Benjamin Maack: „Monster“
Die Abgründe des Menschseins
Benjamin Maack: „Monster“
Jeder, der eine Zeitung aufschlägt oder die Nachrichten einschaltet, wird dort konfrontiert mit den Gewalttaten und Abgründen, die jeden Tag auf der ganzen Welt geschehen. Doch auch das alltägliche Leben des Otto Normalbürgers kann mit Monstrositäten aufwarten, kann beängstigend und verunsichernd sein. Benjamin Maack stellt uns in seinem Buch nun einigen dieser Monster des Alltags gegenüber.
Von Lisa Letnansky.
„Es gibt Geschichten, die muss sich das Leben ausdenken. Da gibt es keine Spannungsbögen und keine Moral. Es gibt einfach diese Geschichten, die kann man sich nicht selbst ausdenken.“ In der letzten Geschichte von „Monster“ formuliert Benjamin Maack quasi den Grundgedanken dieses Buches. Denn die Monster, auf die er seine Protagonisten stossen lässt, sind weder glitschige Ungeheuer noch blutrünstige Serienkiller, sondern allesamt Monster des Alltags. Das kann eine beunruhigende Situation sein, die Angstgefühle auslöst, die Natur, wenn sie ihre geballte Macht in einem Sturm demonstriert, oder aber die dunklen Seiten in uns selbst.
Die Monster in uns und um uns herum
Weder ganz ein Roman, noch richtig ein Erzählband, vereinigt „Monster“ sieben unterschiedlich lange Geschichten, die miteinander vor allem durch ihre Hauptfigur verbunden sind: In allen geht es um Benjamin. In einer unheimlich atmosphärischen Sprache zeichnet Maack Situationen und Geschehnisse nach, die in einer ähnlichen Form wohl jeder von uns kennt – Momente der unergründlichen Angst, der Verzweiflung oder der Verlorenheit.
In „Atavismen“ passt Benjamin auf das Haus von Bekannten auf, während diese verreist sind. Nachdem er anfänglich völlig in der Gartenarbeit und der täglichen Routine aufgeht, wird seine heile Welt vom wunderschönen Nachbarmädchen gestört, das sich jeden Nachmittag nebenan in der Sonne räkelt. Dadurch erwacht in Benjamin etwas, vor dem er sich fürchtet, ein Teil von ihm, der ihn beunruhigt, denn das blutjunge Mädchen erregt ihn: „Du betrachtest das Ding. Wie es wächst. Und da ist wieder diese leise Angst, dass etwas Schlimmes passiert. Dass du dich weiter verwandeln könntest.“ Was sich bei Maack anhört wie eine Sci-Fi-Mutanten-Story, ist die normale Reaktion eines jungen Mannes auf ein schönes, fast nacktes Mädchen. Ob Benjamin einen wirklichen Grund hat, sich vor diesem Teil in ihm selbst zu fürchten, ob schon einmal etwas vorgefallen ist, lässt Maack bewusst im Dunkeln. Was aber nicht bestritten werden kann, ist, dass sich Benjamin von diesem Moment an verändert. Das Gleichgewicht seines gleichförmigen Alltags ist unwiederbringlich gestört.
Alles ist bedrohlich
Unzweifelhaft am eindrücklichsten formuliert ist jedoch die erste Geschichte des Reigens. Dort fährt Benjamin zu einem befreundeten Paar aufs Land, nachdem er seinen Job verloren hat. Bereits auf dem Weg dorthin überfährt er eine Eule, ein unheimliches Vorzeichen, das sein Befinden in den nächsten Tagen vorwegnimmt. Unsicher, wie es mit seinem Leben weitergehen könnte, schwankt sein Bewusstsein ständig zwischen Befremdung und Angst. Diese beklemmenden Gefühle, wenn alles und jeder bedrohlich wirkt, vermag Maack auf meisterhafte Weise zu vermitteln: „Kathrin wirft ihren Kopf nach hinten. Sie schlägt die Hand vor den Mund. Sie reibt sich Tränen aus den Augen. Stephans Brustkorb bewegt sich ruckartig. Seine Schultern zucken. In kleinen Stößen presst er Luft aus seinen Lungen.“ Bei dieser Beschreibung stellt sich der Leser Schmerzen oder andere Qualen vor, doch nichts dergleichen: „Die beiden lachen.“ Und auch seine Umwelt und die Natur machen auf Benjamin einen zwiespältigen Eindruck. Die anfängliche Hochstimmung während einer Wanderung, wenn er sich von den Mücken und Fliegen um ihn herum in eine verschworene, entlegene Welt aufgenommen fühlt, wandelt sich schnell in Bedrohung und Entsetzen, als ein Unwetter aufzieht: „Äste peitschen ihm die Wangen und versuchen Benjamins Augen zu erwischen, er bricht sie ab . . . Unter seinen Ledersohlen verwandeln sich Baumwurzeln in rutschige Krampfadern. Der Hang zu seiner Linken blutet Schlamm.“
Maack versteht es, Gefühle und Stimmungen so zu formulieren, dass sie beinahe greifbar werden. Durch die sehr auditiven und bildhaften Beschreibungen, die bisweilen wie Tagebuchaufzeichnungen anmuten, schimmert aber von Zeit zu Zeit auch der Lyriker Maack durch. 2004 debütierte der Journalist mit dem Gedichtband „Du bist es nicht, Coca Cola ist es“, und auch in „Monster“ könnten einige Passagen als eigenständige Gedichte gelesen werden. Seine Sprache ist jung, frisch und unerschrocken; hier hat jemand mit messerscharfem Blick die Abgründe des Menschseins ausgelotet und nimmt auch überhaupt kein Blatt vor den Mund.
Titel: Monster
Autor: Benjamin Maack
Verlag: Mairisch
Seiten: 192
Richtpreis: CHF 24.50