„Boardwalk Empire“ von Terence Winter

Alkoholschmuggel, Mafiageschäfte und politische Intrigen

„Boardwalk Empire“ von Terence Winter

boardwalk empire 1

Der illegale Handel mit Alkohol während der Prohibitionszeit und die Geburt des organisierten Verbrechens an der Ostküste der USA stehen im Zentrum der HBO-Serie „Boardwalk Empire“. Das starbesetzte Epos um den korrupten Stadtkämmerer Nucky Thompson und dessen Geschäfte mit der New Yorker und Chicagoer Mafia gehört zum Besten, was derzeit für das amerikanische Pay-TV produziert wird.

Von Lukas Hunziker.

Während sich Hollywood in einer Krise befindet, gegen die auch Wunderheilmittel wie 3D nichts zu helfen scheinen, hat das Fernsehen entdeckt, was es dem Kino voraushat: Zeit. Während selbst komplexe Plots für die Leinwand auf rund zwei Stunden zusammengekürzt werden müssen, lassen sich in TV-Serien Geschichten erzählen, die 10 Stunden oder länger dauern, denn wenn sie gut genug geschrieben sind, wird es niemanden abschrecken, sich diese 10 Stunden in wöchentlichen Portiönchen zu Gemüte zu führen – schon die Leser von Dickens‘ Romanen liessen sich so prima bei Stange halten. Wie diese Romane zeichnen sich auch mehr und mehr der grossen Serien, von denen der Löwenanteil von HBO produziert wird, durch clever mit der Haupthandlung verflochtene Subplots und detailliert ausgearbeitete Nebenfiguren aus.

Mit „Boardwalk Empire“ gewann die Serienwelt noch einmal etwas Terrain gegenüber dem Kino. Das in den 1920er Jahren spielende Epos um Korruption, Alkoholschmuggel und organisiertes Verbrechen in Atlantic City versammelt nicht nur ein aussergewöhnliches Darstellerensemble, welches im Pilot unter der Regie von keinem geringeren als Martin Scorsese agierte, die historischen Settings der Stadt wurden für die Serie auch mit einem finanziellen Aufwand rekonstruiert, die sich bisher kaum eine Serie leisten konnte. 3 Monate lang wurde ein Teil des historischen Boardwalk, der berühmten Meerespromenade von Atlantic City, in Brooklyn als riesiges Set nachgebaut – für schlappe 5 Millionen. Nach den selbst für gross angelegte Serien ungewöhnlichen 200 Drehtagen zeigte sich aber, dass sich der Aufwand gelohnt hatte – „Boardwalk Empire“ gesellt sich als weiteres HBO-Kind in den Serienolymp.

Illegale Geschäfte sind immer lukrativer

Am 17. Januar 1920 trat in der USA das „Eighteenth Amendment“ und damit die Prohibition, die den Verkauf, den Transport und die Herstellung von Alkohol verbot, in Kraft. Darüber freuen konnten sich allerdings nicht nur die Verfechter der Abstinzenzbewegung, sondern auch Alkoholschmuggler und korrupte Beamte, welche sich mit dem illegalen Handel von nun masslos überteuertem Schnaps eine goldene Nase verdienten. Die Handlung von „Boardwalk Empire“ setzt in den letzten Stunden vor dem Inkrafttreten der Prohibition ein. In Atlantic City, einem Knotenpunkt für den Alkoholschmuggel an der Ostküste, hat der Stadtkämmerer Nucky Thompson die Fäden in der Hand; wer Macht und Einfluss in der Stadt haben will, kommt an ihm nicht vorbei, da er die Stadtregierung ebenso wie die Polizei in der Hand hat. Für ihn beginnt mit der Prohibition das grosse Geschäft mit illegal importiertem Alkohol, ein Geschäft, welches mit Nucky Thompson zu besprechen die Mafiabosse aus Chicago und New York angereist sind.

boardwalk empire 2

Die Handlung von „Boardwalk Empire“ ist frei erfunden, mehrere der handelnden Personen sind jedoch aus der amerikanischen Geschichte bekannt. Da ist Al Capone, der am Anfang seiner Karriere als Mafioso steht, der jüdische New Yorker Gangsterboss Arnold Rothstein, der junge Lucky Luciano sowie andere Gesichter aus der Geschichte des organisierten Verbrechens in den USA. Auch Nucky Thompson ist keine frei erfundene Persönlichkeit, sondern inspiriert von Enoch L. Johnson, dem tatsächlichen Puppenspieler im Atlantic City der 20er und 30er Jahre. Zu den historisch verbürgten Personen kommt ein gewaltiges Ensemble an fiktiven Figuren hinzu, wie Jimmy Darmody, ein Handlanger Nuckys und späterer Geschäftspartner von Al Capone, der Prohibitionsagent Nelson Van Alden oder die Witwe und Abstinenzverfechterin Margaret Schroeder. Wie bei vielen der grossen HBO-Serien gilt es während den ersten zwei bis drei Folgen, die Übersicht über die Figuren nicht zu verlieren.

