Molière “Der Menschenfeind“| Schauspielhaus Zürich, Pfauen

Mit Humor gegen Lügen und Heuchelei

Molière “Der Menschenfeind“| Schauspielhaus Zürich, Pfauen

Bild: Ensemble | Foto, Copyright: Matthias Horn
Bild: Ensemble | Foto, Copyright: Matthias Horn

Barbara Frey liegt Molières “Menscheinfeind“ ganz offensichtlich. In ihrer Inszenierung am Schauspielhaus Zürich ist ihr eine ganz herrliche Interpretation gelungen und auch das Personal legt diesem Fakt noch einen drauf.

Menschen mit (absoluten) Prinzipien sind anstrengend. Sehr anstrengend. Man möchte sie zuweilen schütteln, so anstrengend sind sie. Jedes Gegen-Argument wird mit einem Prinzipien-Argument gekontert. Wie soll man diesen Menschen beikommen? Kann man ihnen beikommen? Oder kommen sie uns bei? Im “Menschenfeind“ von Molière will sich der Menschenfeind Alceste, der die Heuchelei und Unehrlichkeit seiner Zeitgenossen nicht mehr aushalten kann, schliesslich auf eine Insel flüchten und alles hinter sich lassen. Zu sehr verachtet er die Leute am Hof, seine Freunde und ebenso selbständige Frauen wie Célimène, die er vorgibt zu lieben.

Lastermäuler leben länger
Die Figuren in Molières Komödie sind in der Regiearbeit von Barbara Frey liebevoll gezeichnet. Böse sein kann man keiner, aber das liegt auch an den nur kleinen Problemen, die sie in der Oberschicht mit sich herumtragen. Man lästert gerne über diesen und jene. Doch das kann auch einmal ins Auge gehen. Célimène (Yvon Jansen) , die junge schöne Witwe, verliebt in Alceste (Michael Maertens) und er in sie, passiert genau das. Sie hat am Ende zuviel gelästert und schreibt dies in Briefen auch noch nieder. Doch ihre beiden Bewunderer, Acaste (Siggi Schwientek) – der „kleine Marquis“ – und Clitandre (Christian Baumbach), haben sich trotz der Eifersüchteleien geeinigt, sich im Werben um Célimène nichts zu verheimlichen. So kommt ihre boshafte Kritik, die sie den beiden über den jeweils anderen zukommen lässt, ans Tageslicht. Doch sie kann sich trotz ihrer (wohl nur kurzfristigen) Ächtung in der Gesellschaft nicht entschliessen, mit Alceste auf die einsame Insel zu gehen. Zu sehr braucht sie die Gesellschaft und die Gesellschaft auch sie mit ihren schlagfertigen Bosheiten. Was soll man denn auch anderes tun?

Bild: Yvon Jansen, Michael Maertens | Foto, Copyright: Matthias Horn
Bild: Yvon Jansen, Michael Maertens | Foto, Copyright: Matthias Horn

Gefährliche Offenheit
Der vermeintliche Dichter Orante (Matthias Bundschuh) – zu Beginn noch im Schlafrock an seinem Gedicht werkelnd und jetzt in schreiend komisch gekünstelter Pose vor Alceste und dessen Freund Philinte (Thomas Loibl) stehend – deklamiert in laienhaftester Form das in fünf Minuten hingekritzelte Gedicht. Es tut den Zuhörern auf der Bühne in den Ohren weh und das Publikum lacht. Eine offene Meinung Alcestes wünscht der Dichter sich und Alceste zum Freund. Dieser windet sich zuerst noch und redet um den heissen Brei herum, schleudert ihm dann schliesslich  doch entgegen, dass dies schon tausend Male kopiert wurde und jedes Volkslied von besserer Qualität sei. Diese offene Kritik hält Orante dann doch nicht aus und bringt Alceste vor Gericht. Alceste sieht sich in seiner Meinung gegenüber den Menschen erneut bestätigt und will sich nicht verteidigen lassen. Seine Verurteilung soll der Nachwelt ein Zeichen für die Dummheit der Gegenwart sein.

