Audur Jónsdóttir: „Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt“
Vergangenheit, Vernunft und Verzweiflung
Audur Jónsdóttir: „Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt“ (Roman)
Das Meer, das Island umgibt, ist stürmisch und ruhig zugleich, je nach Jahreszeit und Ereignis. Genau so aufwühlend und entspannend ist der zum Nachdenken anregende isländische Roman „Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt“. Die sprachliche Nähe zur Natur und die tiefen Abgründe in psychologischer Hinsicht zeichnen das Buch aus.
Von Luzia Zollinger.
„Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt“ ist das erste Buch der isländischen Autorin Audur Jónsdóttir, das auf Deutsch erschienen ist. In Island gehört die Enkelin des Literatur-Nobelpreisträgers von 1955, Halldór Laxness, zu den bekanntesten jüngeren Schriftstellerinnen. Mit diesem Buch ist der 38-Jährigen ein Werk voller Spannungen und Ängsten gelungen, das von Ausdrücken lebt, die nur von einer Isländerin stammen können. Gemeint ist das sprachliche Feingefühl, das die Nähe der Isländer zur Natur zeigt. Ein Mercedes glänzt nach Jónsdóttir im Schein der Strassenlaternen wie ein Blauwal im Mondlicht. Oder: „Das Meer kräuselt sich kobaltblau, während der Berg Esja seine Kleider wechselt: grau, blau, violett. Die Berggipfel stechen durch das Nebelgrau, beleuchtet von Sonnenstrahlen, während schmutzigweisse Wolken über den Himmel treiben.“
Verantwortung übernehmen
Die Geschichte handelt von der 32-jährigen Sunna Nönnudóttir, die an einem Dezembermorgen im Internet auf eine Suchmeldung der Polizei von Reykjavík stösst. Gesucht wird Sunnas ehemalige beste Freundin, Arndís Theódórsdóttir. Sunna ist geschockt, denn auf ein Lebenszeichen von Arndís hatte sie lange gewartet. Aber auf ein solches hätte sie verzichten können. Sie macht sich auf die Suche nach der Freundin, die sie vor zehn Jahren in Barcelona beim Spanisch-Studium kennen gelernt hatte.
Am liebsten würde Sunna, deren Geschichte wir als Leser in der Ich-Form verfolgen, 24 Stunden am Tag nach Arndís suchen. Doch die Arbeit in einem Buchverlag lässt dies nicht zu. Schliesslich steht eine wichtige Buchmesse an und die beiden Verlagsinhaber haben Sunna gebeten, den Verlag dort zu vertreten. Sunna hat Angst, da sie bis anhin noch nie so viel Verantwortung erhalten hat.
Eine weitere grosse Verantwortung hat sie dem Sohn ihres Mannes aus erster Ehe gegenüber. Denn dieser Helgi kommt ausgerechnet dann für längere Zeit zu Besuch, als Sunnas Mann Axel in Ísafjördur am Flughafen wegen schlechtem Wetter fest sitzt. Das erste gemeinsame Frühstück geniessen Sunna und Helgi mit gespenstischer Ruhe: „Wir sehen uns vorsichtig in die Augen in schweigender Übereinkunft darüber, dass die Fremdheit des jeweils anderen uns nicht davon abhalten soll, das Beste aus der Situation zu machen.“
Aufwühlende Vergangenheit
Während der Suche nach Arndís taucht Sunna in ihre Vergangenheit in Spanien ein und wird von ihr auch eingeholt. Je mehr Sunna recherchiert und versucht, eine Spur zu Arndís zu entdecken, desto ängstlicher wird sie. Dass sie seit Suchbeginn von drei Männern verfolgt wird, belastet sie zusätzlich. Einmal entkommt sie ihnen nur ganz knapp. Nach einem anstrengenden Messe-Tag blickt Sunna draussen an der kalten Winterluft in die Klinge eines Messers. „Sie fordern, dass ich ihnen alles gestehe. Nur was? Blut schiesst mir in den Kopf, gleich platzen die Adern in meinem Gehirn, ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, doch wenn ich jetzt zusammensacke, packen sie mich.“ Die Männer überschütten sie mit Fragen; zu Marokko, zu Fatima. Sunna kann die Fragen nicht einordnen. Ehe sie etwas sagen kann, erscheint Helgi mit einem Sicherheitsmann und einer Polizistin. Diese warnt Sunna, die Männer seien gefährlich. Und jetzt kann sich Sunna auch wieder an Fatima erinnern. Es sind schmerzhafte Erinnerungen, da Fatima mit dem Verschwinden von Arndís zu tun hat…
Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
Autorin: Audur Jónsdóttir
Übersetzer: Kristof Magnusson
Verlag: btb Verlag
Seiten: 288
Richtpreis: CHF 28.50