„That’s how great music works!“

That’s how great music works!

Raphael Saadiq, live im Kaufleuten, 23.4.2011 und am Blueballs Festival, 23.07.2011. Alle Bilder: Sonymusic
Raphael Saadiq, live im Kaufleuten, 23.4.2011 und am Blueballs Festival, 23.07.2011. Alle Bilder: Sonymusic

Raphael Saadiq – Interview / Zürich, 31.3.2011

nahaufnahmen.ch traf sich in der Lounge des Kaufleuten mit Soulmastermind Raphael Saadiq zu einem Gespräch über das neue Album „Stone Rollin“, sogenannte „Household“-Records, Techno aus Detroit und seine Zusammenarbeit mit Mick Jagger.

nahaufnahmen.ch: Du hast eben dein neues Album „Stone Rollin“ veröffentlicht. Ähnlich wie auf „The way I see it“ hat auch dieses Album einen ausgeprägten Oldschool-Vibe, klingt aber trotzdem auch zeitgemäß. Bist du ähnlich an dieses Album rangegangen wie auf „The way I see it“?

Raphael Saadiq: Nein, ich hatte eine etwas andere Herangehensweise. Ich habe auf diesem Album viel mehr Gitarren gebraucht, es ist allgemein lauter. Ein wenig bluesiger auch, aber immer noch voller Nostalgie. Aber das bin einfach ich. Ich werde mich nie ändern. Jedes meiner Alben hatte eine gewisse Nostalgie. Ich bin ebenfalls anders an dieses Album rangegangen, weil ich zwei Jahre lang mit „The way I see it“ auf Tour war. Also wurde es schlussendlich ein Album, bei dem ich oft dachte: „Ok, ich möchte diesen Song auf der Bühne spielen, mit diesem Tempo, mit dieser Aggresivität, wenn ich auf Tour bin.“ Das hatte ich letztes Mal noch nicht und dies hat sich sicher auf dieser Platte ausgewirkt.

nahaufnahmen.ch: Einmal mehr hast du dein Album selber geschrieben und produziert, du singst und spielst Gitarre, Bass, Keys, teilweise auch Drums und Percussion selber ein. Ist dies für dich ein Weg die Kontrolle über deine Arbeit zu behalten?

Raphael Saadiq: Nun, nein. Ich weiß halt einfach, wie’s geht. (lacht) Es ist, wie wenn dein Auto einen platten Reifen hat und du ihn selber flicken kannst. Dann tust du es, weil du weißt, wie das geht. Das ist keine harte Arbeit. Es ist nicht so, wie wenn ich zu Hause irgendwelche Rohre flicken müsste. Ich kann diese Instrumente spielen, also warum sollte ich es nicht tun? Aber ich habe ja schon nicht alles selber gemacht. Ich habe einige Jungs aus meiner Band, die hier und da z. B. einen Basspart übernehmen, auch mein Drummer ist auf einigen Songs drauf, aber ja, vieles habe ich selbst gemacht. Es sind ja nur zehn Songs. (lacht)

nahaufnahmen.ch: Wenn du dich hinsetzt und an einem neuen Song arbeitest, welches Instrument nimmst du dann zur Hand?

Raphael Saadiq: Hm…(überlegt) den Bass, ab und zu die Gitarre. Eigentlich meistens die Gitarre.

nahaufnahmen.ch: Je nachdem, wo du mit dem Song hinwillst?

Raphael Saadiq: Genau. Aber schon sehr oft die Gitarre.

nahaufnahmen.ch: Du hast eben den europäischen Teil deiner „Stone Rollin“-Tour begonnen und wenn ich mir deinen Tourplan anschaue, dann wird mir beinahe schwindelig. Jeden Tag eine andere Stadt, jeden Abend ein Konzert, praktisch pausenlos unterwegs, kannst du das Touren überhaupt genießen oder ist es primär einfach stressig?

