„Plastic Planet“ von Werner Boote

Unser täglich Gift

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Mit einer einfachen Frage reise der österreichische Filmemacher Werner Boote um die ganze Welt: Ist Plastik ein Segen oder ein Fluch? „Plastic Planet“, ein ebenso hart recherchierter wie unterhaltsam inszenierter Dokumentarfilm, zeigt, welche Antworten er darauf gefunden hat.

Von Lukas Hunziker

Während die Zeitalter am Anfang der Menschheitsgeschichte nach Stein und Metallen benannt wurden, ist es heute ein anderes Material, welches unsere Zivilisation definiert: Plastik. Ohne ihn wäre unser Leben kaum denkbar. Es gibt zwar Produkte, die nicht aus Plastik bestehen, aber die meisten davon sind zumindest darin verpackt. Werner Boote geht es denn auch nicht darum, Plastik an sich zu verteufeln, sondern die Lügen aufzudecken, welche uns darüber von der Plastikindustrie aufgetischt werden. Trotzdem ist das Resultat erschreckend, und lässt uns Plastik mit einem Blick tiefer Skepsis betrachten. Wer lieber unbeschwert als aufgeklärt lebt, sollte also weder den Film schauen noch diese Rezension weiterlesen.

Giftiges Badespielzeug
Eine der viele Stationen auf Werner Bootes Reise um die Welt ist Shanghai, wo man ihn, nicht wie in Europa, eine Plastikfabrik besuchen lässt. Stolz zeigt man ihm die Plastiktücher, aus welchen unter anderem aufblasbares Badespielzeug für Kinder produziert werden. Als Werbegeschenk erhält er auch gleich einen aufblasbaren Plastikglobus, der dem Film wohl auch seinen Titel gab. Als Boote seine chinesische Führerin jedoch fragt, ob er auch die Chemielabors besichtigen könne, wo der Plastik hergestellt wird, wird ihm dies verweigert. Das Rezept sei ein Geheimnis, so die Begründung. Bis dahin scheint die nette Führerin noch geglaubt zu haben, Boote sei ein Kunde, welcher die Besichtigung für seine Firma mit der Kamera festhält. Als ihr klar wird, dass der stämmige Europäer eine Dokumentation über Plastik dreht, erhält sie die Anweisung, den Herren so schnell wie möglich herauszukomplimentieren.

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Boote lässt später den Plastikglobus chemisch analysieren, und erfährt, dass er giftige Weichmacher enthält, die mit der Zeit freigesetzt würden. Dass dies nicht nur bei chinesischen Plastikfirmen keine Seltenheit ist, wird Boote aber bald klar. Plastikhersteller auf der ganzen Welt deklarieren die Inhaltsstoffe ihrer Produkte nämlich grundsätzlich nicht – auch nicht den Konzernen, welchen sie den Plastik verkaufen. Woraus also z.B. eine Coca Cola PET-Flasche besteht, wissen nur die Hersteller des Plastiks.

Plastik im Hormonhaushalt
Plastik ist aber nicht nur gefährlich, weil er sich über die Zeit zersetzt und giftige Inhaltsstoffe freigibt. Noch weit bedenklicher ist, dass ein Grossteil des weltweit weggeworfenen Plastik im Meer und damit früher oder später in unserem Trinkwasser landet. Werner Boote begleitet im Film ein Forschungsteam, welches im Meer nach Plastik fischt. Das Netz muss nicht lange ausgeworfen werden, um Hunderte von Plastikteilen herauszufischen, mikroskopisch kleine und beachtlich grosse. Die kleinsten nehmen wir täglich über unser Trinkwasser auf, ohne zu wissen, dass gewisse Plastiken krebserregend sind oder unfruchtbar machen. Plastik fördert unter anderem nämlich die Östrogenproduktion, was bei Fischen dazu führt, dass männliche Exemplare zu Zwittern werden.

