14 Jahre ohne zu altern?!
Seefeel – Seefeel
14 Jahre ohne zu altern?!

14 Jahre nach ihrem letzten Album veröffentlichen Seefeel ihr viertes Album und tönen so progressiv und frisch wie eh und je. Ein Armutszeugnis für die heutige Musik oder ein Beweis für die Klasse dieser Vorreiterband?
Als ich das erste Mal auf die Musik von Seefeel gestossen bin, war ich überzeugt, dass diese Musik von einem einsamen Typen stammen muss, der mit seinem Computer und seinen Synthesizern in einem Keller sitzt und nächtelang an seinen Sounds und seinen Beats bastelt. Als ich dann erfahren habe, dass diese Klänge von einer „traditionellen“ Gitarren-Bass-Schlagzeug-Band stammen, war mein Erstaunen denkbar gross. Mein Erstaunen wuchs nochmals ein gutes Stück, als ich dann erfahren habe, dass diese Band ihr erstes Album Quique 1993 veröffentlicht hat. Eine Band, die es vor 18 Jahren schon geschafft hat, wie Computermusik zu tönen, ist nach den ganzen Dance-Rock-Versuchen der Nuller-Jahre eine wahre Entdeckung und eine grosse Überraschung.
Nun könnte man vielleicht annehmen, dass das Album einer Band, die ganze 14 Jahren pausiert hat, veraltet klingen muss. Doch diese Erwartung wird zum Glück nicht erfüllt. Hier wird der Dream Pop von Hypebands der jüngeren Stunde wie The XX oder Beach House zerpflückt und mit der hippsten Undergroundmusik der frühen Nuller Jahre – Dubstep – zusammengeführt. Doch auch hier werden die Erwartungen positiv enttäuscht, wenn man jetzt mit Dubstep-Beats unterlegte Dream Pop Hymnen erwartet.
Hört man das Album Seefeel als Nachfolger der drei Seefeel- Vorgänger Quique, Succour, und CH-VOX, merkt man deutlich, dass sie im Grunde genommen dort weitergemacht haben, wo sie 1996 aufgehört haben: Die Gitarrenwände von Mark Clifford sind noch reduzierter und haben sich noch mehr reinen Klangflächen angenähert. Der Bass von Shigeru Ishihara (DJ Scotch Egg) deutet nur noch sporadisch einige Dublinien an. Das Schlagzeug von Ex-Boredoms-Drummer Iida Kazuhisa spielt nur noch das Allernötigste und häufig gar nichts. Auch die Stimme von Sarah Peacock kann man nicht mehr als Leadstimme bezeichnen, vielmehr fügt sie sich, verfremdet durch allerlei Effekte und Samplingtechniken, nahtlos in die Soundlandschaften ein.
Vor gut 20 Jahren gründeten Mark Clifford und Sarah Peacock damals noch mit Mark von Hoen am Bass und Justin Fletcher am Schlagzeug eine Shoegaze-Band, beeinflusst von Bands wie My Bloody Valentine und Spacemen 3. Innerhalb von 6 Jahren produzierten sie drei Alben, die sie weg von den verzerrten Gitarrenwände hin zur reduzierten Electronica führten und wegweisend für die elektro-akustische Musik der 90er und der 00er Jahren waren. Dann – 14 Jahre später – veröffentlichen sie ein Album, das erstens das, was sie mit Succour und CH-Vox angerissen haben, zu Ende führt, nämlich die Auflösung der Shoegaze-Gitarrenwände zu reduzierten, fein gewobenen Klangteppichen und die Reduktion der Club-Beats der 90er Jahren und denen ihres Labels WARP auf die pulsierenden Dub-Beats, wie sie auf ihrem neusten Wurf zu hören sind. Und es ist auch ein Album, das, zweitens, meines Erachtens eines der progressivsten Alben der letzten Jahren ist. Selten hat man die aktuell in der Technoszene so hippe Dubstep-Ästhetik und die Klangwände von Trendsettern der letzten Jahren wie Beach House, The XX, Efterklang und Co. so radikal weitergedacht gehört wie auf den neuen Tracks von Seefeel wie Dead Guitar, Rip-Run oder Making.
Es spricht wohl für sich, dass Seefeel die erste Band mit Gitarren auf dem führenden Electronica-Label der 90er Jahre – WARP – war. Doch die Frage bleibt: Wenn eine Band nach 14 Jahren Pause ein Album veröffentlicht, das nahtlos an ihr letztes von 1996 anschliesst, und damit so modern und progressiv tönt, wie wenige andere Bands, was ist dann in der Zwischenzeit mit der Musikszene passiert?
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