Marie NDiaye: „Selbstporträt in Grün“

Die Erinnerung lebt weiter – manchmal in Grün

Marie NDiaye : „Selbstporträt in Grün“ (Roman)

Gestochen scharfe Bilder, glasklare Ehrlichkeit und eine Direktheit, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen, all dies ist in „Selbstportät in Grün“ vereint. Das Buch lebt und zieht den Leser hinein in das fremde Leben einer Frau, die zwischen Welten, Generationen und Zeiten wandelt und sich dabei selbst treu zu bleiben versucht.

Von Noemi Jenni

SelbstporträtInGrün„Selbstporträt in Grün“ ist ein Puzzle aus unterschiedlichen Erlebnissen aus verschiedenen Zeiten und Begegnungen einer jungen Familienmutter. Verbunden wird das Erzählte elegant durch die Frau in Grün. Diese taucht immer wieder von neuem auf, wandelbar nimmt sie verschiedene Gestalten und Formen an und gibt der Erzählerin die Möglichkeit, sich selbst abzugrenzen und neu zu definieren. Die Frauen in Grün sind „reale Menschen und literarische Figuren zugleich“. Dies klingt sonderbar, ist es aber nicht. Die Frau in Grün verkörpert Eigenschaften und Charakterzüge, die der Erzählerin zuwider und fremd sind. So werden Mutter, Freundin, Stiefmutter und Bekannte in Phasen ihres Lebens zu Frauen in Grün, aber auch der Fluss, der immer wieder über die Ufer tritt und das Zuhause der Erzählerin zu überschwemmen droht. Und welche Rolle spielt die für die anderen unsichtbare Frau in Grün, die Tag für Tag unter der Bananenstaude wartet? Ist sie nur Einbildung? Je mehr man liest, desto vertrauter wird die Erzählerin und umso mehr wird ihr Erlebtes zu Selbsterlebtem.

Magie und trockene Realität

Die wunderbare Sammlung von magischen Erlebnissen und Momentaufnahmen, sorgfältig gewählt, geheimnisvoll und spannend beschrieben, wird mit faszinierenden Schwarz-Weiss-Fotos illustriert. Die verschiedenen Erlebnisse sind nicht chronologisch geordnet, und doch formt sie ein lebendiges, buntes Bild einer weltweit verstreuten Familie, in der alle Mitglieder ständig in Bewegung sind, zueinander Fäden spinnen, nicht übereinander reden wollen, aber trotzdem nicht schweigen. NDiaye lässt uns von einer Welt in die nächste wandern, von Paris nach Ouagadougou – und öffnet Fenster.

„Selbstporträt in Grün“ regt zugleich zum Nachdenken und zum Träumen an und liest sich wunderbar an einem regnerischen Sonntag oder –zum Geniessen dosiert – an mehreren, denn das Ende des Buches kommt allzu schnell.


Titel: Selbstporträt in Grün
Autorin: Marie NDiaye
Übersetzerin: Claudia Kalscheuer
Verlag: Arche Paradies
Seiten: 128
Richtpreis: CHF  25.90

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