Anselm Neft: „Hell“
Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
Anselm Neft: „Hell“ (Roman)
Gewöhnlich sind wir sehr gut in der Lage, Träume von Wirklichkeit zu unterscheiden. Was geschieht jedoch, wenn die Grenzen verwischen, so dass wir am Ende selbst nicht mehr wissen, was real ist und was nicht?
Von Stefanie Feineis.
Auf den ersten Blick ist Thomas Hell ein ganz normaler 26-Jähriger: Intelligent, schlagfertig, ein Lebenskünstler. Doch die Fassade täuscht: Thomas hangelt sich von Job zu Job, ohne je wirklich zufrieden oder erfolgreich zu sein, die Beziehung zu seiner Familie ist nicht wirklich eng und die Freundschaft mit seinem einzigen Kumpel eher oberflächlich. Zudem trinkt Thomas zu viel, sein einziger Weg, mit seinem wahren Problem fertig zu werden.
Eine Liebesgeschichte?
Doch dann sieht es zunächst so aus, als würde sich für den ‚Loser‘ endlich einmal alles zum Guten wenden. Durch Zufall lernt Thomas die Informatikerin Sophie kennen und versteht sich auf Anhieb ausgezeichnet mit ihr. Wenig später bietet ihm Sophies Bruder Nikolai gar einen gutbezahlten Job in einer Consultingfirma an. Doch irgendetwas stimmt mit Sophie nicht. Sie geht zunehmend auf Distanz, und Thomas wird das Gefühl nicht los, dass sie ihm etwas verheimlicht; vor allem, nachdem er ihre sonderbare Mutter kennengelernt hat, die in einem total vermüllten Haus wohnt. Und auch Sophies Bruder stellt sich als durchaus merkwürdig heraus. Zwar möchte er unbedingt eine Freundschaft zu Thomas aufbauen, stösst ihn jedoch dabei mit seinen seltsamen Hobbies und makaberen Ansichten vor den Kopf.
Eine Flucht?
Dann verschwindet Sophie von einem Tag auf den nächsten, und Thomas startet eine verzweifelte Suche. Doch niemand kann ihm weiterhelfen – weder Sophies ehemalige Mitbewohner und Freunde, noch ihre seltsame Familie. Es scheint, als sei gemeinsam mit Sophie auch Thomas‘ Halt in der Realität verschwunden. Er verliert seinen Job, und als sein Vater überraschend an Krebs stirbt, flüchtet sich Thomas in ein kleines Ferienhaus, das er geerbt hat. Doch hier, mutterseelenalleine in einem abgelegenen Dorf, wird alles nur noch schlimmer. Bald findet sich Thomas nach dem Einschlafen an einem Platz wieder, den er noch von früher kennt, aber niemals wiedersehen wollte: einem riesigen, sonderbaren Kaufhaus. Kann er hier vielleicht Sophie wiederfinden? Je tiefer Thomas in das Kaufhaus vordringt, desto realer erscheint es ihm, und desto unwirklicher wird alles andere. Und dann entdeckt er auch noch Hinweise, dass sowohl in seiner als auch in Sophies Familie vieles nicht so ist, wie es scheint – aber wie real sind diese Hinweise?
Eine Metapher – aber für was?
Was wie eine Liebesgeschichte beginnt, verwandelt sich schnell in einen Art Krimi um dunkle Familiengeheimnisse, und schliesslich in eine fast philosophische Geschichte, die existenzielle Fragen aufwirft. Klar wird ziemlich schnell, dass das Kaufhaus ein Symbol für etwas sein muss. Doch für was? Ist es eine Parodie auf unsere Konsumgesellschaft? Ein Sinnbild für den Verstand, und was passiert, wenn man unter einer psychischen Krankheit leidet? Für das letztere würden die verschiedenen Stockwerke und das Untergeschoss sprechen, in das sich der Held hinabbegibt – schliesslich ist das Haus – und vor allem der Keller – schon seit C.G. Jung ein Bild für das Unterbewusste. Andererseits ist da die Tatsache, dass das Kaufthaus neun Stockwerke hat, was an die neun Kreise der Hölle in der „Göttlichen Komödie“ erinnert – genauso wie der Nachname des Protagonisten. Andererseits bedeutet ‚hell‘ ja nur im Englischen „Hölle“, im Deutschen dagegen hat das Wort eine positive, ‚lichte‘ Konnotation. Ganz sicher möchte uns der Autor etwas veranschaulichen, aber was genau? Vielleicht ist es ein bisschen von allem, vielleicht soll es aber der Interpretation des Lesers überlassen bleiben.
„Hell“ ist kein Krimi und kein Thriller, sondern eher ein sehr ungewöhnlicher Roman, der mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet.
Titel: Hell
Autor: Anselm Neft
Verlag: Satyr Verlag
Seiten: 256
Richtpreis: 28.40 CHF