William Shakespeare „Richard III.“ | Schauspielhaus Zürich, Pfauen
Der Despot mit dem irren Blick
William Shakespeare „Richard III.“ | Schauspielhaus Zürich, Pfauen

Tyrannen sind keine angenehmen Zeitgenossen, das macht Barbara Freys Interpretation von Shakespeares “Richard III.“ nur allzu deutlich. Michael Maertens brilliert als unheimlicher, irrsinniger, wahnsinnig eloquenter Despot, dem man nachts nicht auf der Strasse begegnen möchte.
Von Lisa Letnansky.
Richard, in seiner körperlichen Erscheinung nicht gerade von Gott gesegnet, hat die Nase voll davon, immer hintanzustehen und “beschliesst, ein Bösewicht zu werden“. Bereits die ersten Sätze von Barbara Freys Inszenierung des wohl gnadenlosesten Shakespeare-Stücks bilden das Programm für die nächsten drei Stunden, in denen Richard sein einziges Ziel verfolgt: vollkommene Macht. Um sich selbst auf den Königsthron zu erheben, scheut er keinerlei Hindernisse und geht auch mühelos über Leichen. Seine halbe Familie löscht er dabei aus, denn zwischen ihm und der Herrschaft stehen nicht nur seine beiden Brüder, sondern auch seine noch minderjährigen Neffen.
Ja, gestorben wird oft an diesem Abend, doch glücklicherweise lässt sich Schauspielhaus-Intendantin Barbara Frey nicht dazu hinreissen, das Gemetzel in allen seinen Rottönen auszuschlachten. Nur einmal fliesst ein wenig Blut, die restlichen Abgänge verlaufen im Hintergrund, in der Dunkelheit, in die sich die Bühne rückseitig verliert und hinter den vielen Vorhängen, die den Szenen räumliche Konturen verleihen. Dass sie geschehen, merkt der Zuschauer hauptsächlich daran, dass das Personal auf der Bühne langsam aber sicher immer spärlicher wird.
Zwischen Königspalast und Irrenhaus
Mit Michael Maertens, der vor Kurzem bereits den zweiten Richard am Burgtheater Wien mimte, wurde auch hier die perfekte Besetzung für den blutrünstigen Tyrannen gefunden. Die kränklich blasse Gesichtsfarbe, die mit der Zeit wirr abstehende spärliche Kopfbehaarung, die hochgezogenen Schultern, die zu kurzen Ärmel des abgeschabten Jacketts, das leise Hinken und der irre Blick: all das vervollkommnet Maertens zum Bildnis eines besessenen Verrückten, dem man nachts nicht auf der Strasse begegnen möchte. Das Bühnenbild, das in Weiss und fahle Grüntöne gehalten an ein trostloses Krankenhaus erinnert, und die Krone, die aussieht wie der Kopfaufsatz eines elektrischen Stuhls, runden die Umgebung des machtgeilen Wahnsinns ab.

Dass Richard nicht an seinem Aufstieg gehindert wird, liegt massgeblich an seinem grossen Talent: seiner unheimlichen Eloquenz. Zielsicher bringt er Verachtung, Ironie und Überheblichkeit auf den Punkt, formuliert eingängige Parolen und schafft, indem er seinem Gegenüber ständig affektiert dazwischenbrabbelt, den Eindruck der unterschwelligen, aber ständigen Kontrolle. Andererseits wagt auch so gut wie niemand, sich ihm in seinem Tun entgegenzustellen. Sogar Lady Anne, die zu Recht vermutet, dass Richard ihren Mann und ihren Vater auf dem Gewissen hat, fügt sich schliesslich in ihr Schicksal und heiratet den Mörder. Nur Hastings (Nicolas Rosat) weigert sich einmal, Richards selbstsüchtige Pläne zu unterstützen – und wird kurzerhand einen Kopf kürzer gemacht.
Angstschreie und Fluchtiraden
Dass das nicht gut ausgehen kann, wird nicht erst bei der Krönungsszene klar, in welcher Richard allein und erhöht von hinten beleuchtet auf der Bühne steht und sein Gesicht in Schatten getaucht wird. In jeder Sekunde tun sich hier die Abgründe auf, die überall dort herrschen, wo ein Einzelner seine Ziele über alles andere stellt – damals wie heute.

Selbstredend ist die dreistündige Aufführung mit der Zeit ein wenig ermüdend; die unheimliche Anziehungskraft und Faszination, die von Shakespeares Bösewicht ausgeht und die Wut und der Hass, die den Bühnenraum beinahe bis zum Bersten erfüllen, fesseln den Zuschauer aber trotzdem bis zum Schluss. Auch wenn man gedanklich mal kurz abschweift: die markerschütternden Verzweiflungs-, Angst- und Todesschreie von Lady Anne (Julia Kreusch) und Clarence (Fritz Fenne) sowie die zornigen Fluchtiraden von Königin Margaret (Susanne-Marie Wrage) und Richards Mutter, der Herzogin von York (Silvia Fenz) stellen schnell wieder eine hellwache Aufmerksamkeit her. Zweifellos, “Richard III.“ – sowohl das Stück, als auch die Figur – hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Besprechung der Premiere am 31. März 2012.
Weitere Vorstellungen bis am 4. Juni 2012.
Besetzung
Michael Maertens, Lukas Holzhausen, Ursula Doll, Susanne-Marie Wrage, Silvia Fenz, Julia Kreusch, Fritz Fenne, Ludwig Boettger, Jirka Zett, Christian Baumbach
Regie: Barbara Frey
Raum: Penelope Wehrli
Kostüme: Bettina Munzer
Licht: Rainer Küng
Dramaturgie: Thomas Jonigk
Dauer: etwa 3 Stunden, eine Pause
Im Netz
www.schauspielhaus.ch