Antohny Bourdain: „Ein bisschen blutig“

Schonungslose Küchenpornographie

Antohny Bourdain: „Ein bisschen blutig“ (Geständnisse)

Direkt und bissig – so kennt man Anthony Bourdain. Altersmilde ist auch in „Ein bisschen blutig“ nicht auszumachen. Mit heiligem Zorn und viel Engagement demontiert der ehemalige Küchenchef die glänzende Oberfläche der Edelgastronomie samt exklusiver Kundschaft und journalistischen Trittbrettfahrern. Erbarmungslos gut.

Von Sandra Despont.

einbisschenblutigPaaaaang!!! Mit einem Paukenschlag beginnt Bourdain sein Buch. Harmlos ist das auf keinen Fall. Da treffen sich in bester Mafioso-Manier dreizehn Küchenchefs auf einer Mission, die ihnen selbst nicht klar ist. Mehr oder weniger verwirrt über die Einladung und ihre Mitgäste sitzen sie an der Bar, bevor sie endlich in den Speisesaal geleitet werden. Welcher Zweck soll das mysteriöse Zusammentreffen erfüllen? Die Spannung steigt… Moment, wir sind doch hier in einem netten Buch, in dem ein Küchenchef ein wenig aus seinem Leben erzählt. Nett. Öh. Fehlanzeige!

Nett? Nein und nochmals nein

„Nett“ ist nur eine nette Art „scheisse“ zu sagen, hat mich vor Kurzem jemand belehrt. Und damit ist „Ein bisschen blutig“ gleich in zweifacher Hinsicht alles andere als nett. Denn Bourdain geht bei seinem Vorhaben alles andere als zimperlich vor. Der Rundumschlag beginnt mit der Verspeisung geschützter Arten, genauer: des Ortolans, denn genau dies stellt das seltsame Zusammentreffen der Küchenchefs dar – ein Gelage, das seinen Höhepunkt in der Verspeisung eines kleinen, bloss auf dem Schwarzmarkt gegen eine nicht unerhebliche Summe Geldes erhältlichen Vogels samt Innereien, Knochen und Klauen findet. Prägnant landet Bourdain auch nach diesem kriminalistisch gestalteten sinnlichen, abstossenden und gleichzeitig faszinierenden Einstieg einen Treffer nach dem anderen. Als drogenunerfahrene, nicht eine Villa mit Blick auf den Zürichsee bewohnende Schweizerin mag man nicht nachvollziehen, warum Foot Network die Verkörperung des Bösen ist, man kann die Geisselung des so verwöhnten wie dämlichen Jetsets nicht mit eigenen Erfahrungen abgleichen, man kann zum Thema Drogenexzesse und schicksalhafte Wendungen nicht viel beitragen; doch das alles macht nichts, denn Bourdains giftige Schreibe zu lesen ist ein Genuss. Unverblühmt und prägnant bringt er seine Kritik auf den Punkt. Kein Abwägen, kein Sowohl-als-auch, kein Geschleime, keine Gemütlichkeit. Oder, mit Bourdains Worten: Kein Bullshit!

Ein Pho, mit dem man schlafen möchte

Neben der scharfen Kritik verfügt Bourdain über eine zweite Waffe zur Fesselung geneigter Leser: die wortgewaltige Beschreibung von Essen. Bestes Beispiel: Pho. Er selbst spricht in diesem Zusammenhang von Küchenpornographie und tatsächlich handelt es sich hier um nichts anderes. Bourdain beschreibt die vietnamesische Speise namens Pho mit so viel Leidenschaft und Begeisterung, dass man, ohne bisher jemals eine Asienreise auch nur annähernd in Betracht gezogen zu haben, sofort die Koffer packen und losziehen möchte. Zielor: Pho! Ganz harmlos fängt Bourdain an, ein bisschen Brühe, ein bisschen Gemüse, ein bisschen Rindfleisch, klingt ganz ok, ist aber letztlich auch bloss Suppe. Aber nein: Nach Bourdains Lobeshymne auf dieses Wunderwerk der vietnamesischen Küche ist zu erwarten, dass Pho ein Abbild des Paradieses ist, der Pfad zur Erkenntnis, einer Erleuchtung nicht unähnlich. Und man kann es förmlich riechen…schmecken…man will es essen, man will mit ihm schlafen, man will es heiraten, das Gericht namens Pho. Sofort!