Mit John Taylor, dem ehemaligen Präsidenten von Plastics Europe, holt sich Boote auch einen Bösewicht vor die Kamera. Dieser versucht charmant, die Vorbehalte des Filmemachers gegen die Plastikindustrie zu zerstreuen, und preist Plastik als das wertvollste und nützlichste Material aller Zeiten. Auf die gesundheitlichen Risiken angesprochen, räumt er lediglich ein, es gäbe einen Optimierungsbedarf bei gewissen Herstellern. Einen zweiten Termin, zu welchem Boote mit einem ganzen Reisekoffer voller wissenschaftlicher Studien, welche die Schädlichkeit von Plastik beweisen, erscheinen will, bekommt er nicht. Als der Filmemacher schliesslich bei einem Kongress aufkreuzt, flüchtet Taylor regelrecht vor ihm und lässt ihn von den Sicherheitskräften wegweisen.

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Obwohl Werner Boote wie Erwin Wagenhofer (der mit „We feed the World“ und „Let’s make Money“ wohl die besten europäischen Wirtschaftsdokus des vergangenen Jahrzehnts gedreht hat) aus Österreich kommt, erinnert „Plastic Planet“ mehr an die Filme Michael Moores. Anders als Wagenhofer scheut sich Boote nicht, seinen gut recherchierten und informativen Film mit Archivaufnahmen, Trickfilmsequenzen und einer ganz persönlichen Perspektive aufzupeppen. Dies macht „Plastic Planet“ kurzweilig, ohne dass er dabei an Ernsthaftigkeit verlieren würde. Boote inszeniert sich als Durchschnittskonsumenten, der endlich mal wissen will, was ihm einer der grössten Industriezweige der Erde verschweigt. In einer abschliessenden Aktion, die ebenfalls an Michael Moore erinnert, klebt Boote auf sämtliche Produkte eines Supermarktes Kleber mit Aufschriften „Plastic kills“. Halb geklaut, aber dennoch gelungen.

Plastik ist böse – und wie weiter?
Für den Zuschauer bleibt jedoch am Schluss die Frage, was er denn nun tun soll gegen die Plastikgiganten, die für ein bisschen mehr Profit riskieren, dass die Weltmeere auf Jahrhunderte hinaus verschmutzt sind und wir beim Wassertrinken krebserregende und hormonverändernde Stoffe zu uns nehmen. Natürlich können wir weniger Produkte aus Plastik kaufen, aber um das Problem schon nur längerfristig zu lösen, müssten sich sämtliche Plastikhersteller der Welt verpflichten, keine giftigen Stoffe in ihrer Produktion mehr zu verwenden. Da dies wohl kaum geschehen wir, müsste eine Alternativen zu Plastik her. Eine solche gibt es zwar, aber das Material dafür ist Biomasse, welche wertvolle Agrarfläche in Anspruch nimmt. Plastik damit zu ersetzen ist also schlicht undenkbar.

Man darf sich daher wohl zurecht fragen, ob es nicht einfacher ist, darauf zu warten, dass uns das Erdöl ausgeht, was wohl keine zwanzig Jahre mehr dauern dürfte. Denn dann ist eh Schluss mit Plastik. Und mal ganz ehrlich, Unfruchtbarkeit mag für den Einzelnen schrecklich sein, aber im Hinblick darauf, dass die Übervölkerung unseres Planeten das schlimmste der auf uns zukommenden Probleme ist, hat das Ganze vielleicht auch seine gute Seite. Denn dass der Mensch sich selbst ausrottet, wäre definitiv das beste, was unserem Planeten seit der letzten Eiszeit geschehen ist.

Ausstattung
„Plastic Planet“ hat einiges an Bonusmaterial zu bieten. Zu einer Reihe nicht verwendeter Szenen gesellt sich eine kurze Doku über eine Familie, welche versucht, auf Plastik zu verzichten.

 

Seit dem 16. September 2010 im Handel.

Originaltitel: Plastic Planet (Österreich 2009)
Regie: Werner Boote
Darsteller: Werner Boote, Jon Taylor, Theo Colborn, Margot Wallström
Genre: Dokumentation
Dauer: 95 Minuten
Bildformat: 16:9
Sprache: Deutsch
Audio: Dolby Digital 5.1
Bonusmaterial: Deleted Scenes, Das Experiment zum Film, Das Buch zum Film, Trailer, Teaser
Vertrieb: Praesens Film

Im Netz
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Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

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