Marzena Gorecka (Hg.): „Alles in mir heisst: Du!“
Zwischen Literatur, Liebe und Musik
Marzena Gorecka (Hg.): „Alles in mir heisst: Du!“ – Der Briefwechsel Meinrad und Bettina Inglin
Eine heute unvorstellbar lange Verlobungszeit haben Bettina Zweifel und Meinrad Inglin durchlaufen, bis sie sich im Jahr 1938 endlich das Ja-Wort geben konnten. Sage und schreibe 20 Jahre waren es. Und während dieser Dauer haben sie sich Briefe geschrieben. Die im Ammann Verlag erschienene Auswahl an 263 Briefen zeigt, dass das eine nicht immer einfache Zeit war.
Von Jolanda Heller.
Die lebenslustige Bettina Zweifel (1893-1969) liebte neben der Musik (die sie als ausgebildete Violinistin unterrichtete) die Natur und die Literatur. Das hatte sie mit Meinard Inglin, dem Schwyzer Schriftsteller, gemein. Daneben aber liebte sie Unterhaltung, Theater, die Treffen mit Freunden und das Besuchen von Gesellschaften. Meinrad Inglin hingegen war kaum aus seiner Schreibstube wegzulocken. Und wenn, dann ging er auf die Jagd, auf eine Beizentour oder machte ausgedehnte Wanderungen – auch mit Bettina Zweifel. Ob das gut gehen konnte?
Pole ziehen sich an
Zündstoff ob des einsiedlerischen Schriftstellerdaseins Inglins gab es in den Briefen von Bettina Zweifel einige und Meinrad „graute“ es zu Beginn ihrer Beziehung vor der Verschiedenheit ihrer Persönlichkeiten: „Du sprichst gern, ich schweige lieber. Du bist gern in Gesellschaft, ich bin lieber allein. Du möchtest immer irgendetwas ’los’ haben, ich bin froh, wenn nichts los ist. … Du bist nach aussen hin aktiv, ich bin nach innen aktiv und nach aussen hin passiv.“ Amüsant ist hier eine Klammerbemerkung, in der Inglin hinzufügt, diese Aktivität und Passivität habe aber gar nichts mit Erotik und Liebe zu tun. Lösen wollte Inglin diese Verschiedenheiten insofern, dass man auch sein Schicksal müsse lieben können.
Auch die Rolle der Frau kam in den Briefen immer wieder zur Sprache. Meinrads Schriftstellerei war seine Bestimmung, davon liess er sich auch von Bettina nicht abbringen. „Du schreibst mir nun wohl schon zum x-ten Mal, dass Du nur in Vereinigung mit Deiner Arbeit gut leben könnest. Dies, Meinrad, habe ich – leider – schon schwer genug erfahren müssen.“ Oft fühlte sie sich vernachlässigt und traurig über ihr Schicksal, gerade auch, wenn eine andere Hochzeit vor der Tür stand: “Warum, oh, warum muss ich so entsetzlich leiden??!! Ist denn noch nicht bald mein Mass voll? Du bist am Samstag gefeiert worden. Wie gönne ich es Dir!! Du hast Deine Kunst! Du freust Dich ihrer Blüte, Du darfst auch die Frucht geniessen. Und ich? Mir fällt zu die Mühsal, die Not — alles Leiden. O Gott, lass nicht zu, dass ich ein Feigling sei — !“ Das war im Februar 1927, mehr als zehn Jahre vor der eigenen Hochzeit, die erst nach dem Tod von Meinrads Tante stattfand. Die Gefühlsschwankungen der Bettina Zweifel sind in den Briefen fast körperlich spürbar und für heutige Leserinnen und Leser zum Teil unerträglich. Doch viel Schönes lässt sich darin auch entdecken, so beispielsweise die Mundart-Verwendungen „Meinredli“, „Du chline Luus-Böberli“, „gehäuseltes Papier“, „mein lieber Oberleuzgi“, „‚Stürmt‘ sie wieder?“ usw.