Falsche Offenheit
Alceste stört sich zwar an der Oberflächlichkeit von Célimène, doch los kommt er von ihr trotzdem nicht. Er wünschte sich so sehr, dass sie nicht die reiche Witwe wäre, sondern dass er sie als armes Mädchen aus dem Elend retten könnte. So stört sich Alceste zwar an der Falschheit in der Gesellschaft, von der  Gleichheit zwischen Mann und Frau ist aber auch er noch weit entfernt. Genau dieser Punkt, dass sie so selbständig ist, stört ihn am meisten. Sie ist ihm ebenbürtig, zumindest in finanzieller Hinsicht, aber durchaus nicht dumm. Sie durchschaut etwa die falsche Offenheit, mit der Arsinoé (fabelhaft dargestellt vom Mann in Frauenkleidern – Gottfried Breitschuh – und der der damaligen Gepflogenheit entsprechend, auch Frauenrollen nur von Männern spielen zu lassen) zu ihr kommt und ihr von der Konversation zu Tisch erzählt, in der von Célimènes Lebenswandel die Rede ist. Ganz köstlich, wie Arsinoé während der Gegenrede Célimènes, die ebenso boshaft aber sehr charmant vorgetragen wird, langsam in sich zusammensackt. Nicht nur wegen des Weins, den sie in Unmengen zu sich nimmt und der sie nicht mehr gerade stehen lässt.

Wein, Weib und Klavier
Den Wein konsumieren an diesem Abend vor allem die Damen. Auch Eliante (Olivia Grigolli), hoffnungslos verliebt in Alceste und verehrt von dessen Freund Philinte, ist ihm zugeneigt. Doch die Liebe macht sie dennoch nicht blind. Zwar würde sie Alceste zu Beginn noch zum Mann nehmen, wenn er verschmäht von Célimène bei ihr ankäme. Alceste zieht diesen Ausweg erst noch in Betracht, am Ende wendet sich Eliante Philinte zu und vom Klavierspieler ab (Iñigo Giner Miranda).

Bild: Michael Maertens, Yvon Jansen, Denise Frei | Foto, Copyright: Matthias Horn
Bild: Michael Maertens, Yvon Jansen, Denise Frei | Foto, Copyright: Matthias Horn

Viele kleine Zwischentöne und eingeflochtene Szenen der brillierenden Nebenrollen, wie etwa der Diener (Samuel Braun), der jedes Mal, wenn er zur Tür reinkommt oder rausgeht, den Kopf anstösst, oder der Pianist und Kellner, der zwar spanisch parlierend keine Weltmacht mehr ist, aber nichtsdestotrotz mit Musik und Getränken Macht ausüben kann, ausser auf das Zimmermädchen (Denise Frei), das sich unbeeindruckt weiter dem lautstarken Staubsaugen widmet.  Durch die gebundene Rede wird der Humor im Stück auf dem Tablett serviert. Man kann ihn nicht nicht verstehen. Und das ist für einmal sehr angenehm. Die Bühne (Bettina Meyer) ist aufwendig gestaltet mit Personenlift, grosser Treppe im Hintergrund und vielen Tischen. In der Mitte ein Rundsofa unter einem immensen runden Lüster. Das ganze soll den Salon von Célimène darstellen bzw. ist in Wahrheit ein Zwitter zwischen Salon und Lokal, weshalb, wird nicht ganz klar. Das Pariser Publikum hat ihn und die versteckten Andeutungen dennoch nicht verstanden. Der Uraufführung am 4. Juni 1666, in der Molière die Hauptrolle spielte, war kein Erfolg beschieden. Es hatte scheinbar noch immer zu viel Ernst in dem Stück, wie der Biograph Molières, Grimarest, bemerkt. Von dieser Ernsthaftigkeit spürt man allerdings in der leichtfüssigen Inszenierung von Barbara Frey nichts.


Regie: Barbara Frey
Bühne: Bettina Meyer
Kostüme: Esther Geremus
Licht: Rainer Küng
Dramaturgie: Thomas Jonigk


Besetzung
Michael Maertens (Alceste), Yvon Jansen (Célimène), Thomas Loibl (Philinte), Matthias Bundschuh (Oronte), Olivia Grigolli (Eliante), Gottfried Breitfuss (Arsinoé), Siggi Schwientek (Acaste), Christian Baumbach (Clitandre), Samuel Braun (Basque), Iñigo Giner Miranda (Pianospieler), Denise Frei (Ein Zimmermädchen)


Premiere am 17.1.2013 im Pfauen.
Dauer: ca. 2 Stunden.

Weiter Aufführungen: 20., 21., 26., 29. und 30. Januar; 1., 7., 8., 10., 13., 18., 19. Februar und 4. März 2013.


Im Netz
www.schauspielhaus.ch

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