Nick Hobbs, Duncan Rownes | Tanz 5 | Luzerner Theater

Flüchtige Begegnungen, Begrenzung und Ekstase

Das Luzerner Theater zeigt einen Tanzabend mit Stücken der beiden englischen Choreographen Nick Hobbs und Duncan Rownes. Beide setzen auf eine kühle, reduzierte Bühnenästhetik, eine präzise und klare Bewegungssprache und eine ausgeklügelte Lichtregie.


Mit den beiden englischen Choreografen Nick Hobbs und Duncan Rownes konnte das Luzerner Theater zwei namhafte Vertreter des zeitgenössischen Tanzes für eine Produktion verpflichten. Nach der letzten Produktion, dem Handlungsballett „Ein Sommernachtstraum“, inszeniert von Jochen Heckmann, begeistert “Tanz Luzerner Theater“ nun mit drei abstrakten Choreografien. Einmal mehr überzeugt das junge Ensemble durch Präzision und technische Virtuosität.

„Come to Pass“ – Begegnung und Auseinandergehen
Mit „Come to pass“ hat Nick Hobbs eine Choreografie mit den Tänzerinnen und Tänzern des Luzerner Theaters neu einstudiert, die er 2005 für das ballettmainz schuf, Das Stück handelt von verschiedenen Konstellationen und Beziehungen von Menschen, die sich treffen, verbinden und wieder auseinander gehen. Die Tanzenden finden sich zusammen in anscheinend arbiträren Gruppen, tanzen zu zweit, zu dritt, zu viert. So entsteht ein dicht verwebtes Bewegungsnetz von Aktion und Reaktion, von Kommunikation und Interaktion. Es werden Situationen geschaffen, in denen Begegnung stattfinden kann, in denen sich die Tänzer zueinander verhalten, in Beziehung treten, sich finden und sich wieder lösen. Es gibt Begegnung, aber es gibt kein Verharren oder Bleiben. Alles ist flüchtig, das Transitorische des Tanzes genauso wie die Beziehungen menschlicher Individuen. Dies alles geschieht ohne Gestik, Mimik oder Worte, nur durch tänzerische Interaktionen und Prozesse. Das Zeigen sozialer Strukturen erscheint formal und puristisch, es werden keine narrativen Situationen vorgestellt. Dadurch wird ein plakatives Abbilden vermieden, was dem Stück Qualität verleiht. Das Sujet der menschlichen Begegnung wird tänzerisch auf einer abstrahierten Ebene verhandelt. Der auf der Bühne stattfindende, gemeinsam generierte Prozess, entzieht sich somit einer eindeutigen Interpretation und genau das ist das spannende an dieser Choreographie. Es ist ein Prozess, der in der Schwebe bleibt, ein Werk, welches nicht aus einer abgeschlossenen Botschaft besteht.

Reduzierte Ästhetik
Die Tänzerinnen und Tänzer tanzen auf einer leeren Bühne. Eine wichtige Rolle spielt das Licht, welches die Tänzerkörper beleuchtet, ihre Plastizität ausstellt und insbesondere das Muskelspiel der durchtrainierten Körper betont. Spannung entsteht somit nicht nur zwischen menschlichen Individuen, sondern auch durch das kontrastreiche hell-dunkel Lichtspiel auf der Bühne. Lichtwände werden über die Bühne geschoben, passieren die Bühne, verharren einen kurzen Moment und werden weitergeschoben. Es gibt kurze Momente des Stillstands, die jedoch sogleich wieder in Dynamik überführt werden. Das Stück lebt von Kontrasten, vom Wechsel zwischen kraftvollen, energetischen und ruhigen, zarten Bewegungen.