Die Krise
Im Januar 1925 wollte Meinrad Inglin die Beziehung mit Bettina Zweifel auflösen. Ein neues Werk bahne sich seinen Weg („Grand Hotel Excelsior“) und besetze seine Gedanken. Unmöglich könne er Bettina nochmals drei Jahre warten lassen. Der Realist Inglin argumentiert ganz und gar naturalistisch: „Ich schwöre dir noch einmal, Bettina, das habe ich nicht vorausgesehen und habe es nicht gewollt.“ Seinen Weg als Schriftsteller will er gehen und von der Annahme einer Stelle als Redaktor oder Ähnlichem raten ihm auch seine Freunde ab, zum Beispiel der Theatermann Oskar Eberle. Es fiel Meinrad Inglin nicht leicht, diesen Schritt zu tun, wie ein nächster Brief beweist: „Gestern, als Dein gewohnter Brief ausblieb, konnte ich es nicht mehr allein aushalten und ich habe mich bis morgens um 2 Uhr auf eine ziemlich geistlose Weise lustig gemacht.“ Gemeint war damit wohl eine Trinktour im Ort Schwyz. Bettina reagierte erschüttert: „Als ich am Samstag Deinen Brief erhielt, da war es mir, als gefriere mein Blut! … Und erst allmählich löste sich die Härte in mir auf. Der Schleier glitt von meinen Augen & ich sah vor mir den schweren dunklen Fels des Schicksals.“
Eine Lösung meinte Bettina nach diesem gefühlsschwangeren Ausbruch, von denen es einige im Briefwechsel gibt, gefunden zu haben: Meinrad solle die Tante fragen, ob sie dem Paar drei bis vier Zimmer in ihrem Haus im „Grund“ in Schwyz kostenlos zur Verfügung stellen würde, Bettina würde – während Meinrad an seinem neuen Roman schriebe – mit Musikstunden zum gemeinsamen Lebensunterhalt beitragen. Die Tante Margrit Abegg-Eberle, die Meinrad lebenslang unterstützt hatte, wollte jedoch eine katholische Trauung, was Bettina wiederum kategorisch ablehnte. Meinrad meinte nach einem erneuten Gespräch mit der Tante: „Mein Vorschlag wäre, uns in Zürich protestantisch trauen zu lassen, und darauf im Grundkappellchen in Schwyz ohne Teilnehmer in aller Stille auch die kurze katholische Zeremonie noch zu dulden, mit der nötigen inneren reservatio natürlich.“ Doch Bettina war dagegen und so blieben ihnen weiterhin die Briefe und gegenseitigen Besuche sowie gemeinsame Wanderungen.
Verlobung und Heirat
Im Jahr 1933 schenkt Meinrad Inglin seiner Bettina den lang ersehnten Verlobungsring. Bis dahin hat er unter anderem „Die Welt in Ingoldau“ (1922) geschrieben, „Wendel von Euw“ (1925) und „Grand Hotel Excelsior“ (1928). Im Jahr 1933 folgten die Erzählungen „Jugend eines Volkes“ und die Arbeit am 2-bändigen „Schweizerspiegel“ nahm seinen Anfang, der 1938 beendet war und auch im Nazideutschland Beachtung fand. Noch vor Kriegsende endet der besprochene Briefwechsel, der auch zur Zeit des Aktivdienstes von Meinrad Inglin nicht sehr politisch war, was aber auch nicht das Auswahlkriterium darstellte (viele Briefe an Bettina Zweifel hat der Autor zudem vernichtet). Der Fokus lag auf der Beziehung zwischen dem Paar und dessen bis dahin meist getrenntem Leben zwischen Schwyz und Zürich. Die Themen waren nebst dem grossen Thema ihrer Beziehung und der Terminfindung für gemeinsame Unternehmungen die Lektüre von Literatur, die Literatur (Dorgelès, Hesse, Kayserling, Strindberg, Remarque, Keller, Spörry, Rilke, von Hofmannsthal, Werfel, Pulver usw.) und Literaturkritik der Schweiz und die Tätigkeit Bettinas als Violinistin und Musiklehrerin.
Die duldsame Bettina Zweifel musste in all den Jahren ihren Kinderwunsch aufgeben, eine Familie zu gründen war mit Meinrad Inglin nicht möglich. Er meinte, sich dann seiner schriftstellerischen Tätigkeit nicht mehr so widmen zu können, wie er es für nötig befand. Auch war ihm Bettina Zweifel immer eine kritische Stimme und Stütze, auf die er mit Familie wohl nicht mehr in dem Mass hätte zugreifen können, wie es der Fall war. Eine solche Liebe war sicherlich damals schon sehr aussergewöhnlich, heute wäre sie beinahe unvorstellbar. Am 18. März 1939 gaben sich die beiden im Rathaus von Schwyz das Ja-Wort.
Titel: „Alles in mir heisst: Du!“ – Der Briefwechsel Meinrad und Bettina Inglin
Herausgeberin: Marzena Gorecka
Verlag: Ammann
Seiten: 464
Richtpreis: CHF 42.90