Raphael Saadiq: Nein, ich habe eigentlich schon Spass dabei, wenn ich so tue, als wäre mein Terminkalender gar nicht da. (grinst) Wenn ich ihn mir anschaue, dann wird mir auch schwindelig.

nahaufnahmen.ch: Du tourst durch die USA, Europa und Asien. Warst du mal in Afrika?

Raphael Saadiq: Noch nicht. Aber es steht definitiv auf meiner Liste. Ich hätte eigentlich letztes Jahr an ein Jazzfestival gehen sollen, doch dann kollidierten die Termine mit der europäischen Promotour von „The way I see it“.

nahaufnahmen.ch: Fühlst du den Druck, nach „The way I see it“ jetzt so schnell als möglich einen Nachfolger zu veröffentlichen, um an diesen Erfolg anzuknüpfen?

Raphael Saadiq: Nein. Aber ich denke schon, dass ich nach dem grossen Durchbruch von „The way I see it“ einfach dieses Momentum ausnutzen muss. Also kommt nun „Stone Rollin“ und danach die nächste Platte. Damit die Leute es wie eine sich fortsetzende Geschichte ansehen können. Bis jetzt war mein Output seit Beginn meiner Karriere immer unregelmäßig. Ein wenig wie unverbundene Punkte. Sogar mit den Tonys (Tony! Toni! Tone!, Saadiqs erste Band, Anm. d. Red.) oder mit Lucy Pearl war keine grosse Kontinuität da. Es gab keine ausgedehnten Touren, mit Lucy Pearl machte ich nur ein Album, danach habe ich sehr viel nur als Produzent gearbeitet. Danach kamen dann „Instant Vintage“ und „Ray Ray“ vor „The way I see it“. Viele Leute kennen mich erst seit „The way I see it“. Die denken, ich sei ein neuer Künstler.

"Ich bin voller Nostalgie."
"Ich bin voller Nostalgie."

nahaufnahmen.ch: Dabei warst du schon ein millionenfach verkaufter Künstler in den 80er Jahren, hast Grammys gewonnen und bist seit mehr als 20 Jahren im Geschäft. Nun hast du ausgerechnet mit einem „klassischen“ Soul-Album den Höhepunkt deiner Popularität erreicht. Woher diese momentane Popularität für sogenannt „alte“ Soulmusik, die ich auch ohne Probleme meiner Mutter vorspielen könnte?

Raphael Saadiq: It was just a classic time! Und darum denkt man gerne nostalgisch über diese Zeit. Es ist wie ein…(überlegt lange) Ich nenne es „a household-record“, dass heißt, du kannst die Platte eben genau zu deiner Mutter mitnehmen und sie würde es cool finden. Einige Leute mögen diese Idee nicht, dass auch ihre Mutter dieselbe Platte gut finden kann. Aber für mich sind das die besten Platten, die es gibt. Wenn eine Mutter eine Platte mit nach Hause nimmt und ihr Sohn findet es auch gut. So war es mit meiner Mutter. Sie brachte Al Green mit nach Hause und mir gefiel es. So war das nun mal, was auch immer die Eltern mitbrachten, wurde gespielt. Und du solltest dir dies anhören können und es mögen und eines Tages wirst du deine Kinder darauf aufmerksam machen. That’s how great music works! Motown ist für immer. Deine Kinder werden sich noch Motown-Songs anhören. Sie werden rausfinden, wer Stevie Wonder ist, oder Michael Jackson. Wenn du also als Musiker dir selber treu bleibst, dann kannst du etwas erschaffen, das bleibt. Die verschiedenen Stile sind ja schon da draußen. Du musst einfach einen wählen. Wenn du einen Stil auswählst, der die Zeit nicht überdauert, dann ist das dein Problem. Ich entschied mich einfach für etwas, das bleiben wird. Ich wollte einfach der Welt zeigen, wie ich es sehe! The way I see it. Und es hat funktioniert. Anstatt ständig zu versuchen, in der Popmusik der Amerikaner einen Platz zu finden, sagte ich mir einfach: „Ich mache jetzt die beste Musik, die ich will.“ Und das ist die Musik, die ich jetzt mache. Es ist alles verbunden, „The way I see it“ und „Stone Rollin“. Für die Leute sind das zwei Alben, aber ich sehe keines der beiden als ein Album an…

nahaufnahmen.ch: Für dich ist es eher ein kontinuierlicher Prozess.

