Eugen Sorg: „Die Lust am Bösen“

Das Böse und wir

Eugen Sorg: „Die Lust am Bösen“ (Sachbuch)

Längst haben wir das Böse wegerklärt und reden stattdessen von Erfahrungen der Ausgrenzung, Immigrationshintergründen und Identitätsproblemen. Eugen Sorg gibt in „Die Lust am Bösen“ auf die Frage, woher das Böse kommt und warum wir es trotz aller Erfahrung immer noch nicht losgeworden sind, eine unbequeme Antwort.

Von Sandra Despont.

dielustambösenEs ist oft sprachloses Unverständnis und Hilflosigkeit, Trauer und Wut zugleich, die uns angesichts scheinbar unmotivierter Gewalt und Brutalität überfallen. Wie kann man an einem Bild des grundsätzlich guten Menschen festhalten, wenn man von Mord, Folter und Vergewaltigungen, von Jugendgewalt und Kriegsgräueln hört? Ein Blick in die Geschichte macht erst recht nicht gerade hoffnungsfroh für die Beantwortung der Frage, ob der Mensch in seinem Innersten ein nettes, mitfühlendes Wesen sei oder doch eher ein Monster, dem Menschen ein Wolf. Hatten wir nicht spätestens nach dem 2. Weltkrieg gemeint, jetzt geschähen gewisse Dinge nie mehr? Und gab es danach nicht doch noch Vietnam, den Bürgerkrieg in Ruanda, gab es danach nicht doch noch Jugoslawien, gab es nicht doch noch Abu Ghraib? Eugen Sorg hat sich in „Die Lust am Bösen“, angeregt durch seine schockierenden Erfahrungen in Ex-Jugoslawien, der Frage nach dem Bösen, nach seinem Ursprung und seinem Wesen angenommen. Sorgs Erkenntnisse sind auf den ersten Blick erstaunlich, bestechend, erhellend – um dann in seichten Gewässern zu stranden.

Der Siegesgesang des Bösen

Im Frühjahr 1992 war Eugen Sorg im Auftrag des IKRK im zerfallenden Jugoslawien. Dort wurde er mit einer ganzen Reihe von Schauergeschichten, die alle nach dem Motto „Je unglaublicher und monströser, desto besser“ zu funktionieren schienen, konfrontiert, die sich geflüchtete Bosnier über die Serben erzählten – und umgekehrt. Reflexartig fragte sich Eugen Sorg, warum ihm solche Unwahrheiten aufgetischt wurden. War das nicht ein allzu platter Versuch, die Feinde schlechtzumachen? Die Erkenntnis traf Sorg wie ein Schlag: Das waren keine Schauergeschichten. Es war die Wahrheit, zumindest zum Teil. Tatsächliche Vorkommnisse lagen den berichteten Greueltaten zu grunde. Und Sorg erkannte auch, dass diese Geschichten am lautesten von denjenigen ausgebreitet wurden, die selbst zu den Tätern gehörten. Die Dämonisierung anderer ethnischer oder religiöser Gruppen diente ihnen als Alibi, schweisste sie zusammen und setzte zivilisatorische Hemmungen ausser Kraft. Den Siegesgesang des Bösen nennt Sorg die Geschichten und unwillkürlich müssen einem bei den Beschreibungen dessen, was der Journalist in Ex-Jugoslawien erlebt hat, weitere historische Beispiele ähnlicher Vorfälle in den Sinn kommen.

Otto Normalbürger – ein Totschläger und Vergewaltiger

Sorg zeigt anhand von Ex-Jugoslawien eindrücklich auf, wie nationalistische und religiöse Motive als Feigenblatt für unvorstellbare Gewalttaten dienen. Nicht hehre Ideale treiben die Menschen voran, so Sorg, sondern die Gier nach Macht und das Begehren, diese in einem kollektiven Siegesrausch, im Triumph über die vernichteten Feinde zu feiern. Schockierend für Otto Normalbürger muss dabei vor allem sein, dass gerade die grosse Masse der Otto Normalbürger in der Regel kaum zögern, bevor sie ihr Zivilisationskittelchen abstreifen und zu Totschlägern, Vergewaltigern, Informanten oder Plünderern werden. Es ist ein ernüchterndes Bild, das Sorg hier zeichnet. Es ist das Bild von jungen Burschen, die an ihren Wochenenden in ihre Heimat reisen, um dort an Massenvergewaltigungen teilzunehmen oder um Jagd auf ihre Feinde, die irgendwann mal Nachbarn waren, zu machen. Nicht aus ideologischen Gründen, wie Sorg feststellt, sondern schlicht, „weil sich die Gelegenheit dazu bot.“