Figuren jenseits von Gut und Böse

Ist man aber einmal in den Swinging 20ies und dem Korruptions- und Sündenpfuhl von Nucky Thompsons Atlantic City angekommen, bekommt man von der Serie kaum noch genug. Trotz der komplexen Erzählstränge um politische Intrigen, persönlichen Abrechnungen unter den Gangstern und familiären Konflikten bleibt die Serie so leicht wie der Swing, der sie musikalisch untermalt. Teil der Faszination ist die komplexe Figurenzeichnung, die eine Einteilung in Goodies und Badies praktisch unmöglich macht; in „Boardwalk Empire“ handelt jeder unmoralisch, genauso wie fast jede Figur ihre sympathischen Seiten hat. Die Handlung bleibt dadurch überraschend und im positiven Sinn undurchsichtig. Auch visuell kann sich die Serie mit den besten messen; das gewaltige Budget zeigt sich in den perfekt in Szene gesetzten historischen Sets und den Kostümen deutlich.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

Auch das Darstellerensemble kann sich wie gesagt sehen lassen. Auf Steve Buscemi scheint die Rolle von Nucky Thompson wie zugeschnitten zu sein; kaum jemand anderes hätte die Zwiespältigkeit dieser Figur ähnlich überzeugend und facettenreich umsetzen können. Stark sind auch Michael Pitt als vom 1. Weltkrieg gezeichneter junger Gangster und Kelly MacDonald als irische Arbeiterin aus armen Verhältnissen, die zu Nuckys Geliebten wird. Michael Shannon und Shea Wigham (momentan zusammen zu sehen in „Take Shelter“) sowie Stephen Graham, Michael K. Williams und Gretchen Moll ergänzen das Cast um weitere bekannte Gesichter. Auf die zweite Staffel, die in den USA im Herbst anlief, folgt dieses Jahr wohl eine dritte. Dass Serien mit zweistelligen Millionenbudgets finanziell so erfolgreich sind, lässt Grosses hoffen für das Pay-TV des angebrochenen Jahrzehnts. Wenn es auf dem Niveau von „Boardwalk Empire“ weitergeht, wird das goldene Zeitalter der epischen TV-Serien wohl erst gerade eingeleitet.

Ausstattung der DVD

Die DVD lässt sich in Sachen Bonusmaterial nicht lumpen. Neben einem 20minütigen, wenig informativen, aber durchaus sehenswerten ‚Making of‘ gibt es eine halbstündige Dokumentation über die Geschichte von Atlantic City, eine Tour durch die so genannten Flüsterkneipen in Chicago und New York, in welchen sich die Gangsterbosse trafen, ein Featurette über die Entstehung des Boardwalksets in Brooklyn sowie Audiokommentare mit Regie und Darstellern.


Seit dem 10. Februar 2012 im Handel.

Originaltitel: Boardwalk Empire (USA 2010)            
Regie: Martin Scorsese, Tim Van Patten u.a.
Darsteller: Steve Buscemi, Michael Pitt, Kelly McDonald, Michael Shannon, Shea Wigham, Gretchen Moll, Michael Stuhlbarg, Aleksa Palladino, Stephen Graham, Vincent Piazza, Michael K. Williams, Paz de la Huerta
Genre: TV Serie
Dauer: 644 Minuten
Bildformat: 16:9
Sprache: Englisch, Deutsch
Untertitel: Deutsch, Englisch für Hörgeschädigte
Audio: Dolby Digital 5.1
Bonusmaterial: Audiokommentare von Cast und Crew, Making of, Dokumentationen „Wie der Boardwalk entstand“, „Atlantic City: Die Stadt der Sünde“ und „Speakeasy Tour“.
Vertrieb: Warner

Im Netz
Offizielle Seite

Lukas Hunziker

Lukas Hunziker ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Englisch. In seinem Garten stehen drei Bäume, in seinem Treppenhaus ein Katzenbaum. Er schreibt seit 2007 für nahaufnahmen.ch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert