„Woody Allen: A Documentary“ von Robert B. Weide

Die beschwingte Rastlosigkeit eines Unabhängigen

„Woody Allen: A Documentary“ von Robert B. Weide

woody allen 1

Der Produzent („Mother Night“) und Dokumentarfilmer („Lenny Bruce: Swear To Tell The Truth”) Robert B. Weide begleitete fast zwei Jahre lang den als öffentlichkeitsscheu geltenden Woody Allen. „Woody Allen: A Documentary“ ist ein Filmportrait über einen faszinierenden Künstler und eine Hommage an sein vielseitiges und aussergewöhnliches Schaffen.

Von Garabet Gül.

Woody Allen gehört zweifelsfrei zu den bedeutendsten Filmregisseuren unserer Zeit. Sein Werk umfasst über fünfzig Filme und umschliesst fünf Jahrzehnte. Allens Filme besitzen starke autobiographische Prägungen, darüber hinaus gibt es kaum Einblicke in das private Leben und hinter die Kulissen seines Schaffens. Interviews sind Mangelware und, wenn irgendwie möglich, meidet er öffentliche Auftritte. Keinen seiner vier Oscars hat er persönlich entgegengenommen. Bei seinem Auftritt in Cannes anlässlich der Visionierung von „You Will Meet a Tall Dark Stranger“ (2010) konnte er seine Abneigung gegenüber der künstlichen Glamourisierung der Filmwelt nicht verheimlichen. Im Dokumentarfilm von Weide meint er, dass die Welt des roten Teppichs und des Blitzlichtgewitters nichts Wirkliches für ihn besitze. Man nimmt Woody Allen diese Aversion ab, er wirkt nicht wie jemand, der leere Posen nötig hätte.

Kontrolle, Neuorientierung und Übersiedlung nach Europa

Woody Allen beginnt seine künstlerische Karriere als Gag-Schreiber für Komiker und Kolumnisten. Bevor er zum Film kommt, arbeitet er als Fernseh-Autor und Komödiant. Sein erstes Drehbuch, „What’s New, Pussycat?“ (1965), ist eine Auftragsarbeit, die er nicht selber verfilmt. Die Umsetzung missfällt Allen derart, dass er sich verspricht, nie mehr ein Drehbuch für andere zu schreiben. Er will in Zukunft die Kontrolle über seine  Arbeit haben. Die ersten Filme in eigener Regie sind stark beeinflusst von Woody Allens Arbeit als Komiker. Er dreht Filmkomödien mit viel Sprachwitz und Slapstick, die zwar sehr unterhaltsam sind, aber jeglichen ernsthaften Zugang zum Leben vermissen lassen und cineastisch nicht sehr ambitioniert wirken. Mit „Annie Hall“ (1977) kommt die Zäsur. Allen findet zu einem eigenen unverwechselbaren Stil, er kreiert eine urbane Beziehungskomödie mit ernstem Unterton. Seine Figuren werden menschlicher, sie fangen an, sich ernsthafter mit dem Leben auseinanderzusetzen, ohne jedoch den Humor dabei zu verlieren: Der grobe Klamauk weicht einer feinen, nachdenklichen Ironie.

© Studio / Produzent
© Studio / Produzent

Das Schaffen danach ist geprägt von Genrewechseln. Mit „Interiors“ (1978), eine Hommage an Ingmar Bergmann, verfilmt Woody Allen sein erstes Drama. Mit dem Schwarzweiss-Film „Manhattan“ (1979) kehrt er zurück zur  besinnlichen Beziehungskomödie und feiert seinen zweiten grossen Erfolg nach „Annie Hall“. „Stardust Memories“ (1980), der sich unübersehbar an Fellinis „8 ½“ (1963) orientiert, ist eine weitere Huldigung an einen grossen europäischen Regisseur. In den Achtzigern versucht es Woody Allen mit Tragikomödien und Satiren. Wiederum ist es mit „Hannah und ihre Schwestern“ (1986) eine romantische Komödie, die bei den Kritikern und dem Publikum am besten ankommt. In „Mighty Aphrodite“ (1995)  verkörpert er im Rahmen einer zwischen Unbekümmertheit und Besinnlichkeit gestimmten Komödie einmal mehr einen sinnsuchenden und unbeherrschten New Yorker Intellektuellen.

