Mark Werner: „Knautschzone“
Flucht vor dem Babybauch
Mark Werner: „Knautschzone“ (Roman)
Ein Musik-Freak als Hauptperson, die Auseinandersetzung mit dem Alltag, namentlich mit Beziehungskisten und mit der Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, eine Mischung zwischen Ernsthaftigkeit und Humor – Ja, hier kommt ein Nick Hornby der deutschen Popliteraturszene. Leider kein besonders guter. „Knautschzone“ enttäuscht durch eine voraussehbare Handlung und mangelnde Ernsthaftigkeit.
Von Sandra Despont.
Henny Hinkelberch ist Rockstar, ein Frauenschwarm, verantwortlich für zahlreiche Hits, Schlagzeuger und Sänger der erfolgreichen Yo Yo Men. – Wenigstens in seinen Träumen. In Wahrheit sitzt Henny als Verwaltungsangestellter auf der Gemeinde Lichtenberg, seine Band hat zwar lokale Bekanntheit erlangt, spielt aber beharrlich und ohne grössere Ambitionen Covers von U2 und AC/DC, die Mädels stehen keineswegs Schlange und seine Beziehung zu Freundin Alexa ist ziemlich spannungslos geworden. Als diese ihm mitteilt, dass Henny Vater werden und damit endgültig in die Existenz eines Spiessers abdriften wird, läuft er weg. Ziel: Los Angeles.
Wühlen nach den Liebeskartoffeln
Bereits am Flughafen kommt seine Flucht zu einem abrupten Ende. Natali, soeben von katastrophalen Ferien zurückgekehrt, rummst mit ihrem Auto in Henny, rettet ihn und vor allem sich selbst vor einer Schar schaulustiger Hobbyflugzeugknipser und landet mit dem Möchtegernrocker in einer abgefuckten Kneipe, deren Besitzer gerade eine Demo gegen die Schliessung seiner rauchverseuchten Absteige plant. Natali und Henny kommen sich schnell näher und nach wenigen Seiten ist klar: Hier haben sich zwei zwar nicht gesucht, aber doch gefunden. Praktischerweise steckt auch Natali in einer handfesten Beziehungskrise, was durch das eigenwillige Bild von Natali, die sich immer tiefer in den „Frustacker“ auf der Suche nach „Holger’schen Liebeskartoffeln“ wühlt, anschaulich gemacht wird. Zu sagen ist, dass manch andere Sprachspielereien wesentlich besser geglückt sind. Streckenweise liest sich „Knautschzone“ flott und mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Annäherung an den flüssigen, verspielten und mit Sprachwitz nicht geizenden Hornby-Stil ist, abgesehen von einigen schrägen und eher unfreiwillig komischen Bildern wie der „Liebeskartoffel“, nicht schlecht gelungen. Woran es wirklich hapert, ist an der Geschichte und den Charakteren.
Ärgerliche Tabubrüche
Hennys Panik vor einer baldigen ungewollten Vaterschaft, seine Angst vor ewigen Bindungen, vor Veränderung einer Beziehung und der Verantwortung für ein Kind mag noch einigermassen nachvollziehbar sein. Doch Hennys Abscheu vor dem schlaffen Nachschwangerschaftskörper seiner Freundin und seine vom Grossvater übernommene Ansicht, Frauen hätten nur das Ziel, mit ihren Babybäuchen die Männerträume plattzuwalzen und würden dann nicht mal mehr den Anstand haben, nach der Schwangerschaft so lecker auszusehen wie vorher, machen Henny ordentlich unsympathisch. Umso schlimmer, dass Henny diesem unreflektierten Machismo bis zum Schluss mit gutem Gewissen treu bleiben darf, denn es fügt sich alles so, dass er sich seinen Ängsten nicht stellen muss, sondern mit Natali in eine scheinbar problemlosere Beziehung fliehen kann. Natali hasst ihren Job als Kindergärtnerin vor allem wegen der Kinder und ist damit die Idealbesetzung als Wunschfrau für einen, der vor einem Babybauch geflohen ist. Sie ist frech, sexy und witzig, absolut trinkfest und nur Zigarettenqualm kann ihre Superallergie einigermasse beruhigen. Die beiden sonnen sich in der Vorstellung, sie seien die verkörperten „Tabubrüche“, während man beide bestenfalls verlogen und jämmerlich finden kann. Da diesen „Helden“ dann durch die Handlung auch noch fröhlich zugespielt wird, wird „Knautschzone“ immer mehr zum schwer erträglichen Ärgernis. Damit Natali und Henny ohne schlechtes Gewissen in den Sonnenuntergang reiten können, stammt Hennys Kind natürlich gar nicht von ihm, was ihn ruckzuck von einer Auseinandersetzung mit einer ungewollten Schwangerschaft entbindet. Die schwangere Alexa wird als billiges Flittchen, die sich Henny auf eine ganz miese Tour geangelt hat, gezeichnet. Sie ist, wie sich herausstellt, mit ihrem Chef fremdgegangen, was die Männerfreundschaft zwischen dem kurzzeitig verdächtigten Yo Yo Man Philipp und Henny wieder ins Lot bringt, so dass sich die beiden weiterhin einen von ernsthaften Fragen unbehelligten öden Schlagabtausch um das Immergleiche liefern und schlüpfrige Witze austauschen können. So einfach kann das Leben sein.
Kirschkuchenkotzszenen als Unterhaltungsgags
Unterbrochen ist die vorhersehbare Vereinigung von Natali und Henny durch eine Art Entwicklungsgeschichte Hennys, die sich vor allem auf die Entstehung seiner Band konzentriert, mit gelegentlichen Abstechern zu Kirschkuchenkotzszenen bei Schwiegereltern in spe und ähnlichen platten Unterhaltungsgags. Diese Teile des Romans mögen allenfalls andere Möchtegernmusiker und Amateurbandmitglieder ansprechen, für alle anderen bleibt alles zu sehr an einer unverfänglichen Oberfläche, als dass man sich ernsthaft für so wichtige Streitfragen ob „In The Air tonight“ ein tauglicher Titel ist, interessieren könnte. Von dem, was Nick Hornby mit seinen Büchern geschafft hat, nämlich Fussballbanausen die Gefühle von Fussballfans zu vermitteln oder Musiknoobs eine Ahnung davon zu geben, wie bedeutsam Musik im Leben sein kann, bleibt „Knautschzone“ weit entfernt. Wer bereits nach wenigen Seiten von der Plattheit der Charaktere, der Voraussagbarkeit der Geschichte und den insgesamt lahmen Witzen gelangweilt ist, kann den Roman unbesorgt weglegen. Er verpasst nichts.
Titel: Knautschzone
Autor: Mark Werner
Verlag: Rowohlt Polaris
Seiten: 283
Richtpreis: CHF 21.90