„The Future“ von Miranda July
Eine melancholische Katze und ein kriechendes T-Shirt
„The Future“ von Miranda July
Nach „Me and You and Everyone We Know“ verzaubert uns Miranda July mit einem weiteren fabelhaften Erwachsenenmärchen. Die infantile Absurdität des Erstlings wird als Stimmungsrahmen beibehalten, jedoch strapaziert durch das Zeitbewusstsein und erwachsene Orientierungsschwierigkeiten.
Von Garabet Gül.
Die Performance-Künstlerin, Regisseurin, Schauspielerin und Schrifstellerin Miranda July schreibt in der November-Ausgabe des Kulturmagazins „Du“ von einem Ordner aus ihrer Kindheit mit der Aufschrift „Wie man die Zeit zurückdrehen oder andere Welten betreten kann“. Den Ordner habe sie noch und auch das Gefühl, dass der Eingriff in den Fluss der Zeit oder der Eintritt in andere Wirklichkeiten möglich sei. Diese Möglichkeiten lotet sie nun nicht nur in ihrem neusten Film „The Future“ aus, auch in ihrem Leben scheint sie die Zeit manipuliert und eine andere Welt betreten zu haben. Laut dem Magazin „Du“ ist sie nämlich verschwunden und niemand, nicht einmal ihr Ehemann, wisse, wo sie sich befinde.
Miranda Julys Filme sind sehr persönlich und die Protagonistinnen, die sie selber verkörpert, auch Selbstdarstellungen. Es könnte der Verdacht aufkommen, es handle sich bei ihrem Verschwundensein um eine Inszenierung von Fluchtphantasien: Eine narzisstische Sehnsucht danach vermisst zu werden als konzeptuelles Thema für eine künstlerische Bewältigung des eigenen Lebens. Miranda July sitzt nun vielleicht in einer anderen Zeit und fremden Welt und beobachtet, wie ihre Mitmenschen auf ihr Verschwinden, ihre neuste Performance, reagieren. Die Reaktionen auf ihren aktuellen Kinofilm dürften sie dabei auch interessieren.
Die Flucht und die Zeit
In ihrem ersten Spielfilm waren es zwei liebesdurstige Menschen auf der Suche nach ihrem Seelenverwandten. In „The Future“ haben sich diese seit vier Jahren gefunden und führen ein genügsames Leben in einem kleinen schmucken Appartement in Los Angeles. Jason (Hamish Linklater) arbeitet von zuhause aus für eine Telefonhotline und Sophie (Miranda July) ist Tanzlehrerin für Kinder. Damit ihr Alltag an Abwechslung und an Dringlichkeit gewinnt, entscheiden sich die zwei Mitdreissiger, eine alte kranke Katze aus dem Tierheim zu adoptieren. Weil das Tier, das sie PawPaw taufen, an einer Pfote verletzt ist, müssen sich Jason und Sophie noch dreissig Tage gedulden, bis sie die Katze mit nach Hause nehmen können. Voller Ehrfurcht vor der bevorstehenden Verantwortung möchten die beiden den Monat dazu nutzen, sich vorzubereiten und neue Erfahrungen zu sammeln. Sie kündigen sie ihre Stellen, kappen die Internetverbindung und experimentieren auf je eigene Art und Weise mit der neuen Lebenssituation. Jason versucht es als hausierender Umweltschützer, Sophie bemüht sich, für YouTube eine Sammlung aus dreissig Tänzen bereitzustellen. Jeden Tag ein neuer Tanz. Doch sie kommt nicht voran und die künstlerische Auseinandersetzung mit den neuen Umständen misslingt vorerst.

Spontan ruft Sophie einen fremden Mann an, ein kindliches Spiel mit Folgen beginnt. Sie flieht in eine kleinbürgerliche Welt, in der sie wie ein labiler Fremdkörper wirkt, noch zerbrechlicher als ohnehin schon. In dieser Welt scheint hingegen alles viel einfacher und geordneter zu verlaufen, sogar ihr lockiges Haar wird den Umständen angepasst und vor jedem Besuch in der idyllischen Vorstadtgegend glattgestrichen. Jason ahnt bereits Schreckliches, und als Sophie ihn über ihre neue Bekanntschaft in Kenntnis setzen möchte, versucht er verzweifelt, die Zeit anzuhalten.
Verspielt und suchend
Es ist leicht, Miranda July und ihrem Werk zu verfallen, weil es schwierig ist, sich der skurrilen Verspieltheit dieser vielseitigen Künstlerin zu entziehen. Wie bereits in „Me and You and Everyone We Know“ ist auch ihr neuer Film eine Ode an das ewige Kind in uns, das nicht erwachsen werden möchte, an den suchenden Künstler, der mit den Phänomenen des Lebens spielt, statt sie erklären zu wollen, an den sehnsüchtigen Träumer, der sich verloren fühlt in einer rationalisierten Welt, in welcher das Gefühl der Liebe als chemische Reaktion entmystifiziert und das Leben dem Diktat der leistungsorientierten Nützlichkeit unterworfen wird. Demgegenüber sind Miranda Julys Filme entwaffnende poetische Liebesmärchen, das Leben in ihren Filmwelten bewahrt seine verletzliche und rätselhafte Naivität.
Die stimmungstragenden Begegnungen in „The Future“ sind behutsam inszeniert, die Dialoge knapp und distanziert. Die Figuren wirken oft verunsichert und geistesabwesend, lediglich die tanzende und schreiende Sophie sorgt zwischendurch für emotionale Ausbrüche. Die atmosphärische Versunkenheit wird durch die Filmmusik von John Brion („Magnolia“ und „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“) und die schleppenden Traumlieder von Beach House angemessen akzentuiert. Geschildert wird die Geschichte aus der Sicht der Katze. Mit einer fragilen, verstellten Stimme (der von Miranda July) erzählt PawPaw von seiner Vorfreude auf sein neues Zuhause und hält immer wieder schwermütige Monologe über das Bedürfnis nach Wärme und Geborgenheit. Diese tierische Verfremdung wirkt mit der Zeit etwas bemüht. Als weiteres phantastisches Element fungiert ein kriechendes T-Shirt, ein cineastischer Schabernack, der sich spielend in die Stimmung und die Geschichte einfügt: Das Kleidungsstück kriecht zu Sophie, das Gesuchte zur Suchenden, die Kunst findet die Künstlerin. Jetzt muss nur noch die Künstlerin gefunden werden.
Seit dem 15. 12. 2011 im Kino.
Originaltitel: The Future (Deutschland 2011)
Regie: Miranda July
Darsteller: Miranda July, Hamish Linklater, David Warshofsky, Isabella Acres, Joe Putterlik
Genre: Liebesmärchen
Dauer: 91 Minuten
CH-Verleih: Columbus Films
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