Michael Herzig: „Töte deinen Nächsten“
Gemächlichen Schrittes zum Höhepunkt
Michael Herzig: “Töte deinen Nächsten” (Thriller)
Die Deutschen sind dieser Tage nicht sonderlich beliebt in Zürich. So sagt man. Dass es tatsächlich so ist, beweisen mehrere Briefe, in denen die Zugezogenen aus dem grossen Kanton massiv bedroht werden. Polizistin Johanna di Napoli bekommt den undankbaren Auftrag, der Sache nachzugehen. Doch die vermeintliche Strafarbeit entpuppt sich schnell als brisanter Fall.
Von Fee Anabelle Riebeling.
Johanna di Napoli hat es nicht leicht. Denn gegen die Zürcher Stadtpolizistin läuft ein Disziplinarverfahren – wegen Amtsmissbrauch. Ein schwerwiegender Vorwurf. Und solange dieser im Raum steht, muss sie die undankbaren Aufgaben verrichten. So soll sie den vier Fällen nachgehen, bei denen in Zürich lebende Deutsche rassistisch bedroht wurden. Für di Napoli heisst das: Aktendurchsicht und Schreibtischrecherche statt Dienst auf der Strasse. Nur zu Befragungen verlässt sie das Kommissariat.
Volltreffer oder knapp dran vorbei?
Nervös und fahrig, irgendwie geheimnisvoll. Das ist di Napolis Eindruck von einem der Opfer. Ob Universitätsprofessor und Nuklear-Experte Thorsten Kühne wegen der Drohbriefe in Aufruhr ist oder ihn die kurz bevorstehende Eröffnung des schweizerisch-deutschen Nuklearforschungsinstituts, dessen Leiter er wird, so mitnimmt, kann die Polizistin nicht sagen. So oder so: Die schwarz gekleideten Männer auf dem Nachbardach verheissen nichts Gutes. Zur Sicherheit fotografiert sie die Unbekannten mit ihrem Handy.
Nur einen Tag später kennt di Napoli die Namen der ungebetenen Gäste und den Grund ihres Besuchs. Denn die feierliche Eröffnungs-Zeremonie des Instituts gerät zur Katastrophe. Tote Polizisten, ein erschossener Staatsmann aus Deutschland auf dem Podium und Thorsten Kühne von einem Streifschuss verletzt – die Männer in Schwarz haben ganze Arbeit geleistet. Oder galt ihr Anschlag gar nicht dem deutschen Politiker, sondern dem Nuklearfachmann? Aufgrund ihrer Recherchen mit dem Hintergrund Kühnes bestens vertraut, ist Johanna di Napoli zurück im Spiel. Und damit näher dran, als ihr lieb ist. Denn mehr als einmal muss sie gemeinsam mit dem Gejagten dem Tod von der Schippe springen.
Der Schrecken kommt langsam
Vier Stunden Schlaf, mehr bekommt die Ermittlerin derzeit nicht. Denn um den Fall zu überleben, muss sie ihren Gegnern immer einen Schritt voraus sein. Und das ist nicht einfach, denn zu deren täglich Brot gehören unter anderem Auftragsmord, Frauenhandel und Atomschmuggel. Ausserdem haben sie einen Spitzel bei der Polizei. Di Napoli muss also in mehrfacher Hinsicht auf der Hut sein. Denn jeder Fehler könnte ihr letzter sein.
Autor Michael Herzig versteht es, sowohl seine Protagonisten als auch die Leser zunächst in Sicherheit zu wiegen. Wie ein leichtes Schaudern, das sich erst nach und nach in einen ausgewachsenen Schrecken wandelt und schliesslich mit einem Mal von Körper und Geist Besitz ergreift, entwickelt sich auch der Fall Kühne. Herzig setzt auf Details und nimmt so gleichzeitig der Geschichte das Tempo. Das irritiert vielleicht, schadet aber überhaupt nicht. Denn so wirkt die Auflösung umso heftiger.
Titel: Töte deinen Nächsten
Autor: Michael Herzig
Verlag: Grafit
Seiten: 288
Richtpreis: CHF 28.90