Mensch und Umwelt im Gleichgewicht – eine Utopie?

Mensch und Umwelt im Gleichgewicht

– eine Utopie?

Ausschnitt aus "Der Garten Eden" von Thomas Cole (1828)
Ausschnitt aus „Der Garten Eden“ von Thomas Cole (1828)

In seinem Roman Ökotopia zeichnet Ernest Callenbach einen Gegenentwurf zu unserer Welt: Einen Ort an dem Menschen miteinander und mit ihrer Umwelt im Einklang leben. Dabei blendet Ökotopia keineswegs die Probleme des Alltags aus, sondern zeigt Lösungsansätze und räumt ein, nicht auf alles eine Antwort zu haben. Damit hat der Roman auch fast 40 Jahre nach seinem Erscheinen kaum an Aktualität eingebüßt.

Von Stefan Schustereder

Der Wunsch nach einem Leben im Einklang mit der Umwelt begleitet jede Seite des Romans Ökotopia. Im Mittelpunkt der Geschichte steht dabei der New Yorker Reporter William Weston, der als erster amerikanischer Journalist den Staat Ökotopia besuchen kann. Dieser hatte sich 20 Jahre zuvor von den USA abgetrennt und umfasst Teile der US-Bundesstaaten Kalifornien, Nevada und Oregon.

Der Autor, Ernst Callenbach, der im Frühjahr 2012 verstorbene Universitätsprofessor und Journalist, erzählt seine Geschichte aus zwei unterschiedlichen Perspektiven: Zum einen zeigt er sie durch Westons distanziertere Berichterstattung für seine Zeitung, zum anderen durch die sehr persönlichen Notizen in dessen Tagebuch. Darin schildert Weston den Widerspruch zwischen seinem Wissen über das Land und den Erfahrungen während seines Aufenthaltes. So erkennt der Leser sehr schnell, welches Bild die US-amerikanische Gesellschaft von Ökotopia und seinen Bewohnern hat: Das Land gilt als rückständig, unzivilisiert und chaotisch. Niemand schenkt den Gerüchten Glaube, es herrsche dort weder Gewalt noch Hunger oder Umweltverschmutzung.

Auch Weston nicht. Entsprechend beunruhigt reagiert er auf die Konfiskation seines Revolvers bei der Einreise nach Ökotopia. Und sein erster Kontakt zu den Bewohnern des Landes ermöglicht dem Leser, sein Unbehagen direkt nachzuempfinden: Bei einer Zugfahrt mustern ihn seine Mitfahrer interessiert und neugierig. Der direkte Blickkontakt und die offene Neugier der Menschen Ökotopias irritieren Weston zutiefst und lösen in ihm ein Gefühl der Beklommenheit aus. Er beklagt den Verlust jedweder Anonymität. Eine Empfindung die wir, die diese von der täglichen Fahrt im öffentlichen Nahverkehr gewohnt sind, durchaus nachempfinden können.

Recycling, Lebensqualität und Miteinander
Unmittelbar nach seiner Ankunft in San Francisco, der Hauptstadt des Landes, wird der Journalist mit der Allgegenwärtigkeit des Recyclings konfrontiert. Dieses ist einer der zentralen Grundsätze Ökotopias.  Einer, den William Weston bereitwillig nachvollzieht, auch wenn er die Obsession der Bewohner zu diesem Thema nur schwer ernst nehmen kann. Durch seine Augen erscheint dem modernen Leser der unbedingte Wunsch nach einem Leben im Einklang mit der Umwelt eher als das Lebensgefühl eines exzessiven Bio-Konsumenten gemischt mit etwas Hippie-Kultur.

Gerade diese Passagen erinnern den Leser stark an die gesellschaftlichen Zustände der Hippie-Bewegung Ende der 1960er und Anfang der 70er Jahre. Dennoch, und das wird durch Westons Beschreibung schnell deutlich, liegt das Augenmerk Ökotopias auf der Lebensqualität und dem Miteinander. Gerade die Offenheit der Menschen, der Mangel an persönlicher Distanz sowie der lockere Umgang der Geschlechter miteinander überraschen und verwirren den New Yorker Journalisten besonders. Ein beginnendes Verhältnis mit Marissa, einer Bewohnerin Ökotopias und die sexuelle Freizügigkeit der Bewohner irritieren Weston zudem und er scheint zwischen Faszination und Eifersucht hin- und hergerissen zu sein.

Ökotopia zeigt nicht für jedes Problem eine Lösung auf
Das Land und der Roman bieten eine andere, aber keineswegs eine heile Welt. Gerade die Harmonie mit der Umwelt ist zwar ein Ziel, jedoch noch kein Zustand. Dies wird bei Themen wie Energiegewinnung oder Konsumverhalten deutlich. Dazu wird das harmonische Bild der Welt Ökotopias auch durch gesellschaftliche Probleme getrübt, welche unserer Welt nicht unbekannt sind. In den großen Städten gibt es einige Viertel, die nahezu ausschließlich von asiatischen und afro-amerikanischen Bürgern bewohnt werden. Diese Bevölkerungsgruppen genießen in der Gesellschaft eine gewisse Autonomie, da es der Regierung nicht gelingt, sie zu integrieren.

Ökotopia 1975 und heute
Ökotopia ist, auch aufgrund des Alters der Geschichte, keine Utopie (mehr) im klassischen Sinne. Gerade Aspekte wie Recycling oder umweltgerechte Energiegewinnung sind Teil unseres Alltags und des öffentlichen Diskurses. Dennoch sind zahlreiche Probleme, welche zur Gründung Ökotopias führten, auch in der Gegenwart noch aktuell. So zum Beispiel der rücksichtslose Wunsch nach Fortschritt und Luxus durch Ausbeutung von Ressourcen und Belastung der Umwelt. Oder das Anprangern von Umweltschutz und Achtsamkeit im Umgang mit unseren Bodenschätzen als wirtschafts- und fortschrittsfeindlich.

Gegen Ende des Romans fällt William Westons zunächst in alte Gewohnheiten zurück.  Er  gerät  in einen Zustand der inneren Zerrissenheit, geprägt von Paranoia und Ablehnung. Sein Zustand bessert sich erst, als er beschließt, die Eigenheiten Ökotopias anzunehmen und sein früheres Bild des Landes endgültig loszulassen und sein altes Leben in New York aufzugeben.
Der messianische Charakter dieses Endes wie auch andere, sehr idealisierte und fremd anmutende Aspekte Ökotopias hinterlassen den Leser mit einer gewissen Enttäuschung: Die scheinbar unüberbrückbare  Grenze zwischen Utopie, oder Ökotopie, und unserer Realität kann auch Callenbachs Roman nur teilweise überschreiten. Die Probleme unserer Welt werden auch in Ökotopia nicht alle gelöst.

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