Vernichtende Kritk, enthusiastisches Lob

So vernichtend Bourdain mit seiner Kritik sein kann – „arroganter Flachwichser“ nennte er den einen, einer Restaurantkritikerin wünscht er, sie möge „ewig in der Hölle schmoren“, wieder einen anderen bezichtigt er der „epischen Arscharroganz“ – so enthusiastisch ist sein Lob – nicht nur das der Gerichte vom Zuschnitt eines Phos. Genauso euphorisch beschreibt er seinen Helden Fergus Henderson und den Tanz mit seiner zweijährigenTochter. Souverän spielt er auf der Klaviatur der Kritik, löst bei seinen Lesern Verachtung und Begeisterung über den besprochenen Gegenstand aus, ohne dass man hierzulande Figuren wie Alice Waters, die angebliche Erfinderin des Slow Foods und Intimfeindin Bourdains, näher kennen würde. Es gibt allerdings eine Handvoll Tasten, die er nicht ganz trifft: Sobald er sich über seine inzwischen überwundene Kokainabhängigkeit, sein Luderleben in jungen Jahren, seine Existenzkrisen auslässt, bekommt „Ein bisschen blutig“ trotz oberflächlicher Lockerheit einen leicht moralinsauren Beigeschmack. Doch über diese Stellen lässt sich flugs hinweglesen, denn Bourdains Potpourri an Einsichten, Ansichten, Erinnerungen, Schmähungen und Lobliedern lesen sich abwechslungsreich und vergnüglich. Ausser…ja, ausser man ist Vegetarier oder hat sonstwie von einer höheren Moral getriebene Ansichten, wenn es ums Essen geht.

Innereien! Hackfleisch! Meerestiergehirn!

Ein Loblied auf den Hamburger schreibt Bourdain im Kapitel „Fleisch“ (und geisselt bei der Gelegenheit auch gleich die Entwicklung, die Eltern wegen mit – im wahrsten Sinne des Wortes – Scheisse verseuchtem Hackfleisch um die Gesundheit ihrer Kinder fürchten lässt), eine Beschreibung ganz unterschiedlicher Köstlichkeiten aus aller Welt, unter anderen auch Garnelen samt Gehirn, liefert Bourdain im Kapitel „Lust“. Vegetarier werden das Buch allerdings schon nach den ersten Seiten des bereits erwähnten Eingangskapitels „Familientreffen“ aus der Hand gelegt haben. Bourdains Erzählungen sind politisch in höchstem Masse unkorrekt und biedern sich keine Sekunde bei denjenigen an, die vor Kurzem noch nach der Lektüre von Jonathan Safran Foers „Tiere essen“ oder Karen Duves Selbstversuch „Anständig essen“ dem Fleisch abgeschworen haben. Bourdain steht dazu, dass es ihm nur um eines geht: Genuss. Und um den zu kriegen, tut er fast alles. Und ja, wenn Tiere nach einem artgerechten Leben besser schmecken, so soll das Bourdain nur recht sein. Letztlich gilt für die Lektüre von „Ein bisschen blutig“ aber dasselbe, was der Autor sinngemäss über eine der Personen auf seiner Schurkenliste sagt: Selbst wenn man anderer Meinung ist, lohnt es sich, seine Texte zu lesen. Denn dieser Mann kann schreiben!

„Ein bisschen blutig“ ist herrlich bissig und respektlos, es ist Küchenpornographie in vollendeter Form, es ist ein Rundumschlag gegen heuchlerische Gutmenschen und geldgierige, rücksichtslose Warmduscher und – nicht zuletzt, ein Plädoyer für wahrhaft gutes Essen.


Titel: Ein bisschen blutig
Autor: Anthony Bourdain
Übersetzung: Anne Emmert, Heike Schlatterer
Verlag: Blessing
Seiten: 400
Richtpreis: CHF 33.90

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert