Matthias P. Gibert: „Rechtsdruck“
Die Politik als Drecksgeschäft
Matthias P. Gibert: „Rechtsdruck“ (Kriminalroman)
Im siebten Kriminalroman mit seinem Ermittler Hauptkommissar Paul Lenz taucht Gibert tief in die aktuelle Diskussion um Integration, Ausländerkriminalität, Vorurteile und politische Taktiererei mit der Wählergunst ein. Das wäre total spannend, wenn Gibert die direkte Rede seiner Figuren nur öfter unkommentiert lassen würde.
Von Sandra Despont.
Nach einem heftigen Streit mit dem ältesten Sohn, Kemal Bilgin, wird ein älteres türkisches Ehepaar samt jüngstem Sohn brutal ermordet. Kemal verschwindet. Was liegt näher, als ihn als Täter zu vermuten? Ein paar Tage zuvor wurde ein rechtsgerichteter arbeitsloser Autolackierer namens Gerold Schmitt fast zu Tode geprügelt. Er hatte sich vor einiger Zeit Ärger mit einem Türken namens Kemal Bilgin eingehandelt. Ein Racheakt liegt auf der Hand. Doch ist wirklich alles so einfach? Hauptkommissar Paul Lenz hofft zunächst auf einen klaren Fall, muss aber bald erkennen, dass sich nicht alles so verhält, wie es sich am Anfang präsentiert. Und je weiter er ermittelt, desto tiefer gerät er in einen Sumpf von politischem Kalkül, in dem auch kaltblütige Verbrechen Platz haben.
Verzeihbare Vereinfachungen
Matthias P. Gibert verbindet in seinem Kriminalroman Fragen, die besonders seit Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ aktueller sind denn je. In Giberts Roman geht es um türkische Einwanderer, die auch nach Jahren die deutsche Sprache nicht beherrschen, die sich nach Jahren scheinbarer Integration einer neuen islamischen Religiosität hingeben und die Sitten des Gastlandes zu verachten beginnen. Er erzählt aber auch von denjenigen, die sich im Gastland aufgehoben fühlen, ja, von denen, für die Deutschland nichts anderes mehr ist als Heimat. Indem Gibert im Porträt einer einzigen Familie ein so weites Spektrum an Anpassungs- und Verweigerungsreaktionen zu fassen versucht, gerät ihm zwar einiges zum Klischee, etwa die auch nach Jahren noch immer nicht Deutsch sprechende türkische Familienmutter, die wacker das Patriarchat verteidigt, unter dessen Knute sie selbst lebt, doch für einen Kriminalroman, dessen Fokus mehr auf den politischen Verstrickungen als auf der differenzierten Darstellung seiner Figuren liegt, mag das verzeihbar sein. Auch dass Gibert seine LeserInnen ab und zu allzu sehr belehrt, statt auf ihr Allgemeinwissen, ihre Intelligenz und ihre Fähigkeit, unbekannte Begriffe selbst nachzuschlagen zu vertrauen, übersieht bzw. überliest man angesichts der packenden Handlung gerne.
Überzeugende Verstrickungen
Tatsächlich findet „Rechtsdruck“ seine Stärke darin, den Machtwillen ehrgeiziger Politiker ungeschönt darzustellen. Mehr als einmal möchte man die Ränkeschmiede hinter den Kulissen, die Kemal Bilgin als willkommenen Sündenbock benutzen, vor die Füsse, wenn nicht gar mitten ins Gesicht spucken. So oberflächlich hier die Personenbeschreibung Giberts bleibt, so ernüchternd ist das Wissen, dass die Charakterisierung seiner Figuren sehr wohl der Realität standhalten würde. Der Plot mit allen politischen Verstrickungen überzeugt. Der Eindruck, dass Politik trotz aller schöner Reden und hoffnungsfroher Ideologien letztendlich allzu oft ein Drecksgeschäft ist, kann beim Lesen dieses Romans ebenso enstehen, wie wenn man Diskussionen um Integration, um die Finanzkrise oder die Hilfe für Griechenland verfolgt. Gibert legt hier gekonnt seinen Finger auf einen wunden Punkt, der umso wunder wird, je mehr Politiker sich durch populistische Reden in die Gunst der breiten Bevölkerung einzuschleimen versuchen und dabei die Sorgen dieser Bevölkerung höchstens zur eigenen Popularitätssteigerung missbrauchen.
Direkte Rede fürs Ausdrucksseminar
Nicht ganz überzeugend, jedenfalls für eine Erstleserin der Lenz-Reihe, die mit dem Hauptkommissar nicht vertraut ist, ist hingegen der Einblick in das Privatleben des Hauptkommissars. Dieses scheint zu sehr einem schönen (und ziemlich feuchten) Traum entsprungen, seine Maria allzu redegewandt, witzig, perfekt. Zu wenig Widerstände, zu wenig wirklich Charakteristisches ist hier zu finden, so dass die Figuren trotz aller Überzeichnung immer etwas gar beliebig erscheinen. Das gilt ebenso für die überirdisch gute Maria wie für den Oberbösewicht des Romans, der selbstverständlich nicht nur ein korrumpierter Politiker und rücksichtsloser Machtmensch sein kann, sondern natürlich auch in seinem Privatleben ein widerwärtiger, gewalttätiger Typ sein muss. Dazu kommt die mit der Zeit ständig gleich eintönig gestaltete direkte Rede, die Gibert kaum je unkommentiert lässt. Auf die Aussage in direkter Rede folgt regelmässig eine Charakterisierung davon, wie diese Worte nun von wem gesagt wurden. Die Redenden giften, frotzeln, erwidern, beenden, schleudern einander entgegen, echoen, werfen ein, murmeln, dass es bei einem Seminar für vielseitige Ausdrucksweise eine wahre Freude wäre. Als Leser findet man das hingegen nach einer Weile bloss noch nervig. Man wünschte sich, dass sich Gibert mehr auf sein Gespür für Aktualität und sein Geschick im Knüpfen von Handlungsfäden verlassen würde. Denn in den Passagen, in denen er seine Handlung Fahrt aufnehmen und seine Figuren ungekünstelter und direkter reden lässt, ist „Rechtsdruck“ nur noch eins: ein packender, ungeheuer spannender Kriminalroman, der einen gerade wegen seiner Verankerung in der aktuellen politischen Realität nicht kalt lässt.
Titel: Rechtsdruck
Autor: Matthias P. Gibert
Verlag: Gmeiner
Seiten: 366
Richtpreis: CHF 18.90