„Ich denke nicht, dass man vor seinen Wurzeln wegrennen kann“

„Ich denke nicht, dass man vor seinen Wurzeln wegrennen kann“

Alle Bilder: Universal Music
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Interview Anna Ternheim, 28.10.2011

Mit ihrem vierten Album „The Night Visitor“ ist der schwedischen Songwriterin Anna Ternheim ein Werk von zeitloser Schönheit gelungen. Nahaufnahmen.ch sprach mit Anna über ihre Studienzeit in Lausanne, die Energie ihrer Wahlheimat New York, die Zusammenarbeit mit Will Oldham, Inspirationen für ihre Lieder und ihre Demut gegenüber der Natur.

Obwohl es in New York City erst 9.30 Uhr morgens ist, tönt Anna Ternheims Stimme am anderen Ende der Telefonleitung bereits hellwach: „Ich bin soeben Kaffee holen gegangen und laufe durch die Stadt, um einen ruhigen Ort zu finden. Es ist gerade ziemlich lärmig um mich herum“.

Nahaufnahmen.ch: Anna, was war der Auslöser dafür, dass du vor dreieinhalb Jahren von Schweden nach New York umgezogen bist?

Anna Ternheim: Vor sechs oder sieben Jahren war ich hier im Urlaub. Dies war eine wunderbare Erfahrung. Ich erinnere mich daran, dass ich damals dachte: „Irgendwann einmal will ich hier leben“. Solche Gefühle hat man in den Ferien oftmals, macht dann aber meistens nichts daraus. Etwa ein Jahr später kontaktierte mich die Plattenfirma Universal/Decca. Sie hatten meine Musik gehört, wollten mit mir arbeiten und meine Musik in den USA veröffentlichen. Man half mir, ein Visum zu erhalten, Tourdaten wurden geplant. Plötzlich war es einfach eine gute Zeit, um umzuziehen. Ich hatte die Möglichkeit und sagte mir: „Ich versuche es und schaue, ob es mir hier in New York gefällt“. Und dann bin ich einfach geblieben. Nun sind bereits dreieinhalb Jahre vergangen. Wie lange ich hierbleiben werde, weiss ich allerdings nicht.

Was gefällt dir in New York am besten?

Die Stadt ist sehr multikulturell. Menschen aus allen Ecken der Welt wohnen hier. Du findest alles, was du brauchst. Die Stadt ist zudem sehr nonkonformistisch. Man kann hier leben, wie man möchte. Ich schätze das sehr. Das Leben einer Musikerin folgt ja anderen Routinen: Man hat einen verrückten Tagesablauf, insbesondere was Schlaf- und Essenszeiten betrifft. Einfach die Art und Weise, wie man als Musikerin lebt und arbeitet. Hier in New York gibt es mehr Leute als in Stockholm, die dasselbe machen wie ich.

Welche Unterschiede gibt es sonst noch, wenn man als Songwriterin in New York statt in Schweden lebt?

Ich kann als Songwriterin und Musikerin eigentlich überall arbeiten. Es geht mehr darum, sich im Moment an dem Ort, wo man lebt, wohl zu fühlen. Ich habe auch einmal für zwei Jahre in der Schweiz gelebt. Es waren zwei sehr gute Jahre. Ich habe dort viele Lieder geschrieben und war total glücklich. Hier in New York gibt es allerdings mehr Songwriter als in Schweden. Der Wettbewerb ist deshalb sehr hart und das Niveau sehr hoch. Fantastische Musiker spielen hier auf kleinen Bühnen und kämpfen um ihren Platz.

Bist du zum Studium in die Schweiz gekommen?

Ja, ich wollte immer Französisch lernen und aus irgendeinem Grund bin ich dann in Lausanne gelandet. Zudem hat meine Familie während ein paar Jahren in der Schweiz gelebt und da dachte ich mir, ich könnte ebenso gut in der Schweiz studieren. Ich habe während anderthalb Jahren an der Universität in Lausanne studiert und habe es wirklich genossen. Als Studentin war Lausanne ein fantastischer Ort für mich. Das ist aber schon lange her.

Wann war das genau?

Im Jahr 1999 bin ich in die Schweiz gekommen. Da war ich gerade 20 Jahre alt.

Was hat dir in der Schweiz besonders gut gefallen?

