Anne De Witt: „Im Land der Mond-Orchidee“

Bis zur nächsten Grenze

Anne De Witt: „Im Land der Mond-Orchidee“ (Roman)

Eine junge, sitzengelassene Schwangere bricht zur Reise ihres Lebens ins ungewisse Java auf. Anne de Witt beschreibt das Aufeinanderprallen von Moralvorstellungen Ende des 19. Jahrhunderts und die Universalität der Liebe.

Von Noemi Jenni.

ImLandDerMond-OrchideeAuswanderer- und Entdeckergeschichten über die USA und Südamerika gibt es viele, aber über Java? Anne de Witt erzählt in ihrem ersten Roman von Neele Selmacker, die mit ihrem Mann Frieder beschliesst, nach Java auszuwandern und dort ihr Glück fernab vom kalten und düsteren Deutschland zu suchen. Dabei begleitet sie vor allem eines: ihre beklemmende Angst. Als sie an Bord der Meisje Mariaan gehen, bleibt ihr Mann zurück in Deutschland und überlässt sie ihrem Schicksal. Mit dem Dampfer fährt die frisch Verlassene, die zu allem Übel schwanger ist, mit befreundeten Arztleuten nach Batavia, Java. Die drei haben die Hoffnung, dort im Waisenhaus eines deutschen Pfarrers Arbeit zu finden. Als sie nach der beschwerlichen Fahrt ankommen, stehen sie jedoch vor einem Scherbenhaufen. Im Waisenhaus lebt nur ein verrückter Pfarrer und sie fühlen sich auch im deutschen Klub von Batavia nicht wohl. Durch eine Freundschaft mit einem deutschen Beamten lernt Neele den wunderschönen Javaner Ameya kennen, der ein tragisches Geheimnis hütet. Je näher sie einander kommen, desto schwieriger wird es, die Rassentrennung und die importierten prüden Ansichten der Kolonialherren zu ertragen. Als auch noch plötzlich ihr früherer Verehrer Jürgen aus Deutschland auftaucht und ein Suduk (Magier) scheinbar ihr Haus verflucht, wird Neele vor schwere Entscheidungen gestellt.

Prüdes Deutschland – warmes Java

Die Geschichte ist spannend und das Schicksal der jungen Neele im vorletzten Jahrhundert eher ungewöhnlich. Gut fassbar beschreibt de Witt die Rassen- und Standesunterschiede, die auch auf Java – wie in Europa – stark die Gesellschaft prägten. Besonders detailliert behandelt sie die vorherrschenden Moralvorstellungen und hat mit der verlassenen, schwangeren Mischlingsfrau Neele die ideale Figur kreiert, um diesen viel Gewicht und eine leuchtende Zielscheibe zu bieten.

Die Autorin arbeitet viel mit dem Klischee eines christlichen, prüden, fleissigen und ernsten Deutschland, mit seinen direkten Menschen, dem immer feuchten und dunklen Moor, und verwendet dies als Gegenüber des warmen, farbigen, zurückhaltenden Java. Doch die Gegensätze zwischen Java und Norddeutschland scheinen oft übertrieben und karikiert.

Exotische Träume

Die Charaktere der Figuren bleiben oberflächlich, so scheint selbst Neele für den Lesenden nur schemenhaft, ohne eine Persönlichkeit mit festen Konturen. Die Autorin bleibt bei Äusserlichkeiten und beschreibt die inneren Gedankengänge ihrer Protagonisten selten. Oft werden kommende Ereignisse schon sehr früh angedeutet und sind deshalb absehbar, was dem Spannungsbogen abträglich ist. Der Sprache fehlt eine gewandte Vielfältigkeit des Vokabulars und auch die Recherchen zu den historischen Begebenheiten scheinen oft nicht fliessend eingearbeitet zu sein – dies bremst den Sprachfluss. Erst zum Schluss schafft es die Autorin durch Zeitraffungen und vermehrte überraschende Action-Einlagen, den Lesenden noch einmal zu fesseln und mit in den Dschungel zu nehmen.

Der Roman bietet leichte Unterhaltung, er gibt Einblicke in die wenig behandelten geschichtlichen Ereignisse auf Java und bietet eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die sich über Grenzen hinwegsetzt.


Titel: Im Land der Mond-Orchidee
Autorin: Anne De Witt
Verlag: Piper
Seiten: 496
Richtpreis: 14.90 CHF

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