Re-framed – (Um-)Rahmungen, Einschränkungen und Überschreitungen
„Reframed“, so lautet der Titel und das Thema der Choreografie des englischen Choreografen Duncan Rownes. “To reframe“ bedeutet so viel wie “wieder einrahmen“, “neu umrahmen“, “in einen anderen Kontext stellen“. Diese Thematik der (Um-)Rahmungen, der Rahmenbedingungen, der Einschränkungen, denen wir im Leben überall begegnen, werden auf der Bühne explizit dargestellt, und zwar durch auf den Boden projizierte Lichtquadrate, in denen sich die Tanzenden befinden und in denen sie sich bewegen. Diese Quadrate rahmen das Bühnengeschehen und geben den Tanzenden eine räumliche Begrenzung vor. Rahmung steht für Sicherheit, kann aber gleichzeitig auch einengend sein. Gleichzeitig sind diese Rahmungen aber nicht völlig begrenzt, da es Lichtstreifen sind, die überschritten werden können und zur Überschreitung regelrecht herausfordern. Normen und Konventionen engen ein, können aber immer auch ausgelotet und durchbrochen werden. Die Tanzenden treten in diese projizierten Lichtquadrate hinein und wieder hinaus, tanzen alleine oder in einer Gruppe. Somit erscheint das Quadrat mal weit, mal eng, je nachdem wie viele Personen sich darin befinden und sich darin bewegen. Das Bewegungsvokabular ist teilweise dem klassischen Ballett entlehnt, dann aber auch wieder sehr zeitgenössisch. Die Bewegungssprache ist charakterisiert durch klare Formen und Positionen ohne dekorative Verschnörkelungen.

Eine atmosphärische Lichtinstallation
Duncan Rownes setzt auf formale Reduktion: minimale elektronische Musik, eine ausgeklügelte Lichtinstallation als Bühnenbild, schlichte schwarze Kostüme. Nichts lenkt von den filigranen Bewegungen und den Tänzerkörpern ab. Der Fokus wird dezidiert auf die Körperlichkeit und den reinen Tanz gelegt. Entstanden ist ein abstraktes Stück, welches sich wie Hobbs „Come to Pass“ durch Präzision und klare Bewegungsführung auszeichnet. Ähnlich wie bei Nick Hobbs „Come to Pass“ spielt das Licht auch in „Reframed“ eine zentrale Rolle. Duncan Rownes’ Lichtinstallation für die Choreografie entstand in enger Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Michael Vessa. Gemeinsam entwarfen sie zuerst ein umfassendes Lichtkonzept. Den Tanz choreographierte Rownes nachträglich und stellte ihn in diese Lichtinstallation hinein. Die wechselnden Farben der Leuchtstoffröhren in der kühl anmutenden Wand im Bühnenhintergrund leuchten die Bühne in unterschiedlichen Farbtönen aus und schaffen unterschiedliche, nuancenreiche Atmosphären. Die Bühne wird in phantastisches Licht gehüllt und das ganze Geschehen erscheint wie in einem Traum.

„Ek-Stasis“, Neben-sich-Stehen und Ausser-sich-Sein
Wie ein Traum erscheint auch das letzte Stück, „Ek Stasis“. Nick Hobbs versetzt hier sowohl die Tanzenden als auch das Publikum in einen ekstatischen Zustand. Der Zustand des Neben-sich-Stehens in einem zeitlosen Raum ist die thematische Ausgangslage des Stücks. Gleichzeitig basiert das Stück auf Studien über Erinnerungen aus der Kindheit als eine Zeit des Träumens, des Ausser-sich-Seins, der Phantasie. All diese Eindrücke sollen tänzerisch vermittelt werden. Die Tanzenden zeigen unterschiedliche Konstellationen im Raum, Gruppenformationen wechseln mit Duetten von sehr unterschiedlichem Charakter. Einmal luftig, keck, akrobatisch, frech und verspielt, dann wieder ernst und melancholisch. Sehr berührend ist das getanzte Duett von Bert Uyttenhove und Chiara dal Borgo, tiefgehend, intim und zärtlich. Die musikalische Komposition zu diesem Tanzstück entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten Paul Pavey. Sie wird von drei sich auf der Bühne befindenden Musikerinnen live gespielt. Obwohl sich die Musik durch eine ähnlich präzise und sorgfältige Komposition auszeichnet wie die Choreografie, scheinen diese beiden Kunstformen teilweise aneinander vorbeizulaufen. Es handelt sich streckenweise mehr um eine künstlerische Co-Präsenz als eine Verbindung. Die an ein Gemälde erinnernden, bunten Kostüme stammen von Marie-Thèrese Jossen und verleihen dem Stück eine gewisse Verspieltheit, Lebendigkeit und Frische. Das Bühnenbild ist schlicht gehalten, sie ist leergeräumt, nur an der Decke hängt ein hufeisenförmiges Gebilde, bestehend aus über viertausend Christbaumkugeln, das sich wie ein Mobile bewegt. Es erinnert in seiner helixartigen Verdrehung an einen DNA-Strang. Dieser DNA-Strang steht symbolisch für die Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft, die Verbindung zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter.

