NIFFF 2011 – Tag 3

With A Rebell Yell, They Cried: „More, More, More!“

NIFFF 2011 – Tag 3

Tag drei bot mit „Hello Ghost“ einen süd-koreanischen Film, bei dessen Anblick Zynikern ihr schwarzes Herz im rheumatischen Brustkorb verdorrt. Und mit „Norwegian Ninja“ einen Film, der alles hält, was sein ungemein sprechender Titel verspricht. Ausserdem: Südstaaten-Charme mit dem Erfinder des Gore-Kinos und Eli Roth.

Von Christof Zurschmitten.

twothousandcolorUnd hier die Klassiker-News von heute: Herschell Gordon Lewis, einer der Ehrengäste in diesem Jahr und Gore-Übervater, präsentierte mit “2000 Maniacs” seinen persönlichen Lieblingsfilm. Neben einem Crash-Kurs in amerikanischer Geschichte („You know, es gab dort diesen Krieg zwischen einigen Staaten im Süden, und einigen im Norden“) lieferte er auch die Mär von der Entstehung des Titelliedes: Gordon-Lewis sah sich, so will es die gern tradierte Legende, finanziell etwas klamm und nicht erfreut von der unmännlichen Tenor-Stimme des angeheurten Sängers im Aufnahmestudio wieder. Woraufhin er höchstpersönlich und begleitet von nichts als zwei zaghaft gezupften Gitarren und einem herzhaft zwickernden Banjos die Geschichte vom Süden, der sich erneut erheben wird, vertonte. Cue imaginäres Banjo und ein fünfzig Jahre überbrückendes Flashback, und schon finden wir uns im Kinosaal im Neuchâtel wieder, mit einem rhythmisch skandierenden Gordon Lewis am Mikrophon, einem andächtig beiwohnnden Eli Roth (der zweite Ehrengast des Festivals) in der Frontlinie, und zwei Dutzend Zuschauern im Saal, die auf Kommando zwanzig Jahre Redneck-Vorurteile in das beste „Yeeeehaaaa“ packen, das ihre schüchternen Schweizer Kehlen hervorbringen können. Intimität, NIFFF-Style.

Norwegian_NinjaHey, erinnert sich noch jemand an den Trailer von „The Men Who Stare At Goats„? Und wie man für einige kurze Momente naiv daran glauben konnte, dass Hollywood hier eine Ironie der Geschichte ausgegraben hatte, die zu gut war, dass man einen schlechten Film daraus machen konnte? Und wie man im Kino schliesslich der eigenen Hoffnung beim langsamen Verenden zusah, weil dies immer noch interessanter war, als der Film, der einem auf der Leinwand gezeigt wurde?

Trockne deine Tränen, Menschheit: „Norwegian Ninja“ ist alles, was die Ziegenstarrer hätten sein können. Mit NINJAS. Auch hier bietet eine Verirrung der Geschichte den Steilpass zum Absurditäten-Amoklauf, der aber bis zum Ende stramm durchgehalten wird: Anno 1984 wurde der Norweger Arne Treholt zu 20 Jahren Haft verurteil. Das Urteil: Landesverrat, Kollaboration mit dem KGB. Treholt selbst sieht sich selbst freilich bis heute als Opfer der Justiz. Zweiter historischer Fakt: 7 Jahre zuvor wurde im privaten Haus eines gewissen Hans Otto Meyer ein Waffenarsenal gefunden. Die Umstände sind unklar; es wird aber spekuliert, dass Meyer für eine Sonderabteilung des CIAs arbeitete, die als agent provocateur das Misstrauen in die UdSSR und das Zutrauen zur NATO fördern sollte. Dieser Doppelschlag hat das norwegische politische Selbstbewusstsein, das sich – der Schweiz nicht unähnlich – an einem felsenfesten Glauben an die eigene Neutralität aufrichtet, nachhaltig erschüttert.

Es ist zwar nicht notwendig, in der Geschichte des Fjord-Landes bewandert zu sein, um diesem Film folgen zu können –  die Handlung folgt in grösster Selbstverständlichkeit bewährten Genre-Pfaden. Dennoch trägt die Nonchalance, mit der hier ein durchaus brisantes Kapitel der Historie behandelt wird, eindeutig zur Wertschätzung des Films bei. Arne Treholt war, so berichtigt „Norwegian Ninja“, nämlich keineswegs Landesverräter, sondern Oberhaupt eines eigens von König Olaf V. eingesetzten Spezialkommandos, das sich dem Schutz der politischen Identität des Fjord-Landes verschrieben hat – mit Wurfsternen und Rauchbomben. Die im Schatten operierende Ninja-Truppe ringt mit allen Mitteln gegen die grenz-terroristischen Versuche Hans Otto Meyers, Norwegen auf einer Seite des Kalten Krieges Stellung beziehen zu lassen.

