nahaufnahmen.ch-Filmadvent: 24. Dezember 2010
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„The Social Network“ von David Fincher
Das Christkind ist eine etwas dubiose Gestalt, die über Leichen (zumindest aber Freunde) geht – und letztlich doch kein so übler Kerl ist. Der beste des Film des Jahres? Vielleicht. Einer der wichtigsten? Ohne Zweifel.
Und dann kommt man irgendwie eben doch nicht an Finchers Film vorbei. Was durchaus eine Überraschung war – dass der Film kommen würde, war bekannt; dennoch hätte ich nicht damit gerechnet, dass mich der Trailer derart mitnehmen würde. Bei allem, was hier im Folgenden noch stehen wird, und im vollem Bewusstsein der Tatsache, dass der Film diesen Ehrenplatz im Adventskalender innehat, möchte ich behaupten: Der Trailer ist nicht nur bei weitem der beste des Jahres, sondern auch das Beste an „The Social Network“.
Natürlich wurde viel über den Film geschrieben (schliesslich toppt er so ziemlich jede Jahresbesten-Liste zumindest der US-Kritik), und eine der vermutlich häufigsten Beanstandungen ist diese: Der Film ist eine vergeudete Chance, weil er uns letztlich nichts zeigt von der Dynamik des Sozialen Netzwerks selbst und den Mechanismen und Prozessen, die es im Innersten zusammen halten. Das ist korrekt. Und es ist dieser Punkt, in dem der Trailer tatsächlich den Film übertrifft: Die wahllos anmutende Collage von vermutlich authentischen Selbstdarstellungen in Schrift und Bild seitens zufälliger facebook-User, unterlegt mit einer Chor-Version von Radioheads „Creep“, vermittelt tatsächlich ein authentisches Bild der Nutzung des sozialen Netzwerks. Der Film schafft dies nicht, ja er versucht es nicht einmal.
Allerdings kann man diesen Vorwurf mit einer einzigen Ziffer entkräften: 500’000’000 – die Zahl der facebook-Accounts. Mit anderen Worten: Wer dort im Kinosaal vor Jesse Eisenberg alias Marc Zuckerberg sitzt, weiss mit grösster Wahrscheinlichkeit selbst, wie er/sie bemerkt hat, dass immer mehr Freude immer häufiger nur noch kommunizieren über diese eine Plattform, hat den kurzen Adrenalinschub selbst erfahren, den der temporäre Wiedereintritt eines entschwunden geglaubten Menschen ins eigene Leben mit sich bringt, hat vermutlich in grenz-voyeuristischer Art im Akkord durch die Bilder von Personen geklickt, die nur noch als verpasste Chance in der eigenen Gegenwart Platz haben. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hat er/sie auch bereits im betrunkenen Zustand Kommentare oder Nachrichten versandt, die kein Back-Button wieder rückgängig machen kann, und es besteht eine reale Chance, dass er/sie auch mit dem Gedanken oder der Tat experimentiert hat, auszusteigen aus dem ganzen Scheiss, nur um zu bemerken, dass es einem beinahe unheimlich ist, wie schwer einem dieser Schritt letztlich fällt.
So gesehen: Ja, David Fincher und Aaron Sorkin haben nicht so sehr einen Film über ein soziales Phänomen gemacht als über die Reaktualisierung des American Dream im Internet-Zeitalter. Und dieser Traum kennt nur einen Modus der Erzählung: Den über die einzelne Person, die durch einen Hauch Genie und viel Arbeit den Status eines Übermenschen erreicht. Wobei der Übermenschen-Status immer auch in barer Münze gemessen wird. Die Vergleiche mit „Citizen Kane“ sind insofern (auch wenn hier gewisse Kritiker „Sakrileg“ brüllen) durchaus angebracht. Mit Wells Film verbindet „The Social Network“ nicht zuletzt die vollendete technische Fertigkeit – auf einer handwerklichen Ebene ist dieser Film beinahe makellos. Fincher dämpft die sich ins Bild drängende Brillanz der ersten Filme weiter ab und schafft, gerade in den Anfangsszenen in Harvard eine Optik, die so unverwechselbar wie präzise unterkühlt ist – er setzt die jüngste Vergangenheit als Historien-Film in Szene und macht aus dem Elite-College das, was es in der Vorstellung von uns Normalos ohnehin ist: Einen Ort, der surreal wirkt, paradiesisch, voller brillanter, schöner, junger Menschen, aber nicht so abstrakt, dass er als Traum nicht vermeintlich gerade knapp ausserhalb der eigenen Reichweite läge. Die Präsenz des Ortes ist derart stark, dass er selbst in den endlosen Schuss-Gegenschuss-Dialogen aus der Feder Aaron Sorkins im Hintergrund immer greifbar bleibt. Und natürlich sind da diese Dialoge selbst, denen es zugleich gelingt, die Zuschauer während zwei Stunden zu fesseln und die Sachbuch-Vorlage „The Accidental Billionaires“immerhin nachvollziehbar auf den Punkt zu bringen.
All das – und doch beschlich einen ein seltsames Gefühl, als man direkt im Anschluss an den Kinobesuch heimging und sich, natürlich, einloggte auf facebook. Eine Mischung aus euphorischem Grössenwahn, der Illusion, man könne ALLES erreichen, wenn man es nur versuche, und einem nagenden Zweifel daran, dass dieses Gefühl tatsächlich erstrebenswert, oder eher noch: authentisch ist. Auch wenn man „The Social Network“ auf technischer Ebene nichts vorwerfen kann, so scheint doch immerhin ein ideologischer Vorwurf nicht ganz aus der Luft gegriffen: Marc Zuckerberg kommt im Film letztlich verdammt gut weg. Spätestens mit der Einführung von Justin Timberlakes Sean Parker-Figur wird die knallharte Geschäftspolitik, die Profit über so mundäne Dinge wie Freundschaft oder Liebe stellt, als Einflüsterung und ertragbares Übel gekennzeichnet: Irgendwie scheint es durchaus akzeptabel, ein wenig auf der Soll-Seite der Freundschaft zu sein, wenn man daneben rauschende Parties mit Über-Models feiern kann – zumindest solang man Mitte 20 ist, und, so suggeriert die Schlussszene, im Herzen eigentlich doch kein so übler Kerl. Zu Zuckerbergs Läuterung kommt es schon altersbedingt nie, und sein Rosebud wird vermutlich noch für einzige Jahrzehnte auf dem Estrich vor sich hin modern.
„A Capitalist Porn Fantasy“ nannten die schärften Kritiker den Film deshalb nicht zu Unrecht. Letztlich ist aber gerade die Tatsache, dass er damit durchkommt und zugleich tausende von Zuschauern inspiriert, der vielleicht beste Grund dafür, ihm zeitdiagnostisches Potential zu attestieren und ihn zum wichtigsten Film des Jahres zu küren.