Konzentration und Aufmerksamkeit
„Ek Stasis“ ist ein Stück, welches enorme Konzentration und Aufmerksamkeit fordert, von den Musikern, den Tänzerinnen und Tänzern, aber auch vom Publikum. Der Zuschauer wird immer wieder überrascht, indem das Stück plötzlich eine neue, unerwartete Wende nimmt. Zum Beispiel, als die kanadische Tänzerin Madeleine Crist zu einem Solo ansetzen will, zuerst unter einem von der Decke hängenden Kubus verharrt und sich unerwartet ein Wasserschwall über sie entleert und sie tropfnass aber unbeirrt zu tanzen beginnt. Erwartungen werden permanent unterlaufen, Sehgewohnheiten herausgefordert. Gleichzeitig ist es ein Stück, welches einen durch die metronomisch durchrhythmisierte Musik in eine andere Welt, in einen träumerischen Zustand entführt.

Fokussieren der tänzerischen Form
Allen drei Stücken ist gemeinsam, dass sie zwar einen thematischen Ausgangspunkt wählen, ein Sujet tänzerisch verhandeln, dies jedoch immer auf einer sehr abstrakten, impliziten Ebene geschieht. Dadurch wird der Fokus weggelenkt vom thematischen Inhalt und auf die tänzerische Form und die Physis der Tanzenden gelegt. Entstanden ist ein sehr gelungener Tanzabend mit drei berührenden, sinnlichen und wunderschönen Stücken. Einmal mehr bestechen die Tänzerinnen und Tänzer von “Tanz Luzerner Theater“ durch Charisma und technische Brillanz. Der anfangs spärliche Applaus war wohl der immer noch anhaltenden Ekstase im Zuschauerraum geschuldet. Als das Publikum wieder zu sich kam, uferte der Applaus dann in begeisterten Bravo-Rufen aus.

Besprechung der Aufführung vom 15. Januar 2011.
Weitere Vorstellungen 21., 28., 30. Januar 2011 und 10., 13., 16., 26. Februar  und 11., 20. März 2011

Choreografie: Nick Hobbs, Duncan Rownes
Künstlerische Leitung: Kathleen McNurney
Besetzung: Madeleine Crist, Rachel Lawrence, Ha Young Lee, Salome Martins, Chiara dal Borgo, Cecilia de Madrazo
Abad, Samuel Déniz Falcón, Andrea Mirabile, Ihsan Rustem, Luca Signoretti, Bert Uyttenhove, Davidson Santos de Farias
Bühne/Lichtinstallation: Michael Vessa gemeinsam mit Duncan Rownes
Kostüme: Marie-Thérèse Jossen und Heidi de Raad
Licht: David Hedinger


Im Netz
www.luzernertheater.ch


Trailer
Trailer zu Tanz 5 | Copyright: Luzerner Theater


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