nahaufnahmen.ch-Filmadvent: 19. Dezember 2010
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„Mother“ von Bong Joon-ho

Aus dem 19. Türchen duftet es wunderbar anheimelnd hervor – der Durft von Plätzchen und Süssigkeiten lässt Erinnerungen an unsere geliebte Mutter aufkommen. Doch Vorsicht, manchmal sind Erinnerungen auch trügerisch…
Vor einiger Zeit schreib ich an dieser Stelle einmal über Bong Joon-ho, das Bewundernswerte an seinen Filmen sei es, daß er sich um Unterscheidungen wie „U“ und „E“, Genre- und Arthouse-Kino keinen Deut scheren müsse – sein Kino „sei Genre-Kino und als solches weder von transzendenter noch dekonstruktivistischer Natur. Es gibt nichts zu überwinden oder kaputt zu machen, allenfalls etwas anzureichern und zu veredeln, bis die Croisette ruft. Bong wird nicht unter Arthouse-Verdacht gestellt, seine Filme sind komplex und vielschichtig, aber stets – man ist versucht zu sagen: verblüffend – zugänglich.“
Damals war die Beweislage für diese Behauptung noch etwas dürftig; Bong hatte erst drei Langfilme gedreht, von denen nur zwei – „Memories of Murder“ und „Host“ – bei uns ohne Weiteres zugänglich sind. Im letzten Jahr (erst in diesem bei uns, und einmal mehr nur auf DVD) ist „Mother“ hinzu gekommen, und die Behauptung steht felsenfest: Bong Jon-hoo dreht herausragende, faszinierende Filme, in Genres und um Genres herum und beweist, das in diesem Bereich schlicht alles möglich ist.
Der Film erinnert oberflächlich an „Memories of Murder“ – wieder ist er im weitesten Sinn ein Thriller, und wieder gibt ihm Bong seinen ureigenen Dreh. Als es einer koreanischen Provinzstadt zu einem Mord an einem Schulmädchen kommt und der geistig behinderte Bin Sohn (Yoon Do-joon) als Hauptverdächtiger festgenommen wird, nimmt es seine Mutter in die eigenen Hände, den wahren Täter zu finden. Es ist diese zentrale Figur, die das Genre-Rüstwerk weniger unterwandert als bereichert: Sie findet im gesamten Film keine andere Bezeichnung als ebendiese, „Mutter“ – ob sie es ist, die sich selbst auf diese Rolle reduziert oder der Regisseur und Drehbuchschreiber, bleibt offen. Immerhin zeigt sich im Verlauf des Films, daß das Wort „reduziert“ ohnehin verfehlt ist, demonstriert der Film doch gerade, wie komplex und alleinnehmend diese Rolle sein kann. Bongs „Mutter“ ist eine faszinierende Figur, nicht zuletzt aufgrund ihrer Besetzung durch Hye-ja Kim – eine bewußte Irritation Bongs, zumindest für koreanische Sehgewohnheiten, denen Kim nur als, und hier tatsächlich eindimensionale, Übermutter in einer Soap-Opera bekannt war.
Von Ambiguitäten und Doppelbödigkeit ist auch der Plot geprägt, der nur anfänglich den Eindruck macht, ein klassische Who-dunnit zu sein; in wiederholten Kehrwendungen gerät nicht nur der Zuschauer, sondern auch die „Heldin“ zunehmend in Zweifel darüber, ob sich der Fall überhaupt noch aufklären läßt: Verzweiflung und Frustration angesichts der vordergründig offensichtlichen, aber unabwendbaren Ungerechtigkeit – ein Thema, das Bong bereits in „Memories of Murder“ beschäftigt hat und auch hier einen Anklang von Sozialkritik erlaubt. Doch auch hier ist nicht alles wie es scheint. Vielleicht…