„Manipulation“ von Pascal Verdosci
Wenn Lügen wahrer als die Wahrheit sind
„Manipulation“ von Pascal Verdosci
1956, Kalter Krieg. Der Schweizer Staatsschutz überwacht zehn Prozent der eigenen Bevölkerung aus Angst vor kommunistischer Unterwanderung, es existieren Pläne zum Bau einer Atombombe. Dass in diesem Kontext der Begriff der Wahrheit zu einer von politischen Interessen vereinnahmten Sache wird, muss Spezialagent Rappold erkennen, als er den undurchschaubaren PR-Berater Harry Wind verhört. Ein intelligenter Thriller über die Macht der Lüge, wobei mit dem Setting im Kalten Krieg ein dunkles Kapitel der Schweizer Politik aufgeschlagen wird.
Von Simon Wottreng.
Die Fotos, welche Urs Rappold von Dr. Harry Wind zugespielt worden sind, scheinen eindeutig: Radioreporter Eiselin ist dabei zu sehen, wie er dem russischen Verbindungsoffizier Rutschenko in Moskau einen Umschlag überreicht. Er wird wegen Spionage festgenommen. Dem Druck der Haft hält er jedoch nicht stand und nimmt sich das Leben.
Zweifel
Als im Rahmen einer Observierung entstandene Filmaufnahmen auftauchen, die den Russen mit Harry Wind in Basel zeigen, rollt Rappold den vermeintlich abgeschlossenen Fall neu auf und lässt den PR-Berater verhaften. Weshalb hat ihm letzterer jene kompromittierenden Fotos gegeben? Sind die Fotos gefälscht? War Eiselin womöglich unschuldig? Je mehr Nachforschungen der erfahrene Beamte betreibt, desto undurchsichtiger wird der Fall. Erschwerend kommt hinzu, dass der angesehene Wind Beziehungen zu höchsten Stellen unterhält und in Militärkreisen der Unmut über die Verhaftung einer derart respektablen Person wächst. Glaubte Rappold zu Beginn noch, im Schnellverfahren einen Kommunisten zur Strecke bringen zu können, findet er sich plötzlich selbst inmitten eines politischen Komplotts.
Freund und Feind
„Manipulation“ basiert auf Walter Matthias Diggelmanns Roman „Das Verhör des Harry Wind“ aus dem Jahre 1962. Ungleich der literarischen Vorlage ist der Film ein Kammerspiel der beiden Hauptdarsteller. Klaus Maria Brandauer, bekannt aus „Mephisto“, „Out of Africa“ oder als Bösewicht in „James Bond: Never Say Never Again“, verleiht der Rolle des Ermittlers mit wenigen Worten einen faszinierenden Charakter: Der vaterlandstreue Beamte ist ein überzeugter Verteidiger der Wahrheit. Kurz vor seiner Pensionierung wird er mit der Tatsache konfrontiert, dass das System, welchem er jahrelang gedient hat, keine Bastion der Wahrheit und Rechtschaffenheit, sondern ein von Partikularinteressen durchsetzter und von Lügen zerfressener Apparat ist, dessen Funktionäre sich genauso der Mittel der Manipulation und Erpressung bedienen, wie es der Feind tut. Sein Glaube an die Wahrheit wird tief erschüttert.

Ihm gegenüber steht der gewiefte Harry Wind, gespielt von Sebastian Koch („Das Leben der Anderen“). Der Rolle des notorischen Manipulatoren könnte Koch durchaus mehr Ausdruck verleihen; Harrys kriminelle Durchtriebenheit droht in seiner strategischen Coolness während des Verhörs unterzugehen. Zur Etablierung von mehr Charaktertiefe gibt das Drehbuch aber wahrlich wenig Raum: Einzig die Szene in der nächtlichen Zelle zeigt Harry von einer persönlichen Seite, doch lässt sie kaum genug Zeit, um seinen Albtraum als schlechtes Gewissen zu interpretieren.
An der Konzentration der Handlungsorte auf die Büroräumlichkeiten ist hingegen nichts zu kritisieren. Diese schafft einen intimen Rahmen, in welchem der Fokus ganz auf dem Schauspiel der beiden Hauptdarsteller liegt und der kleinsten Mimik grosse Aufmerksamkeit beschieden ist. Zur dichten Atmosphäre tragen die Feldzüge der Requisiteure durch Museen und Sammlungen bei, deren Resultat eine veritable Zeitreise in die 1950er Jahre ist.
Sprache
Nach den ersten paar Worten des Protagonisten stellt sich dem Publikum eine Frage, die paradigmatisch ist für das gegenwärtige Schweizer Filmschaffen: Warum nicht auf Schweizerdeutsch? In Folge einer Welle von Mundart gesprochenen Filmen wie „Mein Name ist Eugen“ oder „Die Herbstzeitlosen“ hat sich die Praxis verbreitet, einige oder gleich alle Charaktere hochdeutsch sprechen zu lassen. Fällt dies beispielsweise in einer Liebeskomödie weniger auf, so ist gesprochenes Schriftdeutsch in einem Schweizer Historienfilm frappant. Möglich, dass auf Schweizerdeutsch aber keine derart hochkarätige Besetzung zustande gekommen wäre.
An einem gibt es nichts zu rütteln: „Manipulation“ ist grosses Kino. Und ungeachtet ihres historischen Bezugs bleibt die Thematik hochaktuell; erst kürzlich hat uns Wikileaks wieder einmal eine Ahnung davon gegeben, was der Öffentlichkeit verschwiegen werden sollte. Schauen wir besser zwei Mal hin, wer was weshalb für wahr erklärt.
Seit dem 3. Februar 2011 im Kino.
Originaltitel: „Manipulation“ (Schweiz 2010)
Regie: Pascal Verdosci
Darsteller: Klaus Maria Brandauer, Sebastian Koch, Thomas Douglas
Genre: Thriller
Dauer: 90 Minuten
CH-Verleih: Ascot Elite
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