World in Conflict (Massive Entertainment)

Am Sterbebett eines Rockstars

World in Conflict (Massive Entertainment)

Titelbild

World in Conflict hat es nicht in den Club 27 geschafft und verbringt seine Tage seither an der Herz-Lungen-Maschine irgendwo zwischen Leben und Tod. PETER KLEMENT hat seinen alten Freund besucht, der auszog, um die Strategiespielwelt um Sturm zu erobern und vom Marketing die Bühne unter den Füßen weggezogen bekam.

Die Jungs von Massive Entertainment haben 2007 ein neues Genre erfunden und gleich den passenden Elvis ins Rampenlicht gestellt. „Strategiespiel“ bedeutete anno dazumal Basenbau, lange Matchsuchen, zähe Lernkurven und maximal vier gegen vier Spieler. Bis der junge Wilde World in Conflict die Genrekonventionen mit Füßen trat und eine gewagte Synthese aus RTS (Real-Time-Strategy) und FPS (First-Person-Shooter) schuf, die dem bleiernen Rhythmus des verkopften Strategiespiels das Feuer in die Knochen fahren ließ: Basenbau flog aus dem Fenstern. Serverstrukturen erlaubten jederzeit den Aus- und Einstieg in laufende Spiele, in denen sich maximal 16 Leute die Köpfe einschlagen könnten. Anstatt nach einem Match stundenlang über den Fehler zu grübeln, konnten die SpielerInnen einfach solange Fehler machen, bis sie das Spiel ganz natürlich drauf hatten. Das Problem der Multitaskingüberladung konterte der Rockstar elegant durch die Aufteilung in die Klassen Unterstützer, Panzer, Infanterie und Luftwaffe. Dadurch musste niemand mehr dutzende Einheiten und eine Produktionskette im Auge behalten, sondern konnte sich komplett auf die präzise Kontrolle von fünf oder sechs Einheiten konzentrieren. Dazu kam eine Art Facebook, in dem hervorragend Turniere organisiert und durchgeführt werden konnten. Doch der raffinierteste Kniff war die Einführung von „taktischen Hilfen“, die jeder Partie nach einem eher gemächlichen Intro ein unbarmherziges Tempo mitgaben, denn nichts dreht so schön eine verloren geglaubte Situation um wie eine Horde Erdkampfflugzeuge…oder eine taktische Atombombe.

»Bäng, Bäng, Bäng, Bäng, Feuer frei!«

World in Conflict funkionierte nach dem Schere-Stein-Papier-Brunnen-Prinzip: Helikopter schlagen Panzer, Panzer schlagen Luftabwehr, Luftabwehr schlägt Helikopter und Infanterie schlägt alles ein bisschen, ist aber langsam und schnell ausgeschaltet. Als leidenschaftlicher Unterstützer habe ich zahllose Stunden damit verbracht immer gemeinere Fallen für feindliche Hubschrauber zu bauen, Infanterie mit weißen Phosphor und Mörsergranaten auszuräuchern, die Kunst des Bauernopfers auf ein neues Niveau zu heben und mich irgendwann mit der Weltspitze in nervenzerfetzenden Turnieren zu prügeln. Ich weiß, das klingt alles ein bisschen nach Al Bundy und »Vier Touchdowns, in einem Spiel!« Doch World in Conflict war ein Spiel, das wie für mich gemacht war: Wenig Einheiten, klaren Rollen, kalter Krieg mit alle seinen Spielzeugen und ein Schlachtgetümmel, dessen grafische und akustische Pracht Tom Clancy auf Knien Rotz und Wasser heulen lassen dürfte. Panzerduelle, Hubschrauber auf Beutejagd, Artilleriebarragen und Kampfflugzeuge verwandelten bildhübsche Landschaften in pockennarbige Schrottplätze für Hightech-Spielzeug.

Die taktischen Hilfen, die man sich durch sinnvolle Spielaktionen erarbeiten konnte, waren die großen Gleichmacher: Als Panzerspieler ohne Unterstützer und Kampfhubschrauber rücken an? Rückwärtsgang, Nebelgranaten zünden und ein Jagdflugzeug mit Luft-Luft-Raketen anfordern, das den Luftspieler aus dem Himmel fegt.  Der jederzeit mögliche Aus- und Einstieg in laufende Runden ersparte mir die übliche und ziemlich nervige Lernphase. Anstatt nach einer 45 Minuten langen Partie im Replay nach dem Fehler zu forschen, lernte ich ständig neue Tricks im laufenden Spiel, die ich dann auch direkt anwenden konnte. Doch warum kann ich es nicht mehr? Die Antwort ist, dass World in Conflict wie kein anderes Spiel menschliche Gegner braucht, denn die Einzelspielerkampagne ist zwar gut gemacht, doch mit dem Multiplayer hat sie so gut wie nichts zu tun. Das ist so, als würde man die Heino-Version von MfG hören und behaupten, dass man Ahnung von den Fantastischen Vier hat.

»It’s better to burn out than to fade away«

Nur menschliche Gegner ließen dieses so verboten gute Spielsystem zu seiner Höchstform auflaufen, denn nur sie bauten mobile Hinterhalte aus mehreren Luftabwehrfahrzeugen, benutzen Abwehrmaßnahmen nacheinander, um immer eine Nebelwand für den Notfall zu haben, und warfen tatsächlich taktisch klug taktische Atombomben. Doch schon 2009 began der schleichende Tod von World in Conflict, denn immer mehr Spieler wanderten ab und das Entwicklerstudio wurde kurz nach dem Release des hervorragenden Add-Ons Soviet Assault von Ubisoft geschluckt. 2013 sind auf über 30 laufenden Servern, die jeweils Platz für 16 Spieler bieten, gerade mal 60 Spieler zu finden. Das schmerzt. Im Gegensatz zu Spielen wie Half-Life, die durch Projekte wie Black Mesa ein neues Leben eingehaucht bekommen, ist das, was World in Conflicht großartig gemacht hat, weiter gewandert zu anderen, vielleicht sogar grüneren, Gefilden. Selbst Youtube oder Replays schaffen es nicht das Spielerlebnis auch nur annähernd zu vermitteln. Ich hätte es World in Conflict zurückblickend gewünscht, dass es sich mit einem fetten Knall von der Bühne geschieden wäre, anstatt langsam zu verblassen und dazwischen noch über alle Grabbeltische der Elektro-Discounter zu wandern, bis hin zur Vollversion 2, sogar noch unter dem Landwirtschaftssimulator, in der COMPUTER BILD SPIELE für 5,80 €.
Unrühmliches Ende

Ach, Scheiße…

 

Veröffentlichungsdatum: Bereits erschienen

Originaltitel: World in Conflict
Plattformen: Windows
Entwickler: Massive Entertainment
Veröffentlicht von: Sierra Games/Ubisoft

Im Netz

Die offizielle Seite zu WiC
Der Entwickler
Der Trailer aus dem Artikel zu European Escalation

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