Pirmin Meier: „Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen“

Geschichtspanorama

Pirmin Meier: „Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen“ (Jugendbuch)

Das SJW-Heft Nr. 2398 entführt in eine fremde Welt – und begibt sich gleichzeitig in das Herz der Schweiz, in die Gotthardregion. Poetisch und kenntnisreich erzählt Primin Meier die Geschichte vom Schmied von Göschenen und lässt uns in eine Zeit eintauchen, in der die Burschen vor lauter Ehrfurcht angesichts einer edlen Dame schier verstummten, junge Mädchen mit dem Teufel tanzten und das Wissen um die örtlichen Mythen und Legenden noch selbstverständlich war.

Von Sandra Despont.

sanktgotthardSJW – eine der ersten Abkürzungen, die Schulkinder zuverlässig kennen lernen. Eine Abkürzung, die wohl in jedem, der eine Schweizer Schule besucht hat, die eine oder andere Erinnerung an das Versinken in einem Buch, an hastig gelesene Seiten, vielleicht aber auch an Kämpfe mit dem Buchstabenzeugs wach rufen. „SJW – dass es das noch gibt“, ist mein erster Gedanke, als „Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen“ vor mir liegt. Ich erwarte etwas altertümlich aufgemachtes Schriftwerk – und werde gründlich überrascht.

Kampfansage an eine schnelllebige Zeit

Das Thema, ja, das wirkt altertümlich, unzeitgemäss. Was soll die Jugend von Bergen, von der Erschliessung der Schöllenenschlucht, von einem jungen Leibeigenen, von der heiligen Elisabeth lesen in einer Zeit von Smartphones, Internet, Facebook? In einer Multioptionsgesellschaft, wo sich jeder frei und selbstbestimmt fühlt, Herr seiner selbst ist, sich auf Teufel komm raus verwirklicht, wie können da feudale Strukturen noch interessieren? Und doch, gerade diese bewusste Wendung in eine weit entfernte Vergangenheit ist es, die dieses SJW-Heftchen aus der Zeit hinausfallen lässt und zeitlos macht. „Alles ist relativ“, scheint die ruhige und keineswegs auf leichte Leserlichkeit zurechtgetrimmte Prosa Meiers zu rufen, „es war mal ganz anders – und ob das schlechter war, nun, das sei dahingestellt.“ In einer schnelllebigen Zeit der Sms-Sprache ist dieses SJW-Heftchen beinahe eine Kampfansage, zumindest aber eine Herausforderung. Und auch, wenn auf den ersten Blick die Welt dieser feudalen Zeit unendlich weit weg von der unseren sein mag, wirft Pirmin Meier doch die Fragen auf, die auch heutige Jugendliche noch beschäftigen: Was soll einmal aus mir werden? Wie kann ich erreichen, was ich will? Was kann ich selbst entscheiden, wo bestimmen andere über mein Schicksal?

Anspruchsvolles Geschichts- und Geschichtengeflecht

Es fängt damit an, dass es nicht so richtig anfängt. Gut zwanzig der etwas über hundert Seiten vergehen, ohne dass wir auch nur die Spur eines Helden oder einer stringenten Handlung ausmachen. Wer an Popcornkino und leichtes, den Leser von der ersten Seite an mit Plüsch umschmeichelndes Lesefutter gewöhnt ist, mag dies als Zumutung empfinden. Impressionistisch, assoziativ, böse Zungen mögen behaupten zusammenhangslos, springt der Autor durch Zeit und Raum, umfasst dabei den Unfall Steve Lees ebenso wie die Wallfahrer, die über den Gotthard nach Rom oder Jerusalem gereist sind, spricht von Säumern, Pilgern und fahrenden Schülern, vom steil nach oben ragenden Burgstall von Hospental, von Teufelsbrücken und Suonen. Auf wenigen Seiten schafft er so ein Panorama dessen, was der Gotthard bedeutet hat, was er immer noch bedeutet, deutet Sagen an, die sich um diese Berggegend ranken, und verflicht sie mit tatsächlichen historischen Begebenheiten. Nur wer geschichtlich einigermassen bewandert ist, vermag mit Mühe den Überblick behalten. Der fehlende rote Faden, die zahlreichen Anspielungen, die kenntnisreichen kommentierenden Einwürfe machen das SJW-Heft zu einer anspruchsvollen Lektüre, die auch Erwachsenen konzentriertes Lesen abverlangt. Im Lesen eher ungeübte, an eine schnelle Abfolge von Handlung gewohnte Jugendliche mit kurzer Konzentrationsspanne werden da ohne kundige Anleitung, die ihnen einen Weg durch dieses faszinierende Geschichts- und Geschichtengeflecht bahnen hilft, wohl schnell kapitulieren.

Harte Realität und wundersame Begebenheiten

Ist ein solch kundiger Wegbegleiter aber vorhanden, der den Jugendlichen einen Weg durch verzwickte geografische Bezeichnungen und Fachvokabular weist, kann „Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen“ zur äusserst lohnenswerten Lektüre werden. Das Heft gibt Einblick in eine Welt, in der sich Glaube und Aberglaube aufs Vergnüglichste durchmischen und prägenden Einfluss auf das Leben der Menschen nehmen, in der Schmiede mit ihrem Löschwasser Kranke beleben, vor jeder Arbeit mit drei Schlägen im Namen des dreifaltigen Gottes den Teufel bannen, in dem ein Mädchen seine Schuhe bis auf die eisernen Absätze wegtanzt, bevor sie merkt, dass ihr Tanzpartner, der geschmeidige junge Mann, in Tat und Wahrheit der Teufel ist. Und schliesslich schält sich aus den Erzählungen von Geografie, Geschichte, von harter Realität und wundersamen Begebenheiten auch eine nachvollziehbare Handlung heraus. Es ist die Geschichte von Heini, einem leibeigenen Knaben, der die Chance seines Lebens bekommt: Er darf das Schmiedehandwerk von den Besten lernen. Und sein Herr hat grosse Pläne für ihn, die seine Heimat für immer verändern sollen.

„Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen“ ist ein ebenso anspruchsvolles wie lohnendes SJW-Heft geworden. Pirmin Meier breitet abgeklärt und glaubhaft faszinierende Fakten, Mythen und Legenden vor dem staunenden Leserauge aus. Wer etwas Durchhaltevermögen besitzt und sich gerne in historische Stoffe vertieft, wird hier reich belohnt.


Titel: Sankt Gotthard und der Schmied von Göschenen
Autor: Pirmin Meier
Illustrationen: Laura Jurt
Verlag: SJW
Seiten: 144
Richtpreis: CHF 13.00

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