Die Doom-Urgesteine werden älter, zum Glück!
Earth – Angels of Darkness, Demons of Light: 1
Was kommt heraus, wenn sich Doom-Pionier Dylan Carlson mit Folk-Musik beschäftigt? Die Antwort: „Angels of Darkness, Demons of Light: 1“. Für das neue Album der Doom-Metal-Pioniere Earth liess sich ihr Kopf Dylan Carlson nach eigenen Aussagen von britischen Folk-Bands wie Fairport Convention und Pentangle, aber auch von World-Musikern wie Tinariwen oder dem französischen Gitarristen Fred Chichin inspirieren.
Einem Interview zufolge, das Dylan Carlson letzten Oktober gegeben hat, hat er sich bei den Songs von dem Album vermehrt an britischen Folk-Bands wie Fairport Convention, Pentangle und Co. orientiert. Natürlich bleibt Earth Earth und das neue Album ist kein Folk-Album, doch bei genauem Hinhören sind schon Parallelen zu erkennen. Vor allem fällt auf, dass es ein sehr optimistisches Album geworden ist. Eine allgemeine Tendenz von Earth seit der drogenbedingte Absenz von Dylan Carlson Ende der 90er Jahren.
Im selben Interview, nachzulesen auf ihrer Website, sagt Carlson, dass er sich im Laufe der Jahre immer weiter zurück orientiert hat. War er bei seinen ersten Veröffentlichungen Anfangs der 90er vom Progrock à la King Crimson und natürlich von Heavy Metal Bands wie Black Sabbath beeinflusst, so holte er seine Inspirationen je länger aus immer älteren, ursprünglicheren Genres. Er spricht von der Abfolge „klassischer“ Rock, dann Blues und Country, bis Earth mit ihrem neuen Album schliesslich beim Folk gelandet sind. Eine interessante Idee, dass die Diskographie von Earth eigentlich ein Stück Musikgeschichte rückwärts und in Slow Motion erzählt. Denn natürlich haben sie alle ihre Einflüsse – wie es sich für eine Doom-Band gehört – in sehr langsamen Tempi wiedergegeben.
Doch zurück zu ihrem neuen Album: Es ist, kurz gesagt, die musikalische Äquivalenz einer Wüste. Heisse Winde, die in jede Ecke Sand hinein wehen; ein Flimmern über dem Horizont; ein paar vereinzelte, karge Kaktuspflanzen und hie und da ein grosser Felsbrocken. Was so zu der typischen Wüstenszenerie gehört. Musikalisch am deutlichsten spürbar an der endlosen Weite und der beeindruckenden Reduziertheit vom neusten Baby von „Earth“.
Eine Bereicherung ist sicher die Cellistin Lori Goldston. Durch ihr ruhiges, voll tönendes Cello kann sich Dylan Carlson noch mehr auf den ausgedehnten, hypnotischen Puls seiner vermehrt melodiösen Gitarrenriffs konzentrieren. Ein gutes Beispiel dafür ist der Eröffnungstrack „Old Black“: Während Gitarrist Dylan Carlson grösstenteils bei einem Riff bleibt, webt Lori Goldston geschickt ihre Cellolinien dazwischen.
Ein Schmuckstück der Platte ist sicherlich das fast schon elegante „Descent to the Zenith“ (Track Nummer 3 von 5). Die Gitarre ist nur noch leicht angezerrt und das präzis puslierende Schlagzeug von Adrienne Davies übt sich in edler Zurückhaltung. Über sieben Minuten entwickelt sich ein melodiöses Dur-Gitarrenriff, kontrapunktiert vom Cello, und entwickelt einen Sog, der einem erst mit dem langsamen Ausklingen des Gitarrendelays am Ende loslässt. Dieses sehr atmosphärische Stück steht meiner Meinung nach ziemlich symptomatisch für die Entwicklung von Earth: Immer weniger Studiobeigemüse, man vertraut auf die nun vierköpfige Band (neben Carlson, Goldston und Davies ist Karl Blau am Bass). Die typischen verzerrten Gitarrenwände, die man mit Bands wie Earth und Sunn O))) verbindet, werden abgelöst von einem warmen, atmosphärischen, improvisationsgeprägten Bandsound. Anstatt Lärmwände sind hypnotische Melodien und Riffs zu hören, die sich langsam vorwärts entwickeln.
Doch der Höhepunkt der Platte ist das abschliessende Titelstück. Eine 20-minütige Jamsession, bei der mir nicht eine Minute langweilig wurde. Über eine Minute lang erkunden Goldston und Blau die tieferen Register ihrer Instrumente, bevor Carlson mit ein paar Gitarrenfetzen einsetzt. Langsam schält sich ein Puls heraus, der jedoch erst nach fünf Minuten mit dem Einsatz des Schlagzeugs deutlich wird. Zuerst nur durch Viertelnoten auf dem Ridebecken bestätigt, pulsiert der Song immer stärker und nimmt an Grösse und Kraft zu. Nach etwa vierzehn Minuten ist dann der Zenit erreicht und die restliche Zeit wird einem langsamen Decrescendo und Abbau gewidmet, bis das Album dann in weiten Klangflächen endet.
Es ist beeindruckend, wie wenig Earth braucht um atmosphärisch dichte und ästhetische Sounds zu kreieren: Ein langsam pulsierendes Schlagzeug, ein melodiöses Gitarrenriff, das vom Bass unterstützt wird und eine hinein verwobene Cellolinie reichen Earth vollkommen aus. Man merkt, dass alle vier Musiker Meister der Reduktion sind. Da das Album „Angels of Darkness, Demons of Light: 1“ als erster Teil einer Serie gedacht ist, darf man also gespannt sein auf die Fortsetzung, die noch dieses Jahr erscheinen soll.
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