Ruth Dugdall: „Die leere Wiege“

Wie weit kann Liebe gehen?

Ruth Dugdall: „Die leere Wiege“ (Roman)

Es ist das Schrecklichste, was einer Mutter wiederfahren kann: der Tod des eigenen Kindes. Niemals könnte eine Frau, die dies am eigenen Leib erfahren hat, einer anderen einen solchen Verlust zufügen. Oder?

Von Stefanie Feineis.

dieleerewiegeEs ist der erste Arbeitstag im Gefängnis für Bewährungshelferin Cate Austin. Und die alleinerziehende Mutter sieht sich sofort mit verschiedenen Problemen konfrontiert: ein aufdringlicher Wärter, eine übermässig distanzierte Gefängnisdirektorin und ein Fall, der alles andere als alltäglich ist.

Tragischer Unfall oder eiskalter Mord?

Cate soll entscheiden, ob die Gefangene Rose Willks vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Wie aus den Gerichtsakten hervorgeht, hat sich Rose heimlich in das Haus ihrer damaligen Freundin Emma eingeschlichen und sowohl Emma als auch deren Baby Luke im Schlaf beobachtet, was sie auch zugibt. Danach soll sie sich eine Zigarette angesteckt und diese beim Verlassen des Hauses vergessen haben. Bei dem dadurch verursachten Brand starb das Baby an Rauchvergiftung; das Leben der Eltern, vor allem der Mutter, ist seitdem zerstört. Doch Rose bestritt von Anfang an, dem kleinen Luke, um den sie sich öfters kümmerte, geschadet zu haben. Sie betonte mehrfach, sie habe das Kind geliebt. Für Cate, die schliesslich selbst Mutter ist, keine einfache Situation.

Bedrückende Erfahrungen

In den ersten Gesprächen zeigt sich Rose freundlich, aber keiner Schuld bewusst. Cate erfährt, dass Rose Emma kennenlernte, nachdem sie beide im selben Krankenhaus entbunden hatten. Doch während Emma Mutter eines gesunden Jungen wurde, war der kleine Sohn von Rose kränklich und starb nach wenigen Tagen. Rose war zunächst untröstlich, doch der Kontakt zu Emma und Luke schien ihr zu helfen. Bald wurde sie zu Emmas enger Freundin, Vertrauten und Babysitterin. Nur Emmas wesentlich älterer Mann misstraute ihr von Anfang an. Zu Recht, wie es scheint, denn eines Tages müssen die geschockten Eltern erfahren, dass Rose Luke während des Babysittens als ihr eigenes Kind ausgibt und sogar stillt. Daraufhin verbieten sie ihr jeden Kontakt. Musste das Baby sterben, weil Rose Obsession nicht von Liebe unterscheiden konnte oder ist sie selbst das Opfer einer Intrige? Cate erhofft sich mehr Informationen von Jason, dem Lebensgefährten von Rose. Doch der zeigt sich unerwartet kalt. Kann oder will er nicht helfen?

Perspektivwechsel

Der Leser erfährt die Geschichte aus zwei Blickwinkeln: zum einen dem von Cate, der Bewährungshelferin, zum anderen dem von Rose, der angeblichen Verbrecherin. Während Cates eher sachlich-distanzierte Perspektive auf das Jetzt beschränkt ist, sich also auf ihre Arbeit, die Nachforschungen und nur gelegentlich auf ihr Privatleben bezieht, erzählt Rose unmittelbarer sowohl von ihrem Alltag im Gefängnis als auch von ihrer Vergangenheit – in Form von Einträgen in ein Tagebuch, das sie Jason widmet. So erfährt der Leser nach und nach ihre ganze Lebensgeschichte, von ihrer nicht gerade glücklichen Kindheit über das erste Treffen mit Jason bis hin zum Tod ihres eigenen Kindes; und natürlich am Ende auch, was in jener verhängnisvollen Nacht wirklich geschah. Mehrfach wird hier die Frage aufgeworfen, was eigentlich Liebe ist, und wo die Grenzen liegen, sowohl zur Obsession als auch zur Gleichgültigkeit.

Tiefer Einblick

Dugdall, die selbst jahrelang als Bewährungshelferin arbeitete, greift in ihrem Buch ein heikles Thema auf und präsentiert es in einer ungewohnten Form. Die wechselnden Perspektiven und vor allem die Tagebucheinträge erlauben einen tiefen Einblick in die Psyche von Rose. Wie man diese bewertet, hängt dann alleine von der persönlichen Wertung ab: Sympathie ist genauso möglich wie absolutes Unverständnis. Die Autorin ergreift hier keine Partei, was wesentlich zur Wirkung des Buches beiträgt, da sich der Leser in einer sehr ähnlichen Situation wie Cate befindet. Über die anderen Figuren erfahren wir eher wenig; ihre Motivationen müssen oft erahnt und ihre Handlungen erst interpretiert werden; wiederum genauso, wie Cate dies innerhalb der Geschichte tut. Bewusst ist daher deren Figur eher blass gezeichnet, um so dem Leser mehr Raum zu geben, aber auch um eine zu starke Identifikation zu verhindern, so dass man die am Ende von Cate getroffene Entscheidung nicht zwangsläufig teilen muss.

Ein ungewöhnliches und gelungenes Debüt, das zu Recht mit dem Debut Dagger Award, einem englischen Preis für Krimiautoren, ausgezeichnet wurde.


Titel: Die leere Wiege
Autorin: Ruth Dugdall
Verlag: Piper
Seiten: 363
Richtpreis: CHF 14.90

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