Martin Horváth: „Mohr im Hemd“
Der Robin Hood der Asylanten
Martin Horváth: „Mohr im Hemd oder Wie ich auszog, die Welt zu retten“ (Roman)
Mit seinem Romandebüt ist Martin Horváth gleich ein Coup gelungen. In „Mohr im Hemd“ kleidet er eine sehr aktuelle gesellschaftliche Thematik in ein tragikomisches und unterhaltsames Gewand, ohne sie dadurch zu beschönigen.
Von Lisa Letnansky.
Die Asylpolitik und das alltägliche Schicksal der Asylbewerber werden im gesellschaftlichen Diskurs zurzeit wieder hoch gehandelt. Ausschaffungsinitiativen, Berichte aus lybischen und anderen Flüchtlingslagern, Filme wie „Vol Spécial“ oder „La Forteresse“ sowie unzählige Bücher und Theaterprojekte heizen die Diskussion von allen Seiten an und versuchen, die Aufmerksamkeit auf ihre spezifischen Anliegen zu lenken. Martin Horváths Anliegen sind die Geschichten der Flüchtlinge eines Asylantenheims in Wien, genauer: jene der UMF (Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge) in dessen obersten Stock, auch „Leo“ genannt. Daraus könnte man ohne weiteres einen traurigen, erschreckenden und anprangernden Roman machen, doch Horváth schleicht sich lieber von hinten an: Sein Buch ist so witzig und charmant, dass man den Realitätsbezug zuweilen fast aus den Augen verliert – um kurz darauf nur umso fester auf dem harten Boden der Tatsachen aufzuschlagen.
Anonymität und Unglaubwürdigkeit
Horváths Trick ist, dass er durch ein paar literarische Kunstgriffe nicht nur einen Schleier, sondern gleich ein dickes Tuch der Unglaubwürdigkeit über seine Geschichte legt. Schon sein Held ist ein Mysterium und der unglaubwürdigste Erzähler, den man sich vorstellen kann. Sein Name sei Ali, er sei fünfzehn Jahre alt und komme irgendwo aus dem Westen Afrikas, behauptet er zu Beginn, nur um wenige Seiten später zuzugeben, dass das natürlich alles gelogen ist, er die Wahrheit jedoch für sich behalten wird. Ali pflegt seine Aura der Anonymität, denn er ist auf einer Mission unterwegs: „Meine Aufgabe ist es, ob ich will oder nicht, den Geschichten meiner Mitbewohner hinterherzuspüren.“ Ali spricht nämlich vierzig Sprachen fehlerfrei und kann sich wie ein Topspion unbemerkt an die Fersen seiner Mitmenschen heften, um uns Lesern darauf deren Geschichten anzuvertrauen.
Ali ist aber nicht nur undurchschaubar, er ist auch ein Meister der Komik und der Wortspielereien. Und obwohl sein Humor zuweilen schwarz wie die Nacht ist („Seit Nurridin die Polizisten in seiner Heimatstadt das rechte Bein zertrümmert haben, um ihn zum Singen zu bringen, hinkt er wie ein schlechter Vergleich durchs Leben“), kann er auch entwaffnend charmant sein. So zum Beispiel, als ihm im Tram eine korpulente Dame einen abschätzigen Blick zuwirft und demonstrativ zur Seite rückt: „Ich beiße nicht sehr fest, sage ich beschwichtigend zu ihr, es tut normalerweise nicht sehr weh. Die Doppelkinnlade fällt herunter.“ Ali ist der Robin Hood der Asylanten, „der Anwalt der Unterdrückten und Übervorteilten, der Beschützer der Geschmähten und Gedemütigten, der Retter der Witwen und Waisen“, und überhaupt gibt es keinen Einzigen, der ihm „auch nur ein Glas Wasser reichen könnte“.
Wovon ein Dichter nur träumen kann
Der Vorteil dieser unglaubwürdigen Grundlage ist, dass Horváth im Folgenden, um sein Anliegen zu formulieren, ungehemmt übertreiben, dramatisieren und überspitzt darstellen kann. Denn auch wenn einige Szenen des Romans ziemlich zweifelhaft wirken, erreicht Ali die Leser mit seinen Alltagsgeschichten aus dem Asylantenheim. Und Alis Mission ist offensichtlich auch Horváths. Indem er die Vorgeschichten und die chaotische Gegenwart der Asylbewerber schildert, kritisiert er den Umgang und die Vorurteile vieler Europäer betreffend Flüchtlinge sowie die Asylpolitik Österreichs (die auch ohne weiteres durch die schweizerische oder deutsche hätte ersetzt werden können). Das gestaltet sich zuweilen natürlich ganz schön einseitig und simplifizierend; Horváths Stil ist aber nichtsdestotrotz stets bildgewaltig und einnehmend, wie in Alis Tirade gegen jene, die seiner Meinung nach verantwortlich sind für die positive oder negative Beurteilung eines Asylgesuchs, sogenannte „Schreibtischtäter“: „Es ist höchst bescheidene Prosa, die ihr da in die Tasten eurer verstaubten Schreibmaschinen klopft, aber Prosa mit einer Wirkung, von der jeder Dichter nur träumen kann: Mit euren Schreibmaschinengewehren befördert ihr Menschen zielsicher in den Tod, ratatatabumm, die Zeile ist um.“ Nun könnte ein kleiner Beamter diese Suada natürlich persönlich nehmen und als tendenziös verschreien (das ändert jedoch nichts am Grundproblem der Entscheidungsgewalt Einzelner über die Schicksale Vieler). Ali ist zwangsläufig parteiisch, er prangert an, sucht Verantwortliche und Schuldige, rechtfertigt seine Existenz und verurteilt jegliche Intoleranz. Praktikable Vorschläge für eine „menschlichere“ Asylpolitik hat aber auch er nicht. Und das ist das wirklich Tragische dieses Romans.
Titel: Mohr im Hemd oder Wie ich auszog, die Welt zu retten
Autor: Martin Horváth
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt
Seiten: 352
Richtpreis: CHF 28.50