Jenny-Mai Nuyen: „Noir“
Abstrus
Jenny-Mai Nuyen: „Noir“ (Fantasy)
Nino weiss: Sein baldiger Tod steht bevor. Vier Tage Unbeschwertheit, dann könnte es jeden Moment so weit sein. Verzweifelt sucht er einen Weg, seinem Schicksal zu entgehen. Dabei trifft er die rätselhafte Noir, die fortan bestimmend für sein Leben ist. – Stimmungsvoll geschrieben, jedoch sehr verwirrend.
Von Andrea Müller-Schmuki
Nino Sorokin ist fünf, als seine Eltern bei einem Autounfall sterben. Er ist dabei und was ihm vom Unfall bleibt – abgesehen von zahlreichen Schrauben in Schädel und Schlüsselbein – ist die Gabe, den Tod zu sehen. Er weiss von vielen Menschen, wann und wie sie sterben. Und er weiss: Er selber wird nur 24. Sein Geburtstag steht kurz bevor und Nino ist noch immer auf der Suche nach einer Möglichkeit, seinen Tod abzuwenden. Dabei gerät er immer mehr in okkulte Kreise und ins Drogenmilieu. Dort trifft er auch auf die zwanzigjährige Noir, die für Monsieur Samedi arbeitet. Dieser bietet Nino an, ihm zu helfen…
Abgedreht
Bis zum Ende des Buches wird nicht klar, was Wirklichkeit ist – und was schräge Träume, was psychotische Fantasien, Vorstellungen und Ängste eines Schizophrenen mit Depressionen, der seine Antipsychotika, Beruhigungsmittel und Antidepressiva eigenmächtig abgesetzt hat. – Und was sind die Bilder und Ideen, die dem Drogenrausch entsprungen sind?
In „Noir“ gibt es zahlreiche Zeitsprünge, die graphisch mittels unterschiedlicher Schrift gekennzeichnet sind. Gleichzeitig mit den Zeitsprüngen – damals und jetzt – wechselt auch jeweils die Erzählperspektive: Der grösste Teil des Buches ist im personalen Erzählstil geschrieben, die Sequenzen, die später, also im Jetzt, spielen, sind in der Du/Ihr-Erzählform geschrieben. Oft kommt auch das Stilmittel des inneren Dialogs und der erlebten Rede zum Einsatz, welche sehr inkonsequent kursiv markiert sind, bis etwa in der Mitte des Buches die Jetzt-Sequenzen plötzlich in die Ich-Erzählform übergehen. – Weshalb, wird nicht klar.
Verworren
Jenny-Mai Nuyens Schreibstiel ist flüssig. Sie schreibt sehr stimmungsvoll, allerdings ist es manchmal etwas geschwollen und überladen für den düsteren Grundton der Geschichte. Die düstere und verworrene Stimmung des Buches kommt oft gerade dadurch zustande, dass es so verwirrend geschrieben ist, dass der Leser mitunter bis zum Schluss nicht versteht, was einzelne Sequenzen im Buch zu bedeuten haben. Die Verwirrung betrifft jedoch nicht nur den Leser, sondern auch die Figuren.
Wenngleich man als Leser von Anfang bis Ende sehr gespannt ist, wie die Geschichte weitergeht, so gibt es doch nicht viele richtig spannende Stellen. Die Figuren – sowohl die von Nino als auch die von Noir, ganz zu schweigen von jeder anderen – bleiben flach. Selbst wenn zwischendurch über ihre Gedanken, Erinnerungen oder Lebenserfahrungen berichtet wird, geht es nie in die Tiefe. Es geht immer nur um den Moment, um das Ziel, sein eigenes Schicksal zu verändern.
„Noir“ bietet mässiges Lesevergnügen, eine etwas zähe, langsam dahintröpfelnde Story, Charaktere ohne Tiefgang und ein nicht nachvollziehbares Ende. – Schade.
Titel: Noir
Autorin: Jenny-Mai Nuyen
Verlag: Rowohlt Polaris
Seiten: 377
Richtpreis: CHF 21.25