„Biba la revolution!“

„Biba la revolution!“

Simon Solbergs Inszenierung von „Der Park“ – ein Erfahrungsbericht

biba la revolution III

Simon Solberg ist, seit Stefan Bachmann gegangen ist, einer der Regisseure, die wieder etwas taugen. Das sage zumindest ich, der ich von Theater etwa so viel Ahnung habe wie Che Guevara von Politik. Aber kämpfen können sie beide – und beide so scheint mir haben sich der Revolution verschrieben, jeder auf seine Weise.

Von Christoph Andreas Schmassmann

Seit ich 2010 die Inszenierung von Schillers „Die Räuber“ gesehen habe, lässt mich Simon Solbergs Stil nicht mehr los. „Ist das noch Schiller?“ wird im Stück selber schonungslos polemisiert und ich muss zugeben: viel Schiller war nicht übrig. Doch was für eine Energie, welch bahnbrechendes Feuerwerk bordete da mir über die Rampe entgegen. Ich sehe mir in der darauffolgenden Spielzeit  seinen „Graf Öderland“ an, in dem er Max Frischs „liebstes Stück“ interpretiert und bin beeindruckt – da sprüht es von Revolution und Subversion, den riots und underclass. „Der Volksfeind“ aus der Feder von Hendrik Ibsen wird in der Folge ebenso zu seinem Spielfeld, auf dem beispielweise die Komplexitätslüge schonungslos entlarvt wird: ihr zufolge geraten wir alle, die wir nur allzu gerne die Hände in den Schoss legen und unser Schicksal delegieren, in Erklärungsnot. Denn so komplex ist die Gemengelage von verfilzter Wirtschaft und korrupter Politik eben nicht, als dass der einzelne nichts dagegen tun könnte. Das wird einem einmal in all seiner Deutlichkeit vor Augen geführt und ich bin baff und gehe aufgewühlt und durcheinander nach Hause. In der darauffolgenden Spielzeit wird Simon Solberg Ko-Direktor der Sparte Schauspiel am Theater Basel. Und so ist es naheliegend,  mich auf eine Hospitanz bei seiner Inszenierung von Gabriel Vetters „Der Park“ zu bewerben – und wie es der Zufall will, werde ich prompt genommen. Das Stück ist im Rahmen eines Förderprogramms für junge Schweizer Dramatiker entstanden, bei dem Gabriel Vetter in die Rolle des Hausautors schlüpfte. Das Resultat ähnelt einer beschwipst beschwingten Posse und lässt sich durchaus in eine Reihe mit Szenarios des Theater des Absurden stellen – inklusive subversivem Biber.

Der Einstieg – ein Ausstieg?
Doch als ich in der zweiten Woche schliesslich über die Abendproben in meine neue Rolle einführt werde, merke ich schnell – von dem eigentlichen Stück ist nicht mehr viel übrig. Und so bin ich froh zwischen den täglich wechselnden Fassungen ein Original hervorzuziehen, das ich in meiner Tasche verschwinden lasse. Schön brav sind darin die einzelnen Szenen zu einem in sich stimmigen Arrangement verknüpft – es rührt etwas in einem und regt zum Nachdenken an. Das alles in einer