Entlarvung von Verständnis, Toleranz und Therapiekultur

Diesem fulminanten Start in die Thematik schliesst Sorg eine kurze Analyse der westlichen Moderne an, die Gewalt ächtet und den intrinsischen Charakter des Bösen konsequent leugnet. Im politisch korrekten Bannkreis des toleranten Neoutopismus werden krampfhaft Entschuldigungen für Gewalttaten gesucht, etwa für einen Pfleger, der die ihm Anvertrauten reihenweise abmurkste. Vom Stress der Pflegenden, von dem Gefühl, von Vorgesetzten und Gesellschaft in Stich gelassen worden zu sein, von fehlender Gesprächskultur ist da die Rede. Eugen Sorg entlarvt diese Erklärungen als unsere Unfähigkeit, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass Gewalt aus purer Lust an Gewalt und Macht entsteht, dass das Böse eine Kraft ist, die nicht durch Banalitäten wie nette Gespräche und Verständnis gebändigt werden kann. Natürlich zieht Sorg hier auch das Experiment Milgrams und die Erkenntnisse Hannah Arendts heran, um seine These zu stützen. Und ja, seine Argumentation ist, mit vielen Beispielen unterlegt, überzeugend. Seine Schlussfolgerungen mögen uns nicht gefallen, doch das Leben ist nunmal kein Wunschkonzert, die Wahrheit nicht immer wie ein Bad in Rosenblüten. Und wenn Berufsschüler aus der Schweiz bei der Einvernahme keine Reue zeigen, wenn Jugendliche, die regelmässig wehrlose und zufällig ausgewählte Passanten verprügeln, von einer „geilen Zeit“ sprechen, dann hört das doch irgendwie auf, diese Taten mit schwieriger Jugend, unterdrückten Gefühlen und unsensiblen Vätern zu erklären und, wenn nicht wenigstens ein hübscher Immigrationshintergrund zu finden ist, allenfalls auch mit zu liebevollen Eltern und einer allzu reibungslosen Schulkarriere.

Pointierte Analyse unserer westlichen Seele

Über knapp hundert Seiten hält Sorg ein eindringliches, überzeugendes Plädoyer dafür, endlich unsere Idee vom Bösen, das bloss aus Bösem kommt und die Täter damit zu den eigentlich bedauernswerten Opfern macht, zu überdenken. Er stützt seine These von der Lust an der Gewalt durch zahlreiche historische und aktuelle Fallbeispiele, zum Teil haarsträubenden Aussagen von Tätern, Zeitungsartikeln, die die reflexhafte Suche nach den wahren Schuldigen belegen, die unvermeidlich auf jede unverständliche Gewalttat folgt, durch eine pointierte Analyse unserer westlichen Seele, die so gerne an das Gute im Menschen und den Triumph der Vernunft und des Mitgefühls glauben möchte. So weit, so erhellend.

Rundumschlag gegen den Islam

Doch dann nimmt „Die Lust am Bösen“ eine überraschende, eine enttäuschende Wende. Den Rest des Buches bringt Eugen Sorg damit zu, eine Anklage gegen den Islam(ismus) zu schreiben. Dass er den Mythos in Frage stellt, der einen Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und Terrorneigung sehen will, leuchtet noch ein. Doch je näher Sorg den Islam in die Nähe einer undemokratischer Weltsicht rückt, die Muslime unter den Generalverdacht des Antisemitsmus stellt, je empörter er den gewalttätigen Erziehungsstil in muslimischen Familien und die Benachteiligung der Frau in der islamischen Welt beschreibt, desto mulmiger wird einem. Geht es dem Autor hier noch um eine nüchterne, sachlich fundierte Analyse der Gewalt? Wieso beklagt er hier, dass sich weite Teile des Islam offenbar von dem „Pakt mit der Moderne“ abgemeldet haben, wo er doch im ersten Teil seines Buches nicht gerade zimperlich mit den Fehlvorstellungen umgegangen war, die ebendiese Moderne hervorgebracht hat? Sorg attestiert hier in einem Rundumschlag der islamischen Welt Fortschrittsunfähigkeit und eine Neigung zur Gewalt. Indem er nicht konsequent zwischen radikalem Islam und Islam trennt, tut er seiner Glaubwürdigkeit aber keinen Gefallen. Manches scheint übertrieben – nicht zuletzt auch angesichts der Ereignisse, die in den letzten Wochen in der arabischen Welt vonstatten gegangen sind, nicht zuletzt angesichts der zukunftsgewandten Stimmen, die wir in den letzten Wochen aus den arabischen Diktaturen vernommen haben, nicht zuletzt angesichts der Dialogbereitschaft der längst in Europa heimischen Muslime.

So überzeugend der erste, so tendenziös der zweite Teil von Eugen Sorgs „Die Lust am Bösen“. Viel lieber als mehrere Kapitel Diffamierung einer Religion hätte man nach der brillanten Analyse des ersten Teils gelesen, wie die Gesellschaft nach Meinung Eugen Sorgs mit dem Bösen in unserer Gesellschaft umgehen müsste, wie man es zwar nicht aus der Welt schaffen, aber es beherrschen lernen könnte. Doch nach der langen Tirade über den Islam, weiss man nicht mehr so recht, was man überhaupt von Eugen Sorg halten mag, ob sich der Autor damit nicht in eine Ecke gestellt hat, die der Diskussion um seine bedenkenswerten Erkenntnisse zur Natur des Bösen mehr schaden als nutzen.


Titel: Die Lust am Bösen
Autor: Eugen Sorg
Verlag: Nagel & Kimche
Seiten: 160
Richtpreis: CHF 24.90

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