Crysis 3 (Crytek)
Der Fluch der Vorgänger
Crysis 3 (Crytek)
Crytek und Ihre Crysis-Reihe gelten spätestens seit 2007 als Frontreiter atemberaubender Grafik, besonders auf dem PC. Jeder Teil von Crysis ging an die Grenze des Möglichen und zwang die PC-Spielerschaft immer wieder zur Investition in neue Hardware. Crysis 3 geht diesen Weg kontinuierlich weiter. Doch ist das denn wirklich so wichtig? Welche Bedeutung hat die Grafik zum Ende einer Konsolengeneration – und zu einer Zeit in der Indiespiele mit Pixeloptik punkten? Bietet Crysis 3 mehr als nur schöne Umgebungen? NORMAN VOLKMANN stürzte sich in den Großstadtdschungel und versuchte es herauszufinden.
Cevat Yerli, Gründer und CEO von Crytek, ist angepisst. Ein kleines bisschen zumindest. Man hört es in seiner Stimme und merkt, dass das bis dahin lockere Gespräch etwas gespannter wird. Im Gamespot Gameplay Podcast liest man ihm das “schlechteste” und das “beste” Review zu Crysis 3 vor und kommt im Anschluss auf den Metacritic-Durchschnitt zu sprechen, der aktuell immer noch in den höheren 70er-Gefilden liegt. Wie wichtig Wertungen am Ende doch noch sind, besonders für Entwickler und Publisher, wird in dem Gespräch und auch in nachfolgenden Interviews mit Yerli mehr als deutlich. Ein Hauptkritikpunkt ist die mehr oder minder kurze Spielzeit. 5 Stunden hieß es bei den Kollegen von Edge-Online und das ist eine Zeit, die ich, wie Yerli, ganz und gar nicht nachvollziehen kann und die wahrscheinlich für den Durchschnittsspieler (ich nehme mich und meine knappen 9 Stunden hier einfach als repräsentatives Beispiel) nicht zwingend valide ist.
Version 2.5?
Doch das ist auch nicht das Hauptproblem von Crysis 3. Yerli argumentiert, dass Teil 3 besser ist als die Vorgänger, besser sein muss – immerhin hat man ja aus den Vorgängern gelernt und technisch ganz andere Möglichkeiten. Und ein viel größeres Budget! Die durchschnittlichen Reviews können also kaum gerechtfertigt sein und müssen aus anderen Gründen entstanden sein: „It is better than Crysis 2. It is better than Crysis 1. Technical and creatively, and storytelling — all aspects.“ Es sind die Nachfolger, die leiden und die Erschöpfung der Spieler, die sich am Ende einer Konsolengeneration einstellt. Die muss es sein. Inzwischen hat man ja alles gesehen. Vielleicht ist Crysis 3 aber auch einfach nur im Mittelfeld stehen geblieben? Trotz toller Optik, trotz angeblich besserem Storytelling, trotz technischer Neuerungen?
Ganz sicher sogar. Über die Handlung sollte man eigentlich kaum ein positives Wort verlieren dürfen. Ein Beispiel: Man spielt Prophet, einen Charakter, der sich zu Beginn von Crysis 2 umbrachte, der aber zuvor bereits mit dem Nanosuit verschmolzen war und zum Ende von Teil 2 wieder die Kontrolle über den Anzug und den sich darin befindlichen Marine Alcatraz übernahm. Prophet ist jetzt also quasi selbst der Anzug und nutzt den toten (?) Körper von Alcatraz als Wirt. Ahja. Mehr wird Prophet für SpielerInnen auch nicht. Er ist die tiefe Stimme, die in den Cutscences spricht und sich ab und an mit Psycho, einem Ex-Anzugträger, unterhält. Prophet hat kein Profil, es gibt keinen Grund sich mit ihm zu identifizieren. Im Fokus stand schon immer der Anzug – tatsächlich ist es erschöpfend darüber nachzudenken, warum man nun genau wen spielt und was dessen Motivation ist. Ich will ja sowieso nur schießen. Jeder Versuch, eine Bindung zu den Charakteren erstellen, wirkt erzwungen und trieft vor Klischees.
