„Goethe!“ von Philipp Stölzl

„Es ist die Liebe…

„Goethe!“ von Philipp Stölzl

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…die die Welt im Innersten zusammenhält!“, erklärt der junge Sturm-und-Drang-Goethe – und lebt danach. Sein Herz schlägt kräftigst für Charlotte Buff; die leider schon so gut wie verlobt ist. In „Goethe!“ präsentieren sich Goethe als ein widerspenstiger Heisssporn und das 18. Jahrhundert als etwas zwischen Märchenwelt und Biedermeierparadies. Das passt zum Film, der eine recht gelungene Mischung zwischen Autorenporträt und Literaturverfilmung ist.

Von Sandra Despont.

Mit Tolldreistigkeiten fängt es an. Jurastudent Goethe fällt mit Pauken und Trompeten beim Staatsexamen durch. Statt einen Doktorhut anzuziehen, scharrt er „Lecket mich!“ in den Schnee vor dem Prüfungszimmer. Als verwöhnter Bengel erscheint der junge Goethe, als übermütiger Jungdichter, voller Verachtung für alterwürdige Studien und erst recht für die seiner Meinung nach schwülstige Dichtung der Zeit, in der sich konsequent „Schmerz“ auf „Herz“ reimt. Doch auch mit seiner Dichtung hat der ehrgeizige Jüngling vorerst keinen Erfolg. Sein Erstlingsdrama, „Götz von Berlichingen“, wird von einem Verleger abgelehnt. Vom Vater wird er kurzerhand nach Wetzlar geschickt, wo er am Reichskammergericht seine Jurastudien weiterbetreiben soll. In einem Kaff, in einer trockenen Amtsstube, sollen dem nutzlosen Sprössling die Flausen ausgetrieben werden. In der Amtsstube wird Goethe mit verstaubtem Papierkram überhäuft, nach seinen Saufgelagen wird er vom Gerichtsrat persönlich aus dem Bett geholt und zu noch mehr Arbeit verknurrt.

Wilde Herzen, kalte Konvention

Auf einer Tanzveranstaltung lernt Johann Goethe die ungestüme, ein bisschen alberne, aber äusserst charmante Charlotte Buff kennen, an die er bald sein Herz verliert. Doch Familie Buff wird von Geldsorgen geplagt, eine Liebesheirat mit einem Studenten steht für die älteste Tochter einer grossen Geschwisterschar nicht ganz zuoberst auf dem Programm. Nichtsdestotrotz werden die beiden ein heimliches Liebespaar, das gegen alle Vernunft der Zeit der Romantik frönt. Lottes wohlmeinender Vater hat derweil die perfekte Partie für seine reizende Tochter ausgemacht: Gerichtsrat Kestner, Goethes Vorgesetzter. Dieser, ein eher nüchterner, der Vernunft und dem bürgerlichen Leistungsgedanken und engen Moralvorstellungen verpflichtet,  wirbt ausgerechnet mit Goethes Worten von der „Liebe, die die Welt im Innersten zusammenhält“ um Charlotte – und hat Erfolg. Während Goethe an romantischen Liebesgaben bastelt, plant Charlottes Vater deren Hochzeit, um den finanziellen Ruin von seiner Familie abzuwenden.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

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Wer den „Werther“ kennt, erkennt in „Goethe!“ den Werther, wer Goethe kennt, erkennt in „Goethe!“ Goethe. Weder ist der Film eine Verfilmung des Werks, noch ein authentisches Biopic. Vielmehr ist es eine Fantasie über die Vermischung von Leben und literarischem Schaffen, eine mögliche Version der Entstehungsgeschichte des „Werthers“, eine Annäherung an den jungen Goethe, doch weder das eine noch das andere ist der Film ganz und gar. Bei allem Liebäugeln mit einer romantischen Fantasiewelt, in der nur die Gefühle regieren, bleibt der Film doch mit einem Bein fest in der damaligen Realität verankert. Er wägt die beiden Welten gegeneinander ab, ohne der einen deutlich den Vorzug zu geben. Natürlich fühlt man mit dem jungen, unglücklich verliebten Helden und mit seiner Charlotte mit, doch die Vätergeneration wird keineswegs als so verbohrt dargestellt, wie sie die Stürmer und Dränger gerne gesehen haben. Glücklicherweise wurde Goethes Rivale Kestner, zurückhaltend gespielt von Moritz Bleibtreu, nicht in ein Klischeekorsett gezwängt, sondern darf auch Menschlichkeit, und manchmal sogar Anwandlungen von echten Gefühlen zeigen.

Wenn Realität stärker ist als Imagination

Natürlich ist „Goethe!“ nicht buchstabengetreu dem Leben Goethes nachgebildet. Natürlich ist „Goethe!“ als Literaturverfilmung unbrauchbar. Natürlich ist in „Goethe!“ alles ein bisschen überzeichnet. Natürlich kommen in „Goethe!“ reichlich ach-so-realistische Kulissen vor. Natürlich gibt es tolle Landschaften, natürlich küssen sich Lotte und Goethe in einer malerisch verfallenen Ruine, natürlich, natürlich. Trotzdem: Wer sich auf dieses Spiel mit Realität und Fiktion einlässt, wird überraschend gut unterhalten durch tolle Schauspieler (allen voran: Miriam Stein als Charlotte Buff), eine temporeiche Handlung und zahlreiche einprägsame, gut inszenierte Szenen. „Goethe!“ wird keine neuen Massstäbe setzen, doch der Film ist sorgfältig gemacht und ordentlich, dabei aber weder langweilig noch übermässig um Ernst bemüht, wie das bei einer Annäherung an DEN Übervater der deutschen Literatur zu befürchten war.

Was für den Film gilt, gilt ebenso für die Ausstattung der DVD. Nichts Sensationelles, aber unterhaltsam und ordentlich gemacht. Witzig sind natürlich vor allem die verpatzten Szenen, doch wirklich erhellend ist das kürzeste aller Specials: Eine eineinhalb Minuten lange Sequenz, die sich „Visuelle Effekte in Goethe“ nennt, führt drastisch vor Augen, wie wenig in Zeiten digitaler Bearbeitung die Bilder im Kino mit der Realität zu tun haben. Ein einziger fantastischer Beschiss, das Ganze. Und was für ein schöner Beschiss!


Seit dem 11. März 2011 im Handel.

Originaltitel: Goethe! (Deutschland, 2010)
Regie: Philipp Stölzl
Darsteller: Alexander Fehling, Miriam Stein, Moritz Bleibtreu, Burghart Klaußner, Henry Hübchen, Volker Bruch, Vitus Wieser, Stefan Haschke
Genre: Drama
Dauer: 104 Minuten
Bildformat: 16:9 – 2.35:1
Sprachen: Deutsch
Untertitel für Hörgeschädigte: Deutsch
Audio: Dolby Digital 5.1
Bonusmaterial: Making-of, Musikvideo „Fade Away“, Die Weltpremiere, Kinotrailer, Kinoteaser, Bildergalerie, Nicht verwendete Szenen, Verpatzte Szenen, Castingaufnahmen, Visuelle Effekte in Goethe
Vertrieb: Warner

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