Der Alltag als Studentin und der Lac Léman waren natürlich fantastisch. Die Schweiz hat mir aber auch als Ganzes sehr gefallen: Ich hatte das Gefühl, im Zentrum der Dinge zu stehen. In Stockholm hat man dieses Gefühl nicht. Man ist dort irgendwie abgeschnitten vom Rest Europas. Ich erinnere mich daran, wie einfach das Reisen war, wie schnell man andere Orte erreicht hat. Die schwedische und die Schweizer Mentalität sind zudem sehr ähnlich. Es war für mich deshalb keine grosse Veränderung, in die Schweiz zu ziehen. Ich habe mich dort sehr schnell zuhause gefühlt. Man weiss ja nie, für wie lange man irgendwo landet. Ich hätte mir aber vorstellen können, längere Zeit in Lausanne zu leben und ich habe immer noch Freunde, die dort wohnen.

Gibt es an deinem heutigen Wohnort New York Dinge, die du aus deinem Heimatland Schweden vermisst?

Ich denke nicht, dass man vor seinen Wurzeln wegrennen kann. Der Bezug und die Bindung zu seinem Heimatland sowie die Erinnerungen, beispielsweise an die Gerüche, das Essen oder das Wetter, bleiben. Natürlich vermisse ich meine Familie. Stockholm ist auch kleiner und sauberer als New York. Man kann mit dem Fahrrad unterwegs sein und überall in der Stadt schwimmen gehen. Das gibt einem ein Gefühl von Freiheit. Es ist einfach, herumzukommen und das Leben ist ganz allgemein einfacher. New York ist überfüllter, dreckiger und sehr teuer. Das Leben ist in New York eher ein Kampf. Alle Leute erfahren das auf eine gewisse Art und Weise, ob man jetzt Musiker ist, in einem Restaurant arbeitet oder versucht, ein Geschäft aufzubauen. Dieser Kampf gibt der Stadt aber auch eine enorme Energie. Diese Energie ist so stark, manchmal scheint es, man könne sie anfassen. Das kann man in Stockholm nicht.

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Also gibt dir diese Energie Inspirationen für deine Lieder?

Ja, aber diese Energie hat irgendwie auch eine seltsam beruhigende Wirkung auf mich. Ein Teil der Arbeit als Songwriterin ist sehr introvertiert. Ich verbringe viel Zeit alleine und schreibe. Dann mache ich die Türe zu, schliesse mich von meiner Umwelt aus und versuche, aus mir herauszubekommen, was mich tief in meinem Innern beschäftigt. Wenn es mir dann schwerfällt, alleine zu sein, oder ich frustriert bin, habe ich gleich draussen vor der Tür tausend Dinge, die auf mich warten. Für den Schreibprozess ist dies ideal: Ich kann mir draussen in der Stadt Inspirationen holen, kann aber auch meine Ruhe haben. Zudem muss ich nicht das Gefühl haben, etwas zu verpassen, weil sowieso immer etwas läuft (lacht).

Es gibt eine nette Anekdote, dass es in der Nacht, als du 1978 geboren wurdest, einen kompletten Stromausfall gab und du im Licht von Taschenlampen zur Welt gekommen bist. Deshalb würdest du Lieder für die nächtlichen Stunden schreiben. Bist du aus diesem Grund auch in der Nacht am kreativsten?

Es stimmt nicht ganz, dass ich meistens in der Nacht schreibe. Ich mache das zwar gerne, schreibe aber auch oft am Morgen. Wenn ich auf Tour bin, lebe ich in der Nacht, gehe spät zu Bett und schlafe am Morgen. Wenn ich aber zuhause bin, liebe ich es, früh aufzustehen und das erste Morgenlicht zu sehen. Die ruhigen Morgenstunden sind sehr angenehm, um Lieder zu schreiben. Es wurde mir aber oft gesagt, dass meine Musik zu den nächtlichen Stunden passt und die Zuhörer sozusagen auf eine nächtliche Reise schickt. Die Nacht ist eine gute Zeit, alles andere rundherum auszuschalten und der Musik wirklich zuzuhören.

Man hat dann die Ruhe, sich wirklich auf die Musik zu konzentrieren…

Ja genau. Deshalb mag ich es, in der Nacht Radio zu hören. Es ist so ruhig rundherum. Man hört sich die Lieder an, achtet auf den Text und erfährt, was die Musiker einem sagen wollen.

Eine gebrauchte Gibson-Gitarre aus den 30-er Jahren, die du in einem Geschäft in Brooklyn entdeckt hast, sei für den Entstehungsprozess deines neuen Albums sehr wichtig gewesen. In welcher Art und Weise war diese Gitarre so wichtig für dich?

