Max Bentow: „Die Puppenmacherin“

Grausames (Puppen-)Spiel

Max Bentow: „Die Puppenmacherin“ (Psychothriller)

Die Chance, vom Blitz getroffen zu werden, ist an sich schon gering genug. Die Wahrscheinlichkeit, dass man zweimal in seinem Leben vom Blitz erwischt wird, ist daher fast gleich null. Und noch unwahrscheinlicher scheint es, wiederholt Opfer desselben Verbrechers zu werden; vor allem, wenn dieser nicht mehr lebt. Doch manchmal kann man sich täuschen…

Von Stefanie Feineis

diepuppenmacherinAls der Berliner Kommissar Nils Trojan zum Schauplatz eines Mordes gerufen wird, sollte dies für ihn eigentlich ganz normaler Berufsalltag sein. Doch der ungewöhnlich grausame Fall lässt in ihm Erinnerungen an seine letzten Ermittlungen und an seine eigene Kindheit aufkommen, die es ihm schwer machen, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.

Makabrer Mord

Zwar hat Trojan auf Grund vergangener Ereignisse bereits Kontakt zu einer Psychologin, doch diese weigert sich, ihn weiterhin zu behandeln, da zwischen den beiden Gefühle entstanden sind. Auf eine Beziehung will sie sich jedoch auch nicht einlassen, und so versucht Trojan frustriert und verzweifelt, sich mit seinem neuesten Fall abzulenken. Der Täter hat eine junge Frau in den Keller gelockt und mit Bauschaum überzogen, so dass sie qualvoll erstickte. Bei seinen Nachforschungen stösst der Kommissar auf einen fast identischen Fall, der einige Zeit zurückliegt. Damals konnte das Opfer, eine junge Frau namens Josephin Maurer, in letzter Sekunde befreit werden. Ähnlich wie Trojan von traumatischen Erinnerungen gequält, lebt sie inzwischen zurückgezogen und verdient ihr Geld mit der Herstellung von Amigurumi, japanischen Häkelpuppen.

Nachahmer oder Ermittlungsfehler?

Zunächst scheint die ausgefallene Vorgehensweise des Täters die einzige Verbindung zwischen dem alten und dem neuen Opfer zu sein. Doch schon bald schlägt der Unbekannte wieder zu, und diesmal wählt er Josephins beste Freundin. Was ein klarer Fall sein könnte, wird genau deshalb zum Problem: Der Täter von damals starb noch vor seiner Verhaftung bei einem Verkehrsunfall. Handelt es sich um einen Nachahmer, waren es von Anfang an zwei Personen oder lebt der wahre Täter noch? Als weitere Morde geschehen, die Josephin immer mehr ins Zentrum rücken, wendet sich Trojan verzweifelt an die einzige Frau, die vielleicht herausfinden kann, was den Unbekannten antreibt: Jana Michels, seine ehemalige Psychologin.

Ungewohnt verletzlich

Allein schon die Wahl des Titels ist ungewöhnlich, rückt sie doch das Opfer in den Mittpunkt und nicht wie bei Psychothriller üblich den Täter, wie das auch bei Belows vorherigem Werk „Der Federmann“ der Fall war. Die inhaltlichen Verbindungen zum ersten Roman mit Ermittler Trojan stellen sich während der Lektüre schnell als einer der wenigen Schwachpunkte heraus: Für Leser, die mit dem Vorgänger vertraut sind, sind diese Passagen zu lang, für Neueinsteiger nicht ausführlich genug; sie wirken also entweder wie ärgerliche Verzögerungen oder wie Andeutungen, die man nicht so richtig versteht. Zum Ausgleich dafür sind die Figuren gelungen, allen voran die des Ermittlers: Trojan war einst der typische harte Kommissar, wurde aber durch nicht verarbeitete Erlebnisse zu einem verletzten, ja sogar leicht traumatisierten Mann, der Angst hat, erneut zu versagen; ein Gefühl, dass der Leser gut nachvollziehen kann.

Psychologischer Tiefgang

Die Stärke dieses Buches liegt eindeutig auf der psychologischen Ebene, wie es sich für einen guten Psychothriller gehört. Fast beklemmend deutlich sieht man hier, wie sich für das Opfer eines Verbrechens das ganze Leben verändert, und auch die Bestrafung oder gar der Tod des Täters kaum Linderung bringt. Früher alltägliche Dinge stellen nun unüberwindbare Hindernisse dar, scheinbar einfache Interaktionen mit anderen Menschen werden zur Zerreissprobe. Aber auch der Täter handelt nicht aus ‚reinem Spass am Quälen‘. Sein Motiv ist weitaus komplexer und die Schuldfrage keinesfalls einfach zu beantworten, so dass sich der Leser zwischen Abscheu vor der Grausamkeit der Tat und Mitleid mit dem Schicksal dahinter regelrecht gefangen fühlt. Da verzeiht man dann auch, dass die Nebenhandlung auf den letzten Seiten etwas gar ins Klischee abgleitet.

Ein empfehlenswerter Thriller, der aufgrund der detaillierten Beschreibungen durchaus harte Nerven erfordert, aber dafür mit Tiefgang, jeder Menge Spannung und ungewöhnlich sympathischen Figuren mehr als entschädigt.


Titel: Die Puppenspielerin
Autor: Max Bentow
Verlag: Page & Turner
Seiten: 381
Richtpreis: 21.90

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