Raphael Saadiq: Genau. Ich sehe keine Zeit. Ich werde gefragt: „Wann hast du das gemacht? Und wann hast du dies gemacht?“ Und ich beantworte diese Fragen so, wie sie von mir erwarten, dass ich sie beantworte. Aber ehrlich, wenn man mir die richtige Frage stellt, so wie du eben, dann sage ich: „The way I see it“ und „Stone Rollin“ sind…(überlegt) nicht dasselbe, aber auch nicht weit voneinander entfernt. Das ist wie in einem Spiel, sei es Baseball, Fußball oder was auch immer. Du spielst und spielst und wenn du nächste Saison zurückkommst, ist es wieder „Game time“. Und jetzt ist es eben wieder „Game time“. Auch wenn mein Style jetzt kopiert wird, mit dem Anzug und der dünnen Krawatte, das stört mich nicht, es schmeichelt mir viel mehr. Ich würde mich niemals daran stören, dass mich jemand kopiert, denn es ist ja so schon eine Kopie. Früher sind alle so rumgelaufen. Die Leute sind so zur Arbeit gegangen. Jazzmusiker, alle haben das getragen. Das waren gute Zeiten. Es ist ein wenig so, wie wenn du in Zürich ankommst und du siehst all die alten Häuser, du siehst Geschichte. Wenn man all dies nun abreißen würde und neue Häuser an die Stelle der alten setzte, wäre es nicht mehr dasselbe. Genau das passiert in Amerika. Wir reißen unsere Trademarks nieder und bauen Neues. Die Trademarks in der Musik sind die Instrumente. Sie sind immer noch da. Es hat Gitarren im Laden, die darum flehen, gespielt zu werden. Also gebe ich ihnen, was sie brauchen.

nahaufnahmen.ch: Du sprichst über Instrumente als Trademarks, spielst selber mehrere Instrumente und bist tief verwurzelt in dieser Tradition. Was hältst du von elektronischer Musik? Zum Beispiel von der Szene in Detroit?

Raphael Saadiq: Oh, ich mag es sehr. Es gibt diesen Typen, der macht einen Haufen Sachen für Adult Swim (amerik. Cartoon-Sender, Anm. d. Red.) Wie hiess nochmals der Typ…Flying Lotus, genau. Er hätte auf meinem Album sein sollen, mit kleinen elektronischen Schnipseln. Doch dann haben wir die Idee doch wieder verworfen. Ich mag auch Little Dragon aus Schweden. Die Sängerin dieser Electroband singt auch auf „Stone Rollin“. Ebenso wie vieles aus der Chicago-House Szene. Ich mache selber auch Musik für ein Videospiel. Alles elektronisch, keine Gitarren. Nur Drummachines und Synthesizer.

nahaufnahmen.ch: Komischerweise sind ja die Erfinder dieser Musik, ein Derrick May oder Juan Atkins in Europa immens populär, während sie in den USA bei weitem nicht dieselbe Anerkennung erhalten. Was denkst du, warum sich diese Musik hier so viel besser etablieren konnte?