Es gibt keine bestimmten Regeln oder Methoden, um einen kreativen Prozess in Gang zu setzen. Es ist eher etwas, wonach man suchen muss: Eine Kombination von purem Zufall und einer Absicht, die man hegt. Ich wollte diesmal ein eher gitarrenlastiges, musikalisch reduziertes Album machen. Das lag daran, dass während der meisten Zeit, die ich als Musikerin verbringe, die Gitarre mein wichtigstes Arbeitsgerät ist. Ich gebe viele akustische Konzerte. Bisher habe ich jedoch nie eine Platte gemacht, die das wirklich widergespiegelt hat. Früher habe ich meinen Gitarren auch nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, denn ich bin eigentlich zuallererst eine Songwriterin und keine Gitarristin. Diesmal habe ich aber ein Instrument gesucht, welches zu den Liedern passt, die ich geschrieben habe. Ich hatte einen gewissen Klang im Kopf. Deshalb habe ich meine Augen offen gehalten. Immer, wenn ich an einem Gitarrenladen vorbeikam, bin ich hineingegangen und habe mich umgeschaut. Dann habe ich diesen fantastischen Gitarrenladen in Brooklyn gefunden. Es ist schwer zu beschreiben, aber als ich diese Gibson-Gitarre sah und in den Händen hielt, hatte ich das Gefühl, sie sei wie für mich gemacht. Zudem tönte sie genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Deshalb habe ich mir die Gitarre gleich gekauft und entschieden, dass sie der Ausgangspunkt für meine neue Platte sein wird und ich die Lieder um diese Gitarre herum aufbauen werde.

Deine neue Platte „The night visitor“ wurde von Matt Sweeney produziert, der auf deinem letzten Album „Leaving on a mayday“ auf einigen Songs Gitarre gespielt hat. Wie kam es dazu, dass er nun für die Produktion des neuen Albums verantwortlich war?

Das war purer Zufall. Ich hatte mir meine neue Gitarre gekauft und zu Beginn etwas Mühe damit, herauszufinden, wie man am besten darauf spielt. Ich habe deshalb Matt Sweeney angerufen, weil ich finde, dass er auf meinem letzten Album grossartig gespielt hat. Er hat mir Gitarrenstunden gegeben und mir geholfen, die neuen Lieder zu arrangieren. Wir haben uns also getroffen und zusammen musiziert. Das hat so viel Spass gemacht. Wir haben uns sehr gut verstanden, es gab eine grossartige Energie zwischen uns. Man hat eine gewisse Idee, wie ein Lied klingen soll und die andere Person versteht einen, ohne dass man sich immer gleich in Worten ausdrücken muss. Irgendwann hat Matt gesagt: „Hey, ich denke, ich sollte deine neue Platte produzieren.“ Er war es auch, der vorgeschlagen hat, nach Nashville zu gehen und die Platte im Studio von Dave Ferguson aufzunehmen, der an den „American Recordings“ von Johnny Cash mitgearbeitet hat und ein fantastischer Toningenieur ist.

Warst du zum ersten Mal in Nashville oder hast du dort bereits Konzerte gegeben?

Ich war zuvor noch nie in Nashville und wusste deshalb nicht, was mich dort erwartete. Da ich mir nicht wirklich Country-Musik anhöre, hatte ich nie den Wunsch, wegen der Musik nach Nashville zu fahren.Die ersten Tage in der Stadt war ich vor allem im Butcher Shoppe-Studio. Dieses liegt in einem alten Fabrikgebäude auf einer Anhöhe etwas ausserhalb der Stadt und wir waren dort sozusagen in unserem eigenen Universum. Vom Studio aus konnte man aber die Skyline von Nashville sehen. Bis ich das Nashville, von dem alle reden, erlebt habe, brauchte es deshalb seine Zeit. Nashville kann man aus verschiedenen Perspektiven betrachten: Das, was sich viele Leute unter Nashville vorstellen – die Musikwelt, Bars, welche 24 Stunden geöffnet sind, in denen pausenlos Musiker singen und Gitarre spielen – fühlt sich wie ein Teil von Nashville an, der sich infolge des Tourismus so entwickelt hat. Die ganze Musikindustrie-Seite Nashvilles ist eine Art Fabrik: Musiker gehen in ein Studio und nehmen innerhalb von fünf Tagen ihre Platte auf. Dann gibt es auf der anderen Seite ein Nashville, dessen Einwohner gar keinen Bezug zur Country-Musik haben. Sie sind beispielsweise nach Nashville gezogen, weil es dort eine grosse Universität gibt. Zudem sind die Häuser günstig. Ich kenne einige Leute aus New York, die nach Nashville umgezogen sind, weil sie dort mehr Raum für ihr Geld erhalten.