Crysis 3 ist kein schlechtes Spiel, ganz und gar nicht. Aber nur ein gutes Spiel zu sein, reicht nicht mehr aus. Dem Spieler vielleicht, aber etwas anders sieht es sicher bei Crytek und EA aus. Die beste Grafik auf dem Markt zu haben ist nicht mehr so viel wert, wie noch vor 2 oder 3 Jahren. Die Bandbreite an Grafikstilen verschiedener Spiele ist mittlerweile so groß, dass ein Titel wie Crysis 3 damit nur kurzzeitig faszinieren kann, besonders auf den Konsolen. Und wie ist das nun mit den Nachfolgern in einer Serie? Leiden die nun wirklich unter Ihren Vorgängern, selbst wenn Sie alles besser machen?
Ein Mann, ein Bogen!
Crysis 3 bietet viel Neues, ohne Frage. Als Kernstück im Waffenarsenal von Prophet befindet sich der Predator-Bogen, mit dem er lautlos und ohne seinen Tarnmodus zu verlassen, Gegner nach Gegner jagen und erledigen kann. Mit den verschiedenen Pfeilspitzen wird man so direkt zu Beginn des Spiels zu einer übermächtigen Heldenfigur, kann die CELL-Soldaten in die Luft jagen oder sie im Wasser mit Elektro-Pfeilen brutzeln. Die Spielweise hat sich dabei aber kaum geändert. Wie schon im Vorgänger (nur etwas weniger linear) schleicht man sich von Deckung zu Deckung, lädt die Energie des Nanosuits wieder auf, um dann ungesehen nichtsahnende Soldaten einen Kopf kürzer zu machen. Mit dem Bogen funktioniert das nun auch aus der Entfernung und bietet einen enormen Vorteil. Auch wenn die Soldaten recht schnell bemerken, wenn einer von den Kumpanen fehlt, getarnt entkommt man den Kollegen schnell. Andere Waffen zu nutzen ist nahezu überflüssig – durch die Pfeile mit Sprengköpfen erledigt Prophet auch gegnerische Fahrzeuge im Handumdrehen. Das Visor, mit dem man die Kampfsituationen schon vorab abschätzen und beurteilen kann, ist viel intuitiver als noch im Vorgänger und kann nun sogar gegnerische Gefechtstürme oder bestimmte außerirdische Gegner hacken. Die Waffenanzahl ist übersichtlich, jedes Modell kann aber nach den eigenen Vorlieben angepasst und verändert werden. Verschiedene Aufsätze, Unterläufe und Magazinerweiterungen bieten eine Menge Spielraum.
Im Grunde waren alle diese Änderungen wichtig und machen Crysis 3 zu einem wirklich guten Gesamtpaket. Doch all die angesprochenen Änderungen sind nicht mehr als Feintuning, das Lernen aus Fehlern, sowie die logische Weiterentwicklung der Szenerie. Den Nanosuit gab es bereits 2007, das Konzept und der Ablauf der Kämpfe ist im Grunde gleich geblieben. Die Branche ist nach Crysis 2 nicht stehengeblieben, sondern hat sich insgesamt weiterentwickelt. Crysis 3 muss sich nicht nur an seinen Vorgängern messen, es muss sich an Konkurrenten messen, die andere Bereiche besser beherrschen – selbst im überlaufenden Shootergenre. Dort waren allein die letzten Monate unheimlich stark. Halo 4 steht mit Crysis 3 grafisch auf einer Stufe, Far Cry 3 bietet eine riesige Spielwelt, Call of Duty und Battlefield sind noch immer die Mehrspielergrößen. Sich von der Masse zu unterscheiden ist gleichermaßen schwierig und wichtig. Das nur mit Grafik schaffen zu wollen ist, besonders am Ende der aktuellen Konsolengeneration, ist wahrscheinlich nicht der richtige Weg.
Veröffentlichungsdatum: bereits erschienen
Originaltitel: Crysis 3
Plattformen: PC, Xbox 360, Playstation 3
Genre: Shooter
Entwickler: Crytek
Veröffentlicht von: Electronic Arts
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