Wo Quasi-Superhelden und Kalter Krieg aufeinandertreffen, sind bondeske Kapriolen natürlich nicht weit; „Norwegian Ninja“ verknetet mit grober Hand diese Art von Cold War-Chique (Seitenscheitel! Hornbrillen! Atom-Uboote!) Pseudo-Zeitchronik (Talks-Show-Mitschnitte! Zeitungsschnipsel!) und Ninja-Mystik (Shuriken-Wanzen! Teleport! Per Gedankenkraft eingekleidete Adepten!) zu einem umwälzenden Ball cleveren Unfugs. Überhaupt ist „clever“ das Stichwort: Wo die Ambitionen mit dem Film durchgehen und das Drehbuch nach Spektakel schreit, besinnt sich der Film auf sein Budget und sperrt, ganz im Sinne der heimischen Filmtradition, das Puppenhaus auf; wo es mit der Action-Choreographie happert, schneidet man eben einmal mehr vom üblichen Pseudo-Super8-Filmmaterial zu einer Pseudo-Überwachungskamera. Das geht weitenteils auf, auch wenn man auf den forcierten faux-Dokumentar-Aspekt dankend hätte verzichten können.

Doch wem erzähle ich das. Fakt ist, und das darf gerne in den Geschichtsbüchern so stehen: Dass „Norwegian Ninja“ im engen Rahmen eines Festivals, das während einer Woche im Jahr dem Cleveren und von Herzen Kommenden einen höheren Rang einräumt als dem Souveränen, für anderthalb Stunden nichts weniger war als… der beste Film der Welt.

hello_ghost„Hello Ghost“ des Koreaners Kim Young-tak „clever“ zu nennen wäre dagegen, als würde man einem befreundeten Engländer, der am Telefon japsend um Hilfe fleht, weil ihm eine Kobra ins Bein gebissen hat, erklären, dass dieses Tier auf Deutsch amüsanter Weise auch „Brillenschlange“ genannt wird. Der Film ist durchaus wissend arrangiert und wartet mit mindestens einem unvorhersehbaren Plot-Twist auf; und doch hat er entschieden anderes im Sinn, als für seine Intelligenz bewundert zu werden.

Kim Young-tak erklärte vor Beginn des Films, dass er zum ersten Mal die Gelegenheit habe, seinen Film – der in Süd-Korea ein Kassenschlager war – vor einem europäischen Publikum zu zeigen, und sei auf die Reaktionen gespannt. Was er an Reaktionen beobachten konnte: Eine Menge Lachen. Ein kurzes unruhiges Herumrutschen auf den Sitzen im zweiten Drittel. Und schliesslich seliges Schluchzen. Manly Tears, They Have Been Shed Indeed.

Für einen Film, der als “Komödie” beworben wird, beginnt “Hello Ghost” fantastisch fatalistisch: Mit einem Selbstmordversuch des Protagonisten Sang-man (der aus “My Sassy Girl” bekannte Cha Tae-hyun) nämlich, der allerdings – wie so ziemlich alles in seinem Leben – scheitert. Noch auf dem Krankenbett erkennt er allerdings, dass sein extrem-temporärer Ausflug ins Reich der Toten nicht ohne Folgen war: Fortan sieht er sich von vier Geistern heimgesucht – einem in die Jahr gekommenen Kettenraucher, einem lüsternen Greis, einem zucker-süchtigen Kind und einer larmoyanten Frau. Der an Dauereinsamkeit gewohnte Sang-man kommt mit dem Besuch nicht wirklich zurecht, zumal die Geister sich nicht scheuen, von seinem Körper Besitz zu ergreifen. Sang-man schickt sich also an, sie loszuwerden – und der Weg zur Tür führt einen Geist über seine im Leben nicht erfüllten Wünsche.

Streckenweise erinnert „Hello Ghost“ an eine Slapstick-Variante von Charles Dickens „Christmas Carroll“ – umso mehr, als Kim Young-tak durchaus dem schweren, physischen Witz alles andere als abgetan ist. Auf Spezialeffekte wird grösstenteils verzichtet; wenn Sang-mans Körper etwa besessen ist, wird dies nach allen Regeln der Laurel&Hardy-Kunst ausagiert. Der Humor in „Hello Ghost“ ist vordergründig harmlos, aber durchaus liebenswert.

Was den Film davor rettet, dies als Abschlussurteil stehen zu lassen, ist sein Mut zur Sentimentalität, die aber nicht bloss eine der positiven Gefühle ist: Im Gegenteil grundiert das alles bestimmende Gefühl der Einsamkeit – das, wie der Regisseur unverhohlen zugibt, autobiographisch gefärbt ist – den Film. Vom Kalauer hin zur Trauer ist es in diesem Film nicht weit. Kims grösste Tat ist es, dass man sich beidem bereitwillig hingibt, selbst in Momenten, in denen der Film alles andere als subtile Mittel einsetzt, um die Zuschauer vom einen Zustand zum anderen herumzureissen (und im Zuge die gewünschten Gefühle auch noch ausbuchstabiert): Entgegen der Befürchtungen wirkt dies nicht kalkuliert, sondern allenfalls wie die etwas unberedten Versuche eines Kindes, seinen Eltern in immer unzulänglichen Worten die eigene Euphorie, oder die Tiefen der kindlichen Psyche näherzubringen. „Hello Ghost“ gelingt damit etwas, was im latent zynisch aufgeladenen Klima des NIFFFs selten genug ist: Er erweckt echte Anteilnahme: Eine Tragikomödie als Körper-Genre.

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