Jay Asher, Carolyn Mackler: „Wir beide, irgendwann“
Wir, Facebook, die Zukunft
Jay Asher, Carolyn Mackler: „Wir beide, irgendwann“ (Jugendroman)
Zufällig landet Emma auf ihrem Facbook-Profil der Zukunft und entdeckt, dass sie mit 31 unglücklich sein wird. Fortan versucht sie, die Gegenwart so zu verändern, dass ihre Zukunft nicht ganz so trostlos aussieht. Doch sie verändert damit auch die Gegenwart und gefährdet die Freundschaft zu ihrem besten Freund.
Von Sandra Despont.
Anno 1996. Handys sind ein Kursiosum, einigermassen teuer und keineswegs selbstverständlich. Manche zweifeln, ob sich dieser neumodische Kram überhaupt durchsetzen wird. Das Internet ist noch brandneu und vielen suspekt. Immerhin gibt es aber – heureka! – die ersten Farbbildschirme für Computer. Immer mehr Menschen schliessen sich der digitalen Revolution an, mailen und chatten, was das Zeug hält. Auch die 16-jährige Emma. Doch als sie zum ersten Mal in ihren Mailaccount einloggt, geschieht etwas Seltsames: Sie landet bei Facebook, obwohl es dieses noch gar nicht gibt. Und was sie dort über sich erfährt, gefällt ihr gar nicht.
Kein Mensch hat 300 Freunde
Einen ganz eigenen Witz und Charme erhält der Roman durch sein Setting: Er spielt in einer früheren, aber vielen eben doch noch allzu vertrauten Zeit, in der man noch über die Errungenschaften der neuen Kommunikationswelten staunte. Da gibt es doch tatsächlich Leute, die mit Menschen chatten, „die vielleicht nicht mal auf die Lake Forest High“ gehen, konstatiert Hauptfigur Emma einigermassen verständnislos und entlockt damit dem Leser ein halb wehmütiges, halb amüsiertes Lächeln, denn die Chancen stehen gut, dass dieser Leser sich einerseits genau an die Zeiten erinnert, in der man Gespräche zum grössten Teil noch analog führte, andererseits wird ebendieser Leser inzwischen wohl nicht mehr bloss mit Menschen der benachbarten Schule, sondern plus-minus mit der ganzen Welt Kontakte pflegen. Ebenso erhellend wie Emmas Befremden ist Joshs irritierter Kommentar, als er sieht, dass die Facebook-Emma über 300 Freunde hat: „So viele Freunde hat doch kein Mensch!“, ruft er aus und macht damit klar, wie schnell Begriffe in bestimmten Kontexten ihre Bedeutung verändern können, dass fünfzehn Jahre im digitalen Zeitalter eine Ewigkeit sein können. Eindrücklich wird klar, wie tiefgreifend sich die Welt der Jugendlichen von heute von denen der in den 70-ern oder 80-ern Geborenen unterscheidet.
Die Jugend aber wirkt in „Wir beide, irgendwann“ überhaupt nicht alt, sondern aufmüpfig und in qualvolle Selbstfindungsprozesse verwickelt wie eh und je. Emma beschäftigt sich nicht nur mit ihrem ersten Computer und dessen Auswahl an Bildschirmschonern, sondern vor allem auch mit Jungs: Mit Graham will sie Schluss machen, findet aber nicht den Mut und den richtigen Augenblick dazu; mit ihrem besten Freund Josh aus der Nachbarschaft ist alles irgendwie nicht mehr so herrlich unkompliziert wie früher. Alles verändert sich, als Emma sich zum ersten Mal ins Internet einloggt. Sie gelangt unversehens auf ihr Facebook-Profil der Zukunft. Und was sie da sieht, ist ein Schock: Die zukünftige Emma ist kreuzunglücklich: Seit einem halben Jahr ist sie arbeitslos, ihr Mann Jordan geht fremd, sie scheint psychische Probleme zu haben. Der zukünftige Josh hingegen hat einen guten Job, eine attraktive Frau und ein Haus samt Seeanstoss und Motorboot.
