Jan-Erik Fjell: „Der stumme Besucher“
Der tausendste norwegische Krimi
Jan-Erik Fjell: „Der stumme Besucher“ (Kriminalroman)
In Jan-Erik Fjells Krimidebüt „Der stumme Besucher“ klärt ein ungleiches Ermittlertrio den Mord an einem reichen Unternehmer auf. Dabei verschlägt es Hauptkommissar Anton Brekke und seine Kollegen aus dem beschaulichen Fredrikstad in Norwegen nach New York, direkt in die Arme der Mafia.
Von Birke Tunç.
Schon wieder ein Krimi aus der Schmiede eines Norwegers. Man könnte langsam ja genug davon haben, aber die Damen und Herren aus dem hohen Norden scheinen ihr Handwerk gut zu verstehen. Das ist wohl auch der Grund, wieso die Regale in den Buchhandlungen mit norwegischen Krimis gefüllt sind. Krimis, in denen es irgendwie immer um dasselbe geht: ein alter Mann, vorzugsweise reich, oder eine junge Frau, vorzugsweise hübsch, werden ermordet; es ist schweinekalt oder aber warm, was allerdings nicht so zum gängigen Bild von Norwegen passt; ein grantiger Ermittler, der gerade tief in der Midlife-Crisis steckt, seine schlechte Laune an seinen Kollegen auslässt und den Fall im Alleingang aufklärt. Das alles und ein wenig mehr machen die beliebten norwegischen Krimis aus. Auch in „Der stumme Besucher“ von Jan-Erik Fjell erwartet den Leser nichts Neues. Doch das ist ja auch nicht wirklich nötig, wenn sich Altes ganz gut bewährt hat.
Norwegische Oberschicht trifft auf New Yorker Unterwelt
Der Hauptaktionär der Mardan AG Wilhelm Martiniussen hat sich verändert: Er verzichtet auf seine Nobelkarossen und nutzt jetzt die Bahn; er weigert sich, das milliardenschwere Ölbohrungsprojekt in Kanada mit seiner Unterschrift abzusegnen und es ist nicht mehr die Arbeit, die an erster Stelle in seinem Leben steht. Der Grund dafür ist seine neue und deutlich jüngere Geliebte Nora, die Umweltaktivistin ist. Martiniussens Geschäftspartner haben für all das wenig Verständnis, denn durch den Rückzug aus dem Kanada-Projekt entgeht ihnen eine beachtliche Geldsumme. Als Martiniussen mit einer Klaviersaite im Fahrstuhl zu seiner Wohnung erdrosselt wird, fällt der Verdacht deshalb schnell auf die wütenden Geschäftspartner.
Der Fall um einen älteren amerikanischen Touristen, der mitten auf der Strasse überfallen und niedergeschlagen wird, lenkt den Blick der Polizei allerdings in eine andere Richtung. Auf einer Aufnahme ist nämlich genau dieser Mann zu erkennen, wie er Martiniussen zu seiner Wohnung folgt. Kurz darauf stellt sich heraus, dass es sich dabei um keinen Touristen handelt, sondern um Vincent Giordano, einer der mächtigsten Mafiosi der USA. Der Mörder von Wilhelm Martiniussen ist nach etwa 50 Seiten gefunden, doch nun beginnt ein grösseres Rätsel: Wieso hat Giordano Martiniussen ermordet?
Parallel zu den Ermittlungen in Norwegen gibt es einen zweiten Erzählstrang, der irgendwie interessanter ist. Die Parallelgeschichte spielt im New York der 60er Jahre und zeigt den Aufstieg von Vincent Giordano zu einem skrupellosen Mörder. Dem Leser ist dabei klar, dass die Antwort auf die Frage nach dem Mordmotiv irgendwo in dieser Geschichte versteckt ist.
Ein Herz für Kotzbrocken
Der Mord an sich und vor allem dessen Aufklärung haben wenig Unterhaltungswert. Dafür ist der Hauptkommissar und Leiter der Ermittlung Anton Brekke in der Rolle des Antihelden umso amüsanter: Er ist zynisch, verspielt sein ganzes Geld beim Pokern, piesackt ständig den jungen Polizeianwärter Magnus Torp und macht sich immer wieder auf Kosten seines Kollegen Simon Haugen lustig, seine Umgangsformen lassen einiges zum wünschen übrig und natürlich lässt er es sich nicht nehmen, die hübsche Staatsanwältin billig anzumachen. Nicht einmal bei der Begegnung mit dem Mafia-Boss in New York kann er seine Klappe halten. Mit seiner ekligen Art gewinnt Brekke schnell die Herzen der Leser.
Es mag sein, dass der erst 29-jährige Radiomoderator bei seinem ersten Krimi auf viele Klischees zurückgegriffen hat, aber das verzeiht man ihm wegen der mehr als uncharmanten, dafür umso unterhaltsameren Hauptfigur und der spannenden New Yorker Parallelgeschichte gerne. Zudem kommt hinzu, dass die Schlussszene unerwartet ist und für einen Überraschungsmoment sorgt. Darüber, wie realistisch das Ganze ist und wie gut die Geschichten um die Mafia recherchiert wurden, lässt sich bestimmt streiten. Wer allerdings Lust auf einen typischen norwegischen Krimi hat, wird Gefallen an „Der stumme Besucher“ finden.
Jan-Erik Fjell war auf jeden Fall sehr erfolgreich mit seinem ersten Krimi, monatelang stand das Buch an der Spitze norwegischer Bestsellerlisten. Die Reihe um den Hauptkommissar Anton Brekke soll fortgesetzt werden.
Titel: Der stumme Besucher
Autor: Jan-Erik Fjell
Übersetzerin: Ina Kronenberger
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag
Seiten: 412
Richtpreis: CHF 14.50