Mit dem Kriminalmelodram „Match Point“ (2005) verlässt Woody Allen New York als Schauplatz und brilliert mit einem in London angesiedelten, überraschend ironiefreien Komplott. Raffiniert setzt er dabei Dostojewskis „Schuld und Sühne“ in Szene und platziert Raskolnikow in die englische Upperclass. Inzwischen arbeitet Allen fast ausschliesslich in Europa, hier, wo seine Filme seit jeher auf mehr Verständnis stossen als in den USA. „You Will Meet A Tall Dark Stranger“ (2011), eine in London spielende Tragikomödie und das romantische Filmmärchen „Midnight in Paris“ (2011) werden zu Woody Allens bisher kommerziell erfolgreichsten Filmen.

Zwischen Bewunderung und Lobhudelei

Die Beschäftigung mit dem privaten Woody Allen geschieht in Weides Dokumentation nur sporadisch. Woody Allens medial skandalisierte Beziehung zur Adoptivtochter seiner ehemaligen Lebenspartnerin Mia Farrow findet nur kurz Erwähnung. Anschaulich sind die Einblicke in Allens Schaffensprozess und in einzelne Schritte seiner Arbeitsweise. Der Film von Robert B. Weide setzt sich grösstenteils aus Interviews mit Woody Allen und Gesprächsbeiträgen von langjährigen Weggefährten und Beobachtern zusammen. Umrahmt wird der Film mit zahlreichem Archivmaterial und diversen Filmausschnitten. Es ist offensichtlich, dass es sich bei Weide um einen grossen Verehrer Woody Allens handelt, was dem Dokumentarfilmer wahrlich nicht vorgeworfen werden kann. Zuweilen werden die überschwenglichen Bewunderungsbekundungen, insbesondere diejenigen der Schauspieler, etwas gar inflationär eingesetzt. Die  Schwärmereien und Ehrerbietungen von Josh Brolin und Naomi Watts am Filmset von „You Will Meet A Tall Tark Stranger“ wirken wie ein für Vermarktungszwecke harmonisierter Blick hinter die Kulissen.

Mit Ironie wider die Absurdität des Daseins

Woody Allen sagt an einer Stelle im Film, dass er ein Verfechter einer Art künstlerischer Quantitätstheorie sei. Er drehe jedes Jahr einen Film, in der Hoffnung, dass ihm bei dieser grossen Anzahl an Filmen auch mal ein guter gelinge. Woody Allen ist mittlerweile 77 Jahre alt und scheint auch nach über fünfzig Spielfilmen nicht aufhören zu wollen und zu können. Wir sehen einen gut gestimmten Familienvater, der mit sich, der Welt und seinem künstlerischen Schaffen hadert, allerdings ohne dabei zu verzweifeln. Woody Allens Rastlosigkeit besitzt wenig Selbstzerstörerisches. Der Sinnlosig- und Endlichkeit des Lebens entgegnet Woody Allen mit kreativer Komik und Ironie, selbst seinen Tragödien und Dramen haftet oft noch etwas Beschwingtes an. An einer Pressekonferenz in Cannes fragt ein Journalist Woody Allen, ein beliebtes Sujet in dessen Filmen aufnehmend, was für ein Verhältnis der Regisseur gegenüber dem Tod habe. Woody Allen meint, er sei entschieden gegen ihn.


Seit dem 28. Juni 2012 im Kino.

Originaltitel: Woody Allen: A Documentary (USA 2011)
Regie: Robert B. Weide
Darsteller: Woody Allen, Letty Aronson, Marshall Brickman, Scarlett Johansson, Diane Keaton, Martin Scorsese u.a.

Genre: Dokumentarfilm

Dauer: 113 Minuten

CH-Verleih: Xenix Filmdistribution

Im Netz
Trailer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert