Gisela Widmer “Biedermanns. Umgezogen“ | Luzerner Theater
Eine Satire auf die Islamdebatte

Im Luzerner Theater soll mit Gisela Widmers Stück „Biedermanns. Umgezogen“ die Islamdebatte angeheizt werden. Entstanden ist eine wortgewandte Kurzsatire, die insbesondere vom komödiantischen Talent der vier Darsteller und der sprachlichen Virtuosität lebt.
Das Stück ist aktuell, politisch und will provozieren. Aber tut es das wirklich oder werden hier nur Klischees vorgeführt? Gisela Widmer betont, sie wolle nicht provozieren um der Provokation Willen. Vielmehr gehe es ihr darum, eine linke Islamdebatte anzuheizen, eine Diskussion zu fördern und die Zuschauer zu Selbstreflexion aufzufordern. – Inszeniert wurde das Ganze von dem jungen Nachwuchsregisseur Hannes Rudolph.
“Wir müssen Verständnis haben!“
“Biedermann und die Brandstifter“ ist das Drama des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, dessen 100. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. Es handelt von dem Bürger Biedermann und seiner Frau Babette. Diese lassen zwei Hausierer bei sich wohnen, obwohl sie von Anfang an den Verdacht hegen, es handle sich um Brandstifter. Biedermann versucht immer wieder zu beschwichtigen, verdrängt die offensichtliche Tatsache, dass sich die Brandstifter in seinem Haus befinden – schliesslich brennt sein Heim nieder. Gisela Widmer benutzt dieses Frisch-Stück als Vorlage und Sub-Text für ihr Stück und deutet es um. Der Bruder von Gottlieb Biedermann (Walter Sigi Arnold) ist zum Islam konvertiert und heisst jetzt nicht mehr Thomas sondern Abdul Quadir (Jörg Dathe). Nun steht er plötzlich mit mehreren Koffern vor der Tür der Biedermanns und bittet um Unterkunft. Diese beiden typisch linken Bürger – er Klimaforscher, sie Sprachlehrerin – sind wenig begeistert über den unangekündigten Besuch. Insbesondere Babette Biedermann (Bettina Riebesel) ist wenig angetan von diesem plötzlichen religiösen Sinneswandel. Trotzdem versichert sie dem Schwager geduldig, dass er wirklich nicht störe. Doch diese anfänglich vordergründige Gastfreundschaft schlägt schnell in gegenseitiges sich Angiften und Beschimpfen zwischen der Feministin und dem Konvertiten um. Der gutbürgerliche Gottlieb versucht vergebens souverän und diplomatisch zu vermitteln, dabei stets auf der Seite seines Bruders. Schlussendlich artet die Debatte zwischen seiner Frau Babette und seinem Bruder Abdul Quadir zunehmend aus.

Max Frischs Stück dient als Vorlage, weil genau hier die Beschwichtigungsrhetorik und die Verstellung des Bürgers Biedermann gezeigt werden. So betont Gottlieb in Widmers Stück immer wieder: “Wir müssen Verständnis haben.“ Und genau dieses “Verständnis haben für andere Kulturen“, die auf religiösen Grundsätzen fussen und mit unseren Gesetzen zum Teil nicht vereinbar sind, wird kritisiert. „Warum sollten wir immer für alles Verständnis haben?“, scheint Widmer zu fragen. “Gerade der radikale Islam verstösst ja gegen urliberale und urlinke Anliegen mit seinem Schwulenhass, dem Judenhass, der Frauendiskriminierung und der Unterdrückung der Meinungsfreiheit“, meint die Autorin denn auch. Doch eben diese Aspekte wurden in der vor der Minarettinitiative geführten “Nicht-Debatte“, wie Widmer sie nennt, von links zu wenig beachtet. Es geht in diesem Stück also in erster Linie darum, die Ignoranz von links zu kritisieren, die Angst der Linken, gewisse Probleme des Islams offen auszusprechen. Diese Zurückhaltung findet in der Figur von Gottlieb Biedermann und seinem ewigen Verständnis-Haben ihre Verkörperung.
Eine demontierte Montage
Collageartig zusammengesetzte Szenen folgen aufeinander, unterbrochen durch das Auslöschen des Lichts. Der Feuerwehrmann (Samuel Zumbühl) agiert als Figur und gleichzeitig als Kommentator des Gesagten. Dieses Prinzip, welches sich konsequent durch den Abend zieht, funktioniert sehr gut und kommt beim Publikum an. So erhält Zumbühl denn auch des Öfteren Zwischenapplaus für seine zynischen und geistreichen Kommentare. Inszeniert ist das Ganze wie eine Polit-Fernsehshow, in der debattiert und diskutiert wird. Immer wieder liest der Feuerwehrmann Passagen aus Max Frischs „Brandstifter“ vor. Schulmeisterhaft und geistreich, manchmal aber auch in Non-Sense-Redeschlaufen. Er ist ein Intellektueller, der zwar scharfsinnig beobachtet und kommentiert, sich aber auch mal verrennt beim Denken. Da werden freudig Zitate in den Raum geworfen, kreativ umgedeutet, da wird keck mit der Sprache gespielt. Und genau hier liegt die Stärke des Stücks: im virtuosen Umgang mit der Sprache. So wie das Stück montagehaft aufgebaut ist, wird die Welt der Biedermanns Stück für Stück demontiert. Hier setzt Widmer einen Fokus, sie will zeigen, dass es nicht nur in der Auseinandersetzung zwischen der Feministin und dem Konvertiten brodelt, sondern dass es auch in der Beziehung der Biedermanns brennt.

Eine beklemmend lustige Satire
Entstanden ist eine Gesellschaftssatire. Nicht eine Satire auf das System Islam, sondern eine Satire auf die Islamdebatte. Gisela Widmer kritisiert in ihrer Satire die linke Islamdebatte, die voller Tabus ist und fragt dann auch: „Warum dürfen wir auf der Bühne eine Bibel zertrampeln, aber keinen Koran?“ – Diese Frage steht im Zusammenhang mit der kritisierten Zurückhaltung der Linken beim Ansprechen brenzliger Fragen im Zusammenhang mit der Integration von Muslimen in unsere Gesellschaft. Fragen werden aufgeworfen, aber nicht explizit beantwortet. Müssen sie auch nicht, denn sie sollen vielmehr zum Nachdenken anregen. Vielleicht wurde gerade deswegen mit vielen Klischees gespielt. Interessant ist das Stück, wirklich provokativ aber nicht. Entstanden ist ein unterhaltsamer, kurzweiliger Abend.
Besprechung der Premiere vom 19.03.2011
Weitere Vorstellungen am 26. März 2011 (geschlossene Vorstellung), am 3., 12. (geschlossene Vorstellung) und 17. April, 20. und 21. Mai 2011.
Besetzung
Bettina Riebesel
Walter Sigi Arnold
Jörg Dathe
Samuel Zumbuühl
Inszenierung: Hannes Rudolph
Bühne: Tobias Schunck
Kostüme: Anja Schnyder
Licht: Peter Weiss
Dramaturgie: Ulf Frötzschener
Regieassistenz und Abendspielleitung: Philipp Suter
Inspizienz: Yasmine Erni-Lardrot
Regiehospitanz: Marion Frank und Dominik Busch
Im Netz
www.luzernertheater.ch