Eugène Ionesco “Die Unterrichtsstunde“ | Theater Basel, Kleine Bühne

40 Leichen für einen Professor

Eugène Ionesco “Die Unterrichtsstunde“ | Theater Basel, Kleine Bühne

Foto | Copyright: Gerd Altmann, Pixelio.de
Foto | Copyright: Gerd Altmann, Pixelio.de

Bluttaten werden heute aus banalsten Gründen verübt und scheinen uns oft völlig absurd. Weshalb also nicht auch auf diese Weise: Ein Professor bringt seine Schülerin um, die nicht 3 von 4 subtrahieren kann, die zwar die unwahrscheinlichsten Multiplikationen auswendig, deren Herleitung aber nicht kennt. Überlastung? Burnout? Oder „einfach nur“ eine (weitere) dumme Schülerin?

Von Jolanda Heller.

Ein Mädchen aus gutem Hause sucht ihren neuen Nachhilfelehrer auf. Sie will ihre Allgemeinbildung auf ein Niveau bringen, um gleich an allen Fakultäten der Universität studieren zu können. “Ich habe solche Lust, etwas zu lernen. Auch meine Eltern möchten so gern, dass ich meine Kenntnisse vertiefe. Sie meinen: Allgemeinbildung, auch wenn sie noch so gut ist, genügt heutzutage nicht mehr.“

Motiviert setzen sich Professor (Vincent Leittersdorf) und Schülerin (Marie Jung) an den grossen Tisch im Studierzimmer, mit dem weissen, etwas zu modernen Stuhl, auf dem sich später das Tragische ereignen wird (Bühne: Raimund Bauer). Einfache Additionen klappen wundervoll, mit Subtrahieren hat das Mädchen Schwierigkeiten und das bringt den Lehrer – zusätzlich zu ihren schnippischer werdenden Antworten langsam auf.

Warnungen werden in den Wind geschlagen
Das in die Jahre gekommene, etwas grobschlächtige Dienstmädchen (Nikola Weisse) setzt sich zu Beginn der Stunde, als in der Nachhilfestunde noch alles ruhig und beherrscht abläuft, an den Tisch und warnt: “Entschuldigen Sie, Herr Professor, aber passen Sie auf, ich rate Ihnen, ruhig zu bleiben.“ Der Lehrer schickt sie abwehrend aus dem Raum und auch der Zuschauer erhält eine erste Vorwarnung, dass da noch etwas passieren wird. Ein zweites Erscheinen – sie warnt ihn dann vor der Philologie, das ginge schlecht aus – lässt ahnen, dass eine Katastrophe kommen muss.

Die Rage, in die der erst ganz scheue Professor nach und nach gerät, und die Passivität, in die das erst ganz aufgeweckte Mädchen nebst ihren Zahnschmerzen nach und nach fällt, sind im Text Ionescos stärker herauszuspüren als auf der Basler Bühne. Der Regisseur Werner Düggelin geht hier sehr subtil mit den Figuren um. Der Professor regt sich zwar mehr und mehr auf, doch dieses Flackern in den Augen, von dem Ionesco spricht, das ist hier nur verhalten zu spüren. Ob das nun aber nach bereits 39 – am selben Tag – erfolgten Schülerinnenmorden noch realistisch ist, sei ob dieser ebenso absurden Anzahl dahingestellt. Nichtsdestotrotz ist dessen innere Anspannung fast körperlich zu spüren. Lange kann sich der Professor immer wieder beruhigen, doch als ein Messer aus der Tischschublade in seine Hände kommt, da bricht sich der Irrsinn seinen Weg. Er ist wie der Hamster im Hamsterrad, die Drehbühne, auf denen sich alles abspielt, ist Zeichen dafür. Zwischen ihm und seiner Schülerin spielt sich noch etwas Wort-Pingpong ab und der Professor referiert über den Vorgang der Aussprache und welchen Körperteil die Luft beim Durchströmen des Körpers gerade berührt, damit am Ende “Lippenlaute, Zahnlaute, Lispellaute, Zischlaute, Gaumenlaute und andere, teils zärtlich, teils bitter und heftig“ aus ihm herausdringen.  Eine einzige Parodie auf den Gelehrten.

Die Absurdität nimmt seinen Lauf
Am Ende ist die Luft draussen, der Professor ersticht seine Schülerin, keine Warnung des Dienstmädchens hat ihn aufhalten können. “Schlampe“ nennt er die Tote, weshalb ist unwichtig, eine rationale Begründung gibt es nicht. Die Schülerin, die ihre Stunde nicht bezahlt hat, wird in einen billigen Holzsarg gesteckt werden, wie auch die 39 anderen – auf die selbe Weise – Ermordeten. Das Dienstmädchen, Mitwisserin und damit Mittäterin, und der Professor, sie sind eine unglückliche Schicksalsgemeinschaft. Das Dienstmädchen wird bei der Organisation des Transports der Leichen helfen, beziehungsweise die Drecksarbeit machen, damit auch der Professor – die nächste Schülerin klingelt schon – weitermachen kann.

Im absurden Theater, zu dessen Vertretern Eugène Ionesco gehört, verkommt scheinbar Sinnhaftes zur Absurdität. Sei es die Sprache oder die Handlung der einzelnen Figuren oder des Stückes. Rationalität hat keinen Platz, es herrschen Willkür und Surrealismus.

Mit der eingangs gegebenen “Sonate“ von Jean Tardieu, einem weiteren Vertreter des Absurden und gespielt von den selben Schauspielern, ist man auf diesen Theaterabend eingestimmt, ohne ahnen zu können, wie sehr die  Ruhe noch gestört würde. Womit der Bezug zur Realität wieder hergestellt wäre, denn einer zu grossen Ruhe sollte man nie ganz trauen.

Besprechung der Premiere vom 16. November 2011.

Dauer: ca. 55 Minuten, ohne Pause.

Weitere Aufführungen am 21. (mit anschliessendem Publikumsgespräch), 22. und 25. November; 15., 23., 27. und 30. Dezember 2011, jeweils um 20.15 Uhr.


Im Netz
www.theaterbasel.ch

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