Gefährliches Spiel mit der Zukunft
Die Sache mit Facebook wird noch unheimlicher, als Emma und Josh bemerken, dass sie mit ihrem Verhalten im Jetzt in das Leben ihrer künftigen Ichs eingreifen können. Plötzlich hat die Zukunfts-Emma einen Job und viel mehr Freunde. Mit Jordan ist sie allerdings immer noch verheiratet – nur bleibt dieser nicht mehr nächtelang weg, sondern gibt das von Emma verdiente Geld grosszügig aus, um sich die neuesten elektronischen Spielzeuge zu gönnen. Trotz vielen möglichen Veränderungen in der Zukunft scheint zu gelten: Charakterschwein bleibt Charakterschwein. Und mit so einem will Emma selbstverständlich nichts zu tun haben, geschweige denn den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen. Josh hingegen findet seine Heirat mit dem hübschesten und beliebtesten Mädchen der Schule gar nicht so übel und befürchtet, Emma könne ihm durch ihre Manipulationen seine schöne Zukunft kaputtmachen. Beide merken bald, dass kleinste Veränderungen in der Gegenwart einen riesigen und unvorhersehbaren Einfluss auf die Zukunft haben können. Das Spiel mit der Zukunft ist gefährlich und stellt nicht zuletzt ihre Freundschaft in Frage – doch aufhören will und kann Emma nicht mehr. Denn wer will schon unglücklich sein?
Zeitlose Themen, vorhersehbare Handlung
Jay Asher und Carolyn Mackler greifen in „Wir beide, irgendwann“ einerseits zeitlose Jugendthemen wie Freundschaft, erste Liebe und die Ablösung von den Eltern auf, andererseits sind sie durch den Einbezug der neuen Medien auf der Höhe der Zeit. Schade nur, dass sich die Handlung über weite Strecken etwas gar lahm dahinschleppt. Wieder und wieder wird den Lesern mit dem Holzhammer eingebläut, dass Josh in Emma, Emma in Cody verliebt ist, Emma mit Graham Schluss machen will und Sydney Mills unglaublich attraktiv ist. Dass Emma und Josh eine Weile brauchen, um herauszufinden, was Facebook ist und wie es funktioniert und sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie eine Internetseite aus der Zukunft entdeckt haben, ist zwar realistisch (und manchmal auch ganz witzig), doch mit der Zeit scheint sich die Handlung im Kreis zu drehen. Die Handlung wird zusätzlich durch zahlreiche banale Nebensächlichkeiten aufgehalten, die weder etwas für den Lauf der Dinge, noch für die Figurencharakterisierung tun oder einen speziellen Unterhaltungswert hätten. Dazu kommt, dass die Handlung allzu vorhersehbar ist: Dass Josh und Emma füreinander bestimmt sind, strahlt einem buchstäblich von jeder Seite entgegen, so dass einigermassen geübte Leser vom Ausgang des Romans kaum überrascht sein werden.
„Wir beide, irgendwann“ lebt ganz von den beiden Hauptfiguren Josh und Emma, aus deren Perspektive abwechslungsweise erzählt wird. Die beiden erzählen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und wirken dadurch lebendig und authentisch. Dank der beiden Perspektiven sind Identifikationsfiguren für Jungs und Mädchen vorhanden, so dass der Roman beide Geschlechter gleichermassen ansprechen kann. Philosophisch veranlagte Gemüter mögen bedauern, dass die reizvolle Idee, die heutige Technologie mit physikalischen Gedankenspielen von Paralleluniversen zu kombinieren, nicht weiter verfolgt wurde, doch wer sich von „Wir beide, irgendwann“ vor allem einen leicht lesbaren Jugendroman erhofft, wird voll auf seine Kosten kommen.
Titel: Wir beide, irgendwann
Autoren: Jay Asher, Carolyn Mackler
Übersetzer: Knut Krüger
Verlag: cbt
Seiten: 394
Richtpreis: CHF 25.90