Raphael Saadiq: Die Leute haben so viel zu tun, weißt du was ich meine? Es ist ein „Rat race“ bei uns drüben. All diese DJs, die hier so viel berühmter sind als bei sich zu Hause, die achten natürlich auch darauf, was auf der Welt passiert. Und sie gehen halt dahin, wo sie Anerkennung erhalten. So war das auch mit den Jazzern, mit Miles Davis oder mit Chester Himes, einem Schriftsteller, der in Paris berühmter war als in Amerika. Zu Hause verstand man ihn nicht. Die Leute hier wissen kleine Dinge noch zu schätzen. Du spielst einen simplen Song und sie lieben dich. Einfache Dinge sind manchmal am besten. Aber diese Jungs haben auch in gewissen Gegenden der USA ihre Anhänger. Schlussendlich geht es jedoch in Amerika nur ums Geld, weißt du? Aber ich schätze auch diese Musik. Es ist einfach gute Musik. Es sind Leute, die sich Zeit nehmen und etwas kreieren. Ich sehe das und denke: „Schau dir mal an, was der da macht.“ Das ist einzigartig.

nahaufnahmen.ch: Lass uns nochmals zur Soulmusik zurückkehren. Du führst eine Tradition fort, welche einige herausragende Künstler wie Marvin Gaye, Al Green oder Stevie Wonder hervorgebracht hat. Siehst du dich selber auf Augenhöhe mit diesen Legenden?

Raphael Saadiq: (entschieden) Nein, nein. Das könnte ich niemals. Ich kann nicht derjenige sein, der das tut.

nahaufnahmen.ch: Du denkst nicht, dass in 20 Jahren „The way I see it“ neben „What’s going on“ von Marvin Gaye im Regal steht?

Raphael Saadiq: (seufzt) Aaah. Das kann ich mir nicht mal vorstellen. Falls das jemand macht…aber das sind meine Idole. I don’t play around with them. Das sind Götter für mich.

Der Mann von Sony beugt sich zu mir rüber und sagt: „No nä letschti Frag.“ Was Raphael Saadiq zum Anlass nimmt sein Schweizerdeutsch etwas zu üben. Nach einigen holprigen Gehversuchen und Gelächter, („frag? Hm, that sounds like frog. (engl. Frosch)“) lassen wir es bleiben und kehren zum Gespräch zurück.

nahaufnahmen.ch: Apropos Legenden. Kürzlich bist du im Rahmen eines Solomon Bourke Tributes an den Grammy Awards zusammen mit Mick Jagger aufgetreten. Die Rolling Stones haben ja als eine Bluesband angefangen. Was verbindet dich mit dem Blues und wie war die Zusammenarbeit mit Mick Jagger?

Raphael Saadiq: Er ist eine Wucht! Er ist gleichzeitig cool, seriös und ein lustiger Kerl. Er weiss genau, was er will und wir hatten eine legendäre Zeit. Das werde ich nie vergessen. Blues, ich höre mir den ganzen Tag Blues an. Johnny Guitar Watson, Howlin Wolf, Albert King, Son House, sehr viel Blues. Ich bin damit aufgewachsen. Blues ist voller Geschichte und voller Stories. Howlin Wolf hat diese eine Story, wo er in irgendeinem Jukejoint in Mississippi spielt. Albert King kommt da rein und sah, wie Howlin Wolf seinen Fuss auf einem Typen hatte, der am Boden lag. Er spielte da so mit seinem Fuss auf ihm. Und da sagte Albert: „Hey, was machst du da mit deinem Fuss auf diesem Typen?“ Und Howlin antwortete: „Der da? Der ist tot. Ich habe ihn aber nicht getötet.“ Und spielte weiter. (lacht) Wenn du solche Sachen aus Howlins Buch liest, diese Legenden und Geschichten, das ist einfach wunderbar. Momentan lese ich sehr viel über diese Musik und es lässt mich auch besser verstehen, warum ich meine Art von Musik so mache, wie sie eben ist. Wie gesagt, auch Jungs wie die Rolling Stones haben Howlin Wolf bewundert. Auch sie kennen die Geschichte und wissen sie zu schätzen.

nahaufnahmen.ch: Vielen Dank für das Gespräch.



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