Hamed Abdel-Samad: „Der Untergang der islamischen Welt“
Krebsdiagnose für eine Religion
Hamed Abdel-Samad: „Der Untergang der islamischen Welt“ (Sachbuch)
Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war geprägt von den Spannungen zwischen dem Westen und der arabischen Welt, die sich in zahlreichen Terroranschlägen und zwei Kriegen entluden. Der ägyptischstämmige Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad sieht darin ein letztes Aufbäumen der untergehenden islamischen Kultur. Seine Prognose ist provokativ und einseitig, aber ebenso faszinierend.
Von Lukas Hunziker.
Ich habe bisher wenige Sachbücher gelesen, deren Einleitung mich so erzürnt hat wie jene der vorliegenden „Prognose“, wie der Autor sein Buch bezeichnet. Immer hatte ich mich gegen Pauschalurteile gegen den Islam gewehrt und rassistische Kampagnen, wie sie die politische Rechte der Schweiz führt, verurteilt. Islamischer Fundamentalismus, argumentierte ich stets, habe seine Wurzeln nicht in der Religion, sondern sei eine Folge des westlichen Imperialismus, welcher wegen seiner Ölinteressen nicht an einer Demokratisierung muslimischer Länder interessiert sei. Hamed Abdel-Samad, der als Europaskeptiker nach Deutschland kam, sein Weltbild dann aber grundlegend überdachte, schiesst bereits in der Einleitung mit allem, was er hat, nach dem Islam und verkündet dessen Untergang, als sei dieser mathematische Gewissheit.
Ein Grund für den anfänglichen Frust über das Buch war Abdel-Samads Mangel an Sachlichkeit. Ich hatte auf ein Sachbuch gehofft, welches wissenschaftlich fundiert Auskunft über die wirtschaftliche und kulturelle Zukunft des Abendlandes enthält. Stattdessen erzählte mir der Autor Anekdoten aus seinem Privat- und Berufsleben, welche ihn zu seiner Prognose bewegten. Und so was nannte sich Sachbuch. Statt einer Prognose gab es eine Prophezeihung, statt einer sachlichen Abhandlung eine persönliche Abrechnung, statt Fakten Behauptungen. Nach der Einleitung war ich mir sicher: Meine Rezension des Buches würde vernichtend sein.
Ebenso Täter wie Opfer
Diese vorgefertigte Meinung geriet jedoch bald ins Wanken. Die Anekdoten, welche der Autor in den nachfolgenden Kapiteln erzählte, schienen mir zwar immer noch kaum aussagekräftig, begannen mich aber immer mehr zu faszinieren. Obwohl es mir nach wie vor widerstrebte, dass Abdel-Samad den Westen so gut und den Orient so schlecht wegkommen liess, schaffe er es dennoch, mein Bild vom Islam ins Wanken zu bringen. Dass die amerikanische und europäische Wirtschaftspolitik einen wesentlichen Einfluss auf die Radikalisierung des Islams in arabischen Staaten hatte und hat, glaube ich nach wie vor. Doch dass sie ebenso das Resultat der islamischen Ablehnung von Aufklärung und Moderne ist, führte mir das Buch deutlich vor Augen.
Mit Zitaten aus ägyptischen Schulbüchern, einer Schilderung der Reaktionen auf die Mohamedkarikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten, mit Anekdoten zum Verhalten arabischer Wissenschaftler an westlichen Kongressen oder dem Schicksal seiner eigenen Nichte, die als Kind beschnitten und zwangsverheiratet wurde, führt der Autor vor Augen, welch ein verzerrtes Welt-, Selbst- und Fremdbild in einem Grossteil der arabischen Welt vorherrscht. Die Integrationsunwilligkeit vieler Muslime führt Abdel-Samad genau auf diese verzerrte Selbstwahrnehmung zurück, in welcher er auch die Wurzeln des Terrorismus sieht. Es sei nicht überraschend, dass der Integrationsdiskurs vor allem im Zusammenhang mit muslimischen Immigranten geführt werde, denn deren Glaubensgrundsätze seien mit dem Konzept der Integration ganz einfach nur schwer vereinbar.
Weiterleben nur ohne Dschihad und Scharia
Für ein Burkaverbot oder andere Initiativen, welche die Glaubensausübung von Muslimen erschweren wollen, werde ich auch nach der Lektüre von Abdel-Samads Prognose nicht stimmen. Dass Kritik am Islam jedoch unabdingbar ist, um diesen mit dem 21. Jahrhundert zu versöhnen, davon kann „Der Untergang der islamischen Welt“ überzeugen. Nur in der Überwindung von Dschihad und Scharia kann laut Abdel-Samad ein aufgeklärter Islam entstehen, der ohne Spannungen im und mit dem Westen existieren kann.
Ein Kritikpunkt an Hamed Abdel-Samads Buch bleibt dennoch. Während er mit dem Islam hart ins Gericht geht, kommt der Westen bis zum Schluss zu gut weg. Auch unser Weltbild krankt und bedarf dringend der Überarbeitung. Das hartnäckige Widerstreben, sich mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auseinanderzusetzen, führt auch hierzulande je länger je mehr in den Fundamentalismus. Auch im Westen fürchten sich Wirtschaft und Politik vor dem Neuen und flüchten sich in die scheinbare Einfachheit des Althergebrachten. „Der Untergang der westlichen Welt“ ist ein Buch, das erst noch zu schreiben ist.
Titel: Der Untergang der islamischen Welt
Autor: Hamed Abdel-Samad
Verlag: Droemer
Seiten: 240
Richtpreis: CHF 32.90