Auf deiner neuen Platte haben viele bekannte Musiker mitgewirkt: Neben dem legendären Cowboy Jack Clement, der auf dem Album Dobro spielt, unter anderem auch Will Oldham, besser bekannt unter dem Namen Bonnie „Prince“  Billy. Er singt auf „Walking Aimlessly“, „Bow your head“ und „All Shadows“ im Hintergrund mit. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?

Es war grossartig. Ich habe ihn zuvor schon mal in einer Bar in New York getroffen, nach einem seiner Konzerte. Er ist zudem mit Matt Sweeney befreundet. Die beiden haben in der Vergangenheit oft zusammen gearbeitet, auch mit Dave Ferguson. Will Oldham hat ausserdem ein Album des schwedischen Musikers Nicolai Dunger produziert, der ein Freund von mir ist und dessen Musik  ich sehr gerne mag. Will kam also eines Tages im Studio vorbei und hat die Background Vocals eingesungen. Ich bin ein ziemlich grosser Fan von ihm und bin deshalb sehr glücklich, dass er bei meinem neuen Album mit von der Partie ist. Er ist ein fantastischer Songwriter und hat diesen klassischen, amerikanischen Melodie-Sound. Man hat das Gefühl, seine Lieder seien schon vor Ewigkeiten entstanden.

Dein neues Album „The Night Visitor“ besteht aus wunderschönen Folk-Balladen, die ebenfalls durch eine zeitlose Schönheit bestechen. Ich habe gelesen, dass das irische Folk-Lied „Night Visiting Song“ von Luke Kelly die Inspiration für den Titel deiner neuen Platte war. Inwiefern hat der „Night Visiting Song“ nicht nur den Titel sondern auch die Produktion deines neuen Albums inspiriert?

Die Melodien und Harmonien von alten Folk-Songs wie dem „Night Visiting Song“ oder „Scarborough Fair“ haben mich seit jeher angezogen und mich inspiriert. Mein Songwriting kommt aus dieser Folk-Tradition. Beim neuen Album ist dies nun offensichtlicher, denn es ist eher eine Folk- als eine Pop-Platte. „The Night Visiting Song“ hat wie die Musik des soeben verstorbenen schottischen Songwriters Bert Jansch – vor allem die Art und Weise wie dieser Gitarre spielte –  mein neues Album direkt inspiriert und „The Night Visitor“ ist ein Titel, welche die Stimmung der Platte gut erfasst.

Es gibt auf der neuen CD zwei Cover-Versionen, „The Longer the Waiting, the sweeter the kiss“ und „Dearest Dear“…

„Dearest Dear“ ist ein alter, traditioneller Folk-Song, den fast niemand kennt. „The longer the waiting, the sweeter the kiss“ tönt zwar wie ein alter Folk-Song, ist aber vor noch nicht allzu langer Zeit geschrieben worden. Einer der Songwriter, Pat Mc Laughlin, hat auch auf meiner neuen Platte mitgespielt. Nachdem wir dieses Lied eines Tages entdeckt hatten, haben wir im Studio einfach die Gitarren in die Hand genommen und das Lied gespielt. Es war so direkt und wunderschön, dass ich sofort gesagt habe: „Dieses Lied sollten wir aufnehmen“. Es war nicht etwas, das wir geplant hätten. Es ist einfach so passiert und das Lied hat nun seinen Platz auf der Platte gefunden.

Gibt es ein übergreifendes Thema, welches die Lieder auf der neuen Platte verbindet?

Seit ich zehn Jahre alt bin, sind Musik und das Schreiben von Liedern eine Art notwendige Konsequenz meines Lebens. Ich habe jedoch nie für ein spezielles Thema geschrieben oder mir bereits während des Schreibens der Lieder Gedanken über das Konzept eines Albums gemacht. Ich schreibe über Dinge, die mich persönlich berühren. Das kann alles sein: Persönliche Erfahrungen, Erfahrungen von Menschen um mich herum, oder ich lese in der Zeitung etwas, das mich anschliessend zum Schreiben inspiriert. Es gibt in dieser Hinsicht also keinen Unterschied zum vorherigen Album. Ich bin nur etwas älter und reifer geworden und habe neue Menschen getroffen. Ach ja, vor ein paar Jahren habe ich mal für das Stadttheater in Göteborg Musik zu einem bestimmten Thema geschrieben. Das hat Spass gemacht, war aber etwas komplett Anderes als das, was ich sonst mache. Wer weiss, vielleicht mache ich auch einmal eine solche Platte, die nur aus Liedern zu einem bestimmten Thema besteht. Wenn ich die Lieder meines neuen Albums aber in einem Wort zusammenfassen müsste, dann denke ich, dass meine Musik die Gefühle einer gewissen Sehnsucht einfängt. Wonach, kann ich nicht präzis sagen. Ich mag es eben nicht so, zu viel über meine Musik preiszugeben.

