Laila Soliman – „No time for art“ | Gessnerallee Zürich

Die Kunst in Zeiten der Revolution

Laila Soliman – „No time for art“ | Gessnerallee, Zürich

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Welchen Stellenwert hat Kunst während einer gesellschaftlichen Umwälzung? Die Ägypterin Laila Soliman zeigt im Rahmen von “ReArt: the URBAN“ eine gekürzte Version ihrer neuesten Performance: “No time for art“ befasst sich mit den Opfern von Polizei- und Militärgewalt im Zuge der jüngsten ägyptischen Revolution.

Von Tamara Schuler.

Vom 25. bis 27. Oktober fand die interdisziplinäre Konferenz “ReArt: the URBAN“ in der Gessnerallee statt. Während drei Tagen standen Workshops, Diskussionen und Performances auf dem Programm, die sich mit der folgenden Kernfrage befassten: Was kann Kunst für die Entwicklung einer Stadt und ihrer Gesellschaft tun? Von Philosophen und Soziologen über Geographen bis hin zu Performance-Künstlern waren Vertreter verschiedenster Gebiete anwesend. Diese machten sich auf die Suche nach einem gemeinsamen Diskurs, um zu ergründen, wie Kunst mit dem urbanen Raum und der darin lebenden Gesellschaft interagiert.

Frühlingserwachen auf Arabisch
Auch die Theaterregisseurin und Autorin Laila Soliman war präsent. Die 31-jährige Ägypterin lebt und arbeitet – wann immer möglich – in Kairo. Die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der ägyptischen Gesellschaft zieht sich durch die Mehrzahl ihrer Werke: Vor zwei Jahren brachte sie die erste arabische Adaption von Frank Wedekinds “Frühlings Erwachen“ auf die Bühne, im Jahr 2011 führte sie an der Seite von Ruud Gielens Regie für die Performance “Lessons in Revolting“, welche die aufkommende arabische Revolution thematisierte. Solimans neustes Projekt ist eine Serie dokumentarischer Performances, die sich mit der Polizei- und Militärgewalt im revolutionsgebeutelten Ägypten auseinandersetzt. Berichte von Opfern der Militärjunta sowie Amateuraufnahmen der gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Demonstranten und ägyptischen Sicherheitskräfte bilden dabei das Grundgerüst. “No time for art“ wurde in unterschiedlichen Variationen in verschiedenen europäischen Ländern gezeigt – unter anderem auch am diesjährigen Zürcher Theater Spektakel.

Anonymität aufheben
Die in der Gessneralle gezeigte Variante besteht aus zwei Teilen: Zunächst erhält jeder Zuschauer einen Umschlag mit einem Blatt Papier darin: “I demand a trial for those responsible for the killing of“ steht darauf, gefolgt von Name, Alter, Beschäftigung und Todesursache einer Person, die im Zuge des arabischen Frühlings umgekommen ist. Nacheinander lesen die Zuschauer ihren jeweiligen Satz vor, die Stimme verstärkt durch ein Mikrofon. Im zweiten Teil folgt ein Video: Szenen des Aufeinanderprallens zwischen Militär und Demonstranten, schreiende und verwundete Menschen, Leichen, die immer noch bluten. Im arabischen Stimmengewirr ist hin und wieder das Wort “Tahrir“ heraus zu hören, alles andere bleibt unverständlich.

Nach ungefähr 20 Minuten ist die Performance zu Ende, zurück bleibt vor allen Dingen Ratlosigkeit. Zwar wird mittels der einzeln vorgestellten Menschen, die für die Revolution ihr Leben liessen, ein Stück Anonymität aufgehoben: Durch die Einzelschicksale werden aus der grauen Masse Individuen, die auf grausame Weise sterben mussten. Doch die steckbriefartige Beschreibung der Opfer bleibt oberflächlich, ein tatsächliches Bild dieser Menschen kann sich daraus nicht ergeben. Auch das gezeigte Video hätte wohl grössere Wirkung gezeigt, wenn das Gesagte ins Englische übersetzt worden wäre.

Kunstfreie Zonen
Dass die ägyptische Revolution viele Opfer forderte, dürfte mittlerweile Jedem bekannt sein. Was genau da vor sich ging und welche Rolle Polizei und Militär bei den eskalierenden Demonstrationen spielten, vermochte auch Solimans Performance nicht abschliessend zu erklären. Zumindest nicht in dieser Variante: Wie bereits erwähnt und auf ihrer Website nachlesbar, wurden verschiedene Variationen von “No time for art“ gezeigt. Bei den längeren Performances kamen Betroffene per Video selbst zur Sprache und konnten ihre jeweilige Geschichte ausführlicher erzählen – ein essentieller Bestandteil, um gegen die, wohl durch die Medien mitverursachte, Abgestumpftheit des Publikums anzukämpfen.

Mit dem Titel ihres Werkes wirft Laila Soliman zudem eine grundlegende Frage in den Raum: Kann Kunst in Zeiten von gewalttätigen gesellschaftlichen Umwälzungen überhaupt existieren? Ist Kunst nur die Ausgeburt von Mitgliedern einer Gesellschaft, die zufrieden und glücklich sind? Bilden Traumata, Verlust und Ungewissheit nicht genau den Treibstoff, den ein Künstler für tiefgründiges Schaffen braucht? Ob die jüngsten Geschehnisse im arabischen Raum tatsächlich in kunstfreien Zonen geschehen, bleibt offen: “No time for art“ will das Publikum zwar aufrütteln und liefert dazu auch einige Denkanstösse, lässt den Zuschauer aber schlussendlich ratlos zurück.

Besprechung der Aufführung am 26. Oktober 2012
Weitere Aufführungen: 23. & 24. November (Tanzquartier Wien)


Besetzung: variierend
Regie: Laila Soliman
Dauer: variierend


Im Netz
notimeforart.com
rearttheurban.org



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