur vorübergehend ist – sind die Pilger überzeugt: in Lourdes ist erneut ein Wunder geschehen. Doch es scheint, als sei mehr als ein Wunder in so kurzer Zeit wirklich nicht möglich, denn als Christine das behinderte Mädchen und seine Mutter wiedersieht, muss sie feststellen, dass dieses wieder in seine Starre gefallen ist. Der Blick der Mutter ist unmissverständlich; sie gibt Christine die Schuld am Rückfall ihrer Tochter. Und dies ist nicht der einzige Abgrund, welcher sich nach der vermeintlichen Wunderheilung auftut.
Genial zweideutig
„Lourdes“ bleibt dem Zuschauer zum Schluss die Antwort schuldig, ob Christine nun durch ein Wunder geheilt wurde, oder ob die Verbesserung ihre Zustandes nur eine vorübergehende Laune der Natur war. Jessica Hausner lässt es einem frei, in ihrem Film eine bitterböse Kritik am Wunderglauben zu sehen, oder nur eine Illustration dafür, dass Gottes Wege eben unergründlich sind. So oder so ist ihr mit „Lourdes“ ein schlicht brillanter Film über den Widersprich des christlichen Gottesbilds gelungen. Ein Pilger bringt das Problem auf den Punkt, als er in einer Schlüsselszene einen Pfarrer mit der Behauptung konfrontiert, Gotte könne nicht allmächtig und barmherzig sein, denn dann würde es Lourdes nicht geben.
Ausstattung
Die DVD enthält neben dem Kinotrailer leider kein Bonusmaterial. Der Film ist nur in französischer Fassung mit deutschen Untertiteln enthalten.
Seit dem 14. Oktober 2010 im Handel.
Originaltitel: Lourdes (Österreich 2009)
Regie: Jessica Hausner
Darsteller: Sylvie Testud, Bruno Todeschini, Léa Seydoux, Elina Löwensohn
Genre: Drama
Dauer: 95 Minuten
Bildformat: 1,85:1
Sprache: Französisch
Untertitel: Deutsch
Audio: Dolby Digital 5.1
Bonusmaterial: Trailer
Vertrieb: Warner
Im Netz
Trailer und offizielle Seite