Elena Sender: „Begraben“
Verschüttete Erinnerungen
Elena Sender: „Begraben“ (Thriller)
Aller Angst vor Alzheimer und schleichendem Gedächtnisverlust zum Trotz: Manchmal wäre es gut, wenn man bestimmte Erinnerungen für immer löschen könnte. Doch was, wenn man plötzlich feststellt, dass genau das geschehen ist, und man keine Ahnung hat, warum?
Von Stefanie Feineis.
Cyrille Blake kennt sich mit schmerzlichen Erinnerungen und der menschlichen Psyche bestens aus: Sie arbeitet als leitende Ärztin an einer renommierten Tagesklinik, in der traumatisierte und unglückliche Menschen behandelt werden. Trotz des täglichen Umgangs mit dem Leiden ist sie ein positiver Mensch, und auch ihr Privatleben ist alles andere als traumatisch: seit einigen Jahren ist sie glücklich mit einem bekannten Mediziner und Wissenschaftler verheiratet, dem für seine Forschungen und die Entwicklung eines neuen Antidepressivums vielleicht bald der Nobelpreis verliehen werden könnte.
Ein neuer Patient
Doch Cyrilles heile Welt wird jäh erschüttert, als sich ein neuer Patient bei ihr vorstellt. Auf den ersten Blick scheint Julien Daumas lediglich ein schwer traumatisierter und unter Albträumen leidender junger Mann zu sein. Doch dann behauptet er, Cyrille hätte ihn bereits früher einmal behandelt, beginnt sie zu duzen und kennt offensichtlich intime Details aus ihrem Privatleben. Verwirrt zweifelt Cyrille zunächst an ihrem Gedächtnis und lässt sich sogar von einer Kollegin auf mögliche Erkrankungen untersuchen, kommt aber schliesslich zu dem Schluss, dass ihr Patient sie manipuliert. Unheimliche Ereignisse bestätigen bald ihren Verdacht, dass bei dem jungen Mann eine schwere psychische Störung vorliegen könnte. Doch warum weigert sich die psychiatrische Klinik, an der sie früher als Assistenzärztin arbeitete, die Krankenakte des Patienten herauszugeben?
Ein alter Bekannter
Als ihr von höchster Stelle jegliche Hilfe verweigert wird, wendet sich Cyrille an Nico, einen Krankenpfleger, mit dem sie früher zusammenarbeitete und der immer noch in der psychiatrischen Klinik tätig ist. Dieser reagiert zunächst ungewöhnlich abweisend und distanziert, und konfrontiert seine ehemalige Kollegin auf einmal mit einer schier unglaublichen Behauptung: sie seien einst beste Freunde gewesen, bis Cyrille sich auf einmal nicht mehr gemeldet hätte. Fotos und genaue Kenntnisse über ihr früheres Leben bestätigen seine Version der Geschichte. Gemeinsame Nachforschungen scheinen schliesslich darauf hinzuweisen, dass an Cyrilles ehemaligen Arbeitsplatz illegale Tests an Patienten durchgeführt wurden. Aber was ist mit Cyrille selbst? Warum kann sie sich weder an die enge Freundschaft mit ihrem früheren Kollegen, noch an die Behandlung von Daumas erinnert?
Eine verzweifelte Suche
Nach und nach stolpert Cyrille über immer mehr Lücken in ihrem Gedächtnis. Für die früher so selbstbewusste Expertin ist dies eine erschreckende Erkenntnis. Und ihr zunächst so hilfsbereiter und fürsorglicher Gatte wendet sich plötzlich gegen sie, will sie gar in eine Klinik erweisen lassen. Zu ihrem Schutz, wie er sagt. Als letzter Ausweg bleibt Cyrille nur die Flucht nach Thailand, wo sie sich mit einem einheimischen Experten für Gedächtnisverlust und Erinnerungen treffen will. Doch die Reise nach Thailand wird mehr und mehr zu einer Reise in Cyrilles eigene Vergangenheit…
Eine fesselnde Lektüre
Sicher ist das Szenario nicht gerade neu. Es gibt einige Romane und Filme, in denen sich eine Frau mit dem Verlust ihrer Erinnerungen auseinandersetzen muss, und plötzlich nicht mehr weiss, wem sie noch trauen kann. Das Besondere an diesem Thriller ist also nicht alleine das Thema und dessen Umsetzung – obwohl sich die intensive Recherche der Autorin deutlich zeigt, ohne jedoch medizinische Laien mit zu vielen klinischen Details zu überlasten – sondern vielmehr die Erzählweise. Die Autorin spielt gekonnt mit den Ängsten und der Faszination der Leser und verknüpft die einzelnen Fäden der Geschichte so geschickt, dass man das Buch gar nicht mehr weglegen kann. Da kann man auch verzeihen, dass die Lösung am Ende etwas sehr konstruiert und ‚hollywoodmässig‘ wirkt.
Ein atemberaubender Thriller mit vielen Wendungen, einem faszinierenden Thema und einem Ende, das man so nicht erwartet hat.
Titel: Begraben
Autorin: Elena Sender
Übersetzung: Eliane Hagedorn
Verlag: Piper
Seiten: 520
Richtpreis: CHF 15.90
Elena Sender: „Begraben“ (Thriller)