Was soll ich tun?

Was soll ich tun? – Eine Frage der Wissenschaft?

 

Gedanken zu Naturwissenschaft und Ethik

Das Wissen wird in der Gegenwart zunehmend differenzierter - gerade daher sind Grenzbestimmungen wichtig.
Das Wissen wird in der Gegenwart zunehmend differenzierter – gerade daher sind Grenzbestimmungen wichtig.

Wir leben in einer Zeit der Wissenschaftseuphorie. Man fragt sich ob es überhaupt noch Bereiche und Fragen gibt, in denen die Naturwissenschaft keine Antworten liefern kann. Solche gibt es – und sie sind nicht unwichtig.

 

Von Andreas Schuler

 

Die Wissenschaft wird früher oder später die Welt erklären und all unsere Fragen beantworten können – diese Annahme ist verbreitet. Sie bezieht sich meist auf den “harten Kern” der sogenannt naturwissenschaftlichen Disziplinen. Solch hohe Erwartungen tauchen nicht aus dem Nichts auf, und es handelt sich dabei keineswegs um eine unbegründete Naivität. Es ist tatsächlich erstaunlich, wie viele Probleme in letzter Zeit gelöst und wie viele Fragen beantwortet werden. Man hat zuweilen das Gefühl als sei es seine Frage der Zeit, bis die Naturwissenschaft alles aufgeschlüsselt hat, von unseren Gefühlen bis zur Funktionsweise unseres Denkens. Und doch gibt es Bereiche, in denen von Seiten dieser Disziplinen alleine keine Antworten zu erwarten sind. Einer dieser Bereiche ist die Ethik und damit Frage nach dem richtigen Handeln.

 

Sollen und Sein – ein wichtiger Unterschied

Dass ethische Fragen von naturwissenschaftlichen zu trennen sind, wurde und wird gerade in der Philosophie immer wieder betont. So unterschied Immanuel Kant die Frage “Was kann ich wissen?” strikt von der Frage “Was soll ich tun?”. In dieser Trennung steckt die Einsicht, dass sich die Feststellung “Gold hat 79 Protonen” fundamental von der Einsicht “Man soll niemanden töten” unterscheidet. Daraus wurde die Konsequenz gezogen, dass die beiden Arten von Aussagen nicht vermischt werden sollten. Besonders deutlich ist diese Folgerung beim schottischen Philosophen David Hume formuliert. Nach Hume ist es nicht möglich, vom Sein direkt auf ein Sollen zu schließen. Man gelangt also von der Feststellung, wie etwas ist, nicht direkt zu der Norm, was man tun soll. Einigkeit im Bezug darauf was ist zieht also nicht zwingend Einigkeit in der Frage was sein soll nach sich. So leiten Menschen aus der wissenschaftlichen Tatsache, dass gewisse Tiere Schmerz empfinden, ganz unterschiedliche moralische Normen ab nach denen sie ihr Handeln richten.

 

Die versteckte Norm

Der Grund für so unterschiedliche Normen ist ein Phänomen, das man als “versteckte Norm” bezeichnen kann. Oft glaubt man, eine Handlung alleine aufgrund von Fakten als richtig oder falsch zu beurteilen, obwohl in Wirklichkeit eine ethische Norm hinter unserem Urteil steckt. Man meint etwa gegen Tierquälerei zu sein, weil man weiß, dass Tiere dabei Schmerz empfinden. Tatsächlich reicht das Wissen, dass Tiere Schmerz empfinden für ein ethisches Urteil nicht aus. Man muss zusätzlich von der ethischen Norm ausgehen, dass Tieren kein Schmerz zugefügt werden soll. Dieses Phänomen lässt sich auch an politischen Debatten beobachten, wie beispielsweise der um die Todesstrafe,. Wissenschaftler könnten genauestens beschreiben was bei der Hinrichtung geschieht. Man könnte jedes kleinste Detail des Vorgangs sorgfältig beschreiben und analysieren. Trotzdem kann man sich wohl weiterhin uneinig darüber sein, ob die Todesstrafe gerechtfertigt ist oder nicht. Das liegt daran, dass man sich nicht bezüglich der wissenschaftlichen Fakten, sondern bezüglich einer ethischen Norm uneinig ist. Bezeichnenderweise leiden Diskussionen oft gerade daran, dass man sich über wissenschaftlichen Fakten streitet, obwohl der springende Punkt eine ethische Norm wäre. Es ist auch nicht ganz einfach über diese Normen zu debattieren. Dies liegt daran, dass man sich gewöhnt ist auf der Basis von wissenschaftlichen Fakten zu argumentieren. Ethische Normen lassen sich jedoch durch keine Statistik oder Untersuchung begründen.

 

Wertvolle Fakten

An dieser Stelle gilt es davor zu warnen aus dem bisher Gesagten falsche Schlüsse zu ziehen. Vor allem sollte man nicht darauf schließen, dass die Naturwissenschaft bei der Beurteilung von Handlungen keine Rolle spielt. Faktenwissen hat auch bei der Beurteilung von Handlungen seinen Platz. Man kann etwa die ethische Maxime vertreten, dass man keinem Wesen Schmerz zufügen soll. Diese Überzeugung nützt praktisch gesehen jedoch nichts, solange man nicht weiß welche Wesen Schmerz empfinden und welche nicht. Wissenschaftliche Erkenntnisse können unsere Beurteilung von Handlungen auch entscheidend verändern. Man denke etwa an Erkenntnisse über die Empfindsamkeit menschlicher Föten. Allerdings sagen einem diese Fakten alleine nichts über die Richtigkeit einer Handlung aus. Sie sind erst auf dem Hintergrund ethischer Normen und Überzeugungen aussagekräftig.

 

Verpflichtung zur ethischen Reflexion

Die Naturwissenschaft ist also notwendig, aber nicht ausreichend um menschliches Handeln zu beurteilen. Trotz  Fakten bleibt die Aufgabe bestehen, sich Gedanken über ethische Grundannahmen und deren Begründung zu machen. Wer sich solche Gedanken macht, merkt schnell, dass es sich um eine Fähigkeit handelt die geübt sein will. Sie ist jedoch gerade in einer Welt, in der die verschiedensten Überzeugungen aufeinanderprallen von zentraler Bedeutung. Ethische Reflexion wird uns weder von der Naturwissenschaft noch von der Technik abgenommen – sie obliegt jedem einzelnen. Auch wenn sie anstrengend ist, sollte man sie unbedingt auf sich nehmen.

 

 

 

Literatur zum Thema

 

Kant, Immanuel (1878): Schriften zur Metaphysik und Logik. Hrsg.: Weischedel, Wilhelm, Frankfurt a. M. 1977.

Humes, David (1739): A Treatise of Human Nature. Hrsg.: Fate Norton, David et al., Oxford 2009.

 

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