Angela S. Choi: „Hello Kitty muss sterben“

Hello Kitty hat keine Krallen

Angela S. Choi: „Hello Kitty muss sterben“ (Roman)

Die junge, intelligente Fiona Yu will keine Hello Kitty werden. Doch trotz sechsstelligem Gehalt und der Aussicht auf eine Karriere als Juristin merkt sie rasch: Familie und Leutekultur lassen sich nicht so einfach abschütteln. – In ihrem Debütroman „Hello Kitty muss sterben“ zündet Angela S. Choi ein Feuerwerk an Sarkasmus, Witz und beissender Gesellschaftskritik. Trauen Sie nie einem rosa Cover!

Von Sandra Despont.

hellokittymusssterbenDie chinesischstämmige Fiona Yu steckt irgendwo im Niemandsland zwischen zwei Kulturen fest. Während sie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten als Tochter eines Waschsalonbesitzers an einer Universität studiert und darauf eine Karriere als amerikanische Anwältin startet, wohnt sie immer noch bei ihren Eltern, hilft an den Wochenenden im elterlichen Waschsalon und geht widerstrebend auf die Dates, die ihr Vater für sie organisiert. Doch Fiona denkt nicht daran, bis an ihr Lebensende eine brave Hello Kitty zu sein. Sie will Augenbrauen, um wütend blicken, und Reisszähne, um Finger abbeissen und jemandem sagen zu können, er solle seine Mutter ficken gehen.

Kampfansage an das Ideal der gefügigen Frau

In einer Welt, in der sich Frauen mit hohen Stöckelschuhen und ständigem Hunger auf dem Weg zum Idealgewicht zu quälen haben, in der sich schöne Frauen mit reichen Männern in grenzenlosem Egoismus vereinigen, in der chinesische Mütter in Amerika auch ihre Töchter via Ehe dazu bringen wollen, bei einem Mann um Billigschuhe und Discountklamotten betteln zu müssen, weigert sich Fiona, genauso unglücklich und versnobt zu werden wie ihre Mutter, ihre Cousine und all die anderen Frauen, die sanftmütige Hello Kittys geben, in der Hoffnung, einem Mann zu gefallen und nicht allzu viele Schläge zu kassieren. Fionas Kampfansage an das Ideal der gefügigen Frau fällt alles andere als samtpfotig aus. So hilflos sie sich auch angesichts der Forderungen ihres Vaters fühlt, so rücksichtslos geht sie vor, als sie erst einmal erkannt hat, dass man notfalls mit Gewalt das eigene Leben geraderücken muss. Mit Flunies, Erdnüssen und einem rasch arbeitenden Verstand bewaffnet, setzt sie der verqueren chinesischen Dating-Logik und der absurden Leutekultur ihre Krallen entgegen.

Blonde und Hübsche sterben früher

Ihr Lehrmeister darin, wie man es anstellt, selbst ein bisschen von dem Spass abzukriegen, der für weisse Jungs reserviert zu sein scheint, ist der Chirurg, den sie für eine Hymenalrekonstruktion engagieren will und der sich als ihr alter Jugendfreund Sean entpuppt. Dieser zeigte Fi in der gemeinsamen Schulzeit, wie man sich gegen Pausenbrot-Verdrescher wehren kann, steckte die Haare eines Mädchens in Brand, weil ihn dieses als schwul bezeichnet hatte, und war dann in einer Besserungsanstalt verschwunden. Als Fiona ihm zufällig wiederbegegnet, ist er ein anerkannter Chirurg und um einige Grade zynischer und rücksichtsloser geworden. Doch auch wenn Fiona recht schnell merkt, dass Sean seine Wochenenden damit verbringt, auf seine ganz spezielle Art die Gerechtigkeit in der Welt wiederherzustellen, fühlt sie sich doch zu ihm hingezogen. Dass besonders die Blonden und Hübschen früher sterben müssen als alle anderen, leuchtet ihr unmittelbar ein. Nicht umsonst hat sie ihren Bildschirmschoner mit Porträts der gefürchtetsten Psychotikern und Massenmördern der Geschichte Amerikas geschmückt.

Das Recht der Frau auf die Louis-Vuitton-Tasche

„Hello Kitty muss sterben“ zeigt eine Frau, die sich gegen die Männerwelt und die vordergründige Wohlanständigkeit der amerikanischen Gesellschaft auflehnt, deren Konsumwut gleichzeitig überhöht und parodiert. Wer auf der Suche ist nach starken Frauenfiguren, wird zuerst einmal Freude haben an dieser aufmüpfigen Hello-Kitty-Gegnerin. So bissig, so sarkastisch war selten eine Frauenfigur. Doch auch wenn Fiona für ihr Selbstbestimmungsrecht als Frau kämpft, ist sie ist keine Vertreterin einer positiv verstandenen Emanzipation. Sie kämpft keineswegs für die hohen Ideale der Gleichstellung, sie kämpft für das Recht darauf, keine Kinder zu kriegen, die einem die Figur kaputtmachen und einen so arm fressen, dass frau sich keine Louis-Vuitton-Tasche mehr leisten kann. Fiona ist Verkörperung und Untergang des amerikanischen Traums. In ihr finden sich alle Scheinwerte in gesteigertem Masse vor, in ihrer Gedankenwelt verkehrt sich alles Erstrebenswerte zur Groteske, in ihr zeigt sich, dass die fieberhafte Jagd nach Materiellem letztendlich in Hoffnungslosigkeit, in Verwirrtheit, in einem Zustand des Wahnsinns endet. Das liest sich dank der lockeren Schreibe Angela S. Chois locker flockig weg. Fionas Entwicklung von einem leicht rebellischen chinesischen Mädchen zur Aussenseiterin mit soziopathischen Neigungen ist so vergnüglich, dass auch Leserinnen, die normalerweise wenig Freude an Schrillem haben, hier auf ihre Kosten kommen.

Bösartig und witzig

Angela S. Choi hat mit ihrem Debütroman ein bösartiges Buch geschrieben, das unverblümt intimste Gedanken seiner Heldin lüftet, das bissig Kritik an der amerikanischen Gesellschaft (und an der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft überhaupt) übt, das die Ideale der Gutmenschen gnadenlos desavouiert, das allem Geschwätz um Nächstenliebe blanke Gewalt und pure Destruktivität gegenüberstellt. Dreist, präzise und schonungslos ist die Sprache, spritzig und erfrischend sind die Dialoge. Manchmal geht Choi mit „Hello Kitty muss sterben“ an die Grenze des Erträglichen, sowohl sprachlich als auch gedanklich. Die Konsequenz, mit der sie ihre Anti-Kitty Fiona aufbaut, der sprachliche Witz und die Originalität dieses Romans, der sich ebensowenig in den Mainstream der bürgerlichen Literatur einpasst, wie sich Fiona einem feisten chinesischen Ehemann, der von ihr bloss Kochen, Wäsche waschen und Kinderkriegen verlangt, unterwerfen mag, lässt einen hoffen, dass es Angela S. Choi auch in nächsten Werken gelingt, die alten Mottenkisten der selbstzufriedenen Denker gründlich durcheinanderzuwirbeln.


Titel: Hello Kitty muss sterben
Autorin: Angela S. Choi
Übersetzerin: Ute Brammertz
Verlag: Luchterhand
Seiten: 288
Richtpreis: CHF 27.50

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