„Modest Reception“ von Mani Haghighi

Wohltätigkeit und Verzweiflung in den iranischen Bergen

modest reception

In seinem vierten Spielfilm in eigener Regie behandelt Mani Haghighi das Verhältnis von Mensch und Geld. „Modest Reception“ ist eine erbarmungslose Groteske über die suggestive Kraft und Allmacht eines Zahlungsmittels. Skurril, unverfroren und nicht moralisch befrachtet.

Von Garabet Gül.

Das iranische Kino der letzten Jahre begeistert mit einer faszinierenden Ausdruckskraft. Allen voran Ashgar Farhadi, der mit „About Elly“ (2009) und „A Separation“ (2011) zu seiner eigenen stupenden Form gefunden hat. Die Politik rückt bei Farhadi in den Hintergrund, sie bleibt der mittelbare regulative Rahmen des gesellschaftlichen Alltags. Und werden wie in Rafi Pitts` Thriller „The Hunter“ (2010) die Machtverhältnisse einmal etwas direkter thematisiert, wird die ästhetische Erzählkraft des Kinos nicht unterwandert durch das kritische Motiv. Auch Mani Haghighi, der das Drehbuch zu Farhadis „Firework Wednesday“ (2006) geschrieben und in „About Elly“ mitgespielt hat, zeigt in seinem neuen Film, wie schöpferisch das Kino sein kann.

Das Geld ist echt

Das Publikum wird rasant ins Geschehen eingeführt: Eine Frau und ein Mann fahren in einer Geländelimousine durch eine karge winterliche Bergregion. Er trägt den linken Arm im Gips und sie eine Strickmütze, eine unübliche Kopfbedeckung für Frauen in der iranischen Öffentlichkeit. Bei einem Polizeistützpunkt werden sie angehalten, die beiden verwickeln sich in einen heftigen Streit, ein Mobiltelefon fliegt aus dem Auto. Der Ordnungshüter ist sichtlich überfordert mit der Situation. Plötzlich fliegt ihm eine Plastiktüte voller Geld vor die Füsse, dann noch eine, der dritte Sack trifft ihn im Gesicht, er fällt um. Die Frau meint: „Nimm das Geld Kumpel, habe Spass, es ist echt“. Noch bevor der Polizist reagieren kann, fahren sie los, mit offenem Kofferraum und herumfliegenden Geldnoten. Schnitt. Die Frau und der Mann lachen ausgelassen und amüsieren sich über ihre gelungene Vorstellung. Auf ihrem Smartphone schauen sie nach, was sie von der Szene alles einfangen konnten. Ihre erste Reisebuchaufnahme.

Auch ein toter Säugling hat seinen Preis

Leyla (Taraneh Alidoosti) und Kaveh (Mani Haghighi) sind auf einer Mission, sie haben den Kofferraum voll mit Geld und möchten dieses unter der armen Bergbevölkerung verteilen. Über die Hintergründe und die Motive erfährt man nichts, genauso wenig über die Geschichte der Figuren und ihre Beziehung zueinander. Die Begegnungen mit den potentiell Begünstigten sind tragisch-komischer Natur und von Anfang an mit Schwierigkeiten verbunden. Ohne ersichtliche Gründe und Bedingungen Geld loszuwerden scheint nicht einfach zu sein. Wer verteilt schon Geld ohne opportunistische Motive? Ein einsamer alter Mann unter einem Plastikzelt möchte das Geld nicht, Leyla mimt die Beleidigte und Kaveh erzählt ihm irgendeine Geschichte, um ihn umzustimmen. Ein wenig später kaufen sie einem Alkoholschmuggler sein verletztes Maultier ab für zwei Säcke Geld. Die beiden müssen immer dreistere Methoden anwenden, um das Geld an die Leute zu bringen. Insbesondere Kavehs Handlungen werden zusehends verzweifelter. Einen jungen Mann lässt er, mit einer Hand auf dem Koran, schwören, dass er seinem Bruder nichts von dem Geld abgibt. Von einem Lehrer erwirbt er den Körper seines verstorbenen Kindes und die Würde. Die Selbstachtung von Leyla und Kaveh bleibt bei alldem nicht unberührt, mit der Zeit verwischt sich die Rollengrenze zwischen Wohltäter und Täter.

Bedrohlicher Realismus

Bis zum Schluss wird kaum etwas darüber verraten, weshalb Leyla und Kaveh unterwegs sind und wie sie zueinander stehen. Sie könnten ein Paar sein, Geschwister oder Freunde. Einmal ist von einer kranken und reichen Tante in Teheran die Rede, mehr auch nicht. Der Zuschauer weiss nicht, was wahr und was gelogen, was wirklich ist. Ausser dem Geld scheint nichts echt zu sein, es ist das bestimmende Medium in einer absurd anmutenden Filmlandschaft. Mani Haghighis Film bleibt zwar gerade durch das Primat des Geldes dem Realismus verhaftet, doch durch die vielen Unklarheiten und offenen Fragen trägt das Realistische hier stets unwirkliche und bedrohliche Züge. Die trostlose und menschenleere Berglandschaft liefert die angemessene Kulisse für diese atmosphärische Gratwanderung.

Dass Geld und Moral nur schwer vereinbar sind, ist keine neue Erkenntnis. Auseinandersetzungen mit diesem Thema können schnell einmal in ideologische Anklagen münden. Der vorliegende Film aber ist einer über Geld und Moral, der nicht moralisiert. Er ist mehr philosophisch denn politisch, fragend: Wie kommt es, dass Glück und Hoffnung so sehr ans Geld gekoppelt sind? „Modest Reception“ ist ein Beispiel dafür, wie es sein könnte, wenn ausser dem Geld nichts mehr echt ist, wenn es das einzig Wirkliche ist, die ausgezeichnete Wirklichkeit.

Seit 20.9.2012 im Kino.

Originaltitel: Modest Reception (Iran 2012)

Regie: Mani Haghighi
Darsteller: Mani Haghighi, Taraneh Alidoosti
Dauer: 100 Minuten
CH-Verleih: Trigon

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