In deinen Konzerten leitest du die Lieder aber gerne mal mit kurzen Erklärungen ein. Ich finde das interessant, denn so erhält man manchmal einen anderen Zugang zu einem Lied. Beim Hören macht man sich seine eigene Gedanken und dann merkt man plötzlich, dass das Lied eigentlich eine ganz andere Bedeutung hat.

Das verstehe ich total. Man kann so den Zuhörern neue Hinweise, Ideen geben oder sie in eine gewisse Richtung weisen. Das kann dazu führen, dass jemand mit dem Lied eine tiefere Erfahrung macht. Aber ich möchte nicht zu viele Details preisgeben oder die Geschichten genau so erzählen, wie sie sich zugetragen haben. Wenn eine Geschichte zu einem Lied wird, ist sie bereits verändert und jedermann macht sie dann zu seiner eigenen Geschichte.

Bei „All Shadows“, einem deiner neuen Lieder, habe ich mich beispielsweise gefragt, wer mit „the one“ gemeint sein könnte (This is the one/who knows no regret/ who knows who you are/ you never met/ but one day it finds you wherever you are).

Dieses Lied hatte eigentlich eine sehr klare Absicht. Vielleicht ist es am Ende nun sehr unklar geworden. Es ist ein Lied über Menschen, die alles haben und andere Menschen, die nichts haben. Jetzt wird es aber politisch und eigentlich möchte ich das ja nicht mit meiner Musik mischen. Die sollte eigentlich romantisch sein (lacht). Es geht um eine sehr kleine, privilegierte Gruppe von Menschen, die auch schon mal die Wahrheit erfindet und die Regeln für die anderen Menschen aufstellt. Es geht um Machstrukturen, wobei „the one“ für eine bestimmte Person oder auch für mehrere Personen stehen kann.

Eines weiteres neues Lied heisst „Walking aimlessly“ (Ziellos umherlaufen). Ist dies eine Art Motto von dir?

Ich denke ja. Wenn man sich einfach treiben lässt, realisiert man manchmal gewisse Dinge besser. Mir wurde auch schon gesagt, dass es mir schwerfallen würde, mich für etwas zu entscheiden. Es gibt dir Zeit, um darüber nachzudenken, was du machen möchtest. Es ist wichtig für mich und entspannt mich. Man muss aber jeglichen Lärm aussperren und sich selber gut kennen, um sich treiben zu lassen und um hören zu können, was in einem selber vorgeht.

Der Song „Bow your head“ ist eine Art Ode an die Schönheit der Natur. Was gefällt dir in der Natur am besten oder wo in der Natur fühlst du dich am wohlsten?

Die Natur macht einen demütig. Eigentlich sind wir sehr klein und in den Händen der Natur – und nicht umgekehrt. Ich wandere gerne in den Bergen oder durch den Wald. Ich bin damit aufgewachsen, in der Natur zu sein. An den Wochenenden sind wir oft entlang den Seen eislaufen oder in die Berge wandern gegangen. Oder wir gingen in den Wald, wo man seltsame Pilze finden und pflücken kann – wenn man das mag (lacht). Hier in New York ist es ein bisschen schwieriger. Manchmal nehme ich den Zug, der dem Hudson River entlangfährt. In weniger als einer Stunde ist man so draussen in der Natur und kann seine Ruhe geniessen. Das lädt deine Batterien auf und macht die Probleme kleiner. Wenn man so ein Glück hat wie ich, genug zu essen und ein Dach über dem Kopf und das machen kann, was man wirklich liebt, dann erscheinen die Probleme, die man manchmal hat, einfach lächerlich.

Nächstes Jahr gehst du wieder auf Tour. Die Konzerte sind als „acoustic stripped down shows“ angekündigt. Spielst du solo oder werden noch andere Musiker dabei sein?

Ja, nächstes Jahr werde ich mehr oder weniger nonstop auf Tournee sein und auch in der Schweiz Konzerte geben. Ich habe die Konzerte als „acoustic stripped down shows“ angekündigt, um die Leute nicht zu verwirren. Es wird zwar mindestens ein zusätzlicher Musiker dabei sein, aber kein Schlagzeuger und auch keine komplette Band wie bei meiner letzten Tour. Aber es wird absolut fantastisch werden.

„The night visitor“ von Anna Ternheim ist ab 28. Oktober im Handel erhältlich (Universal Music).

Konzerttermine:

24. Februar 2012, Zürich, Kaufleuten
25. Februar 2012, Bern, Bierhübeli

Im Netz:

www.annaternheim.com

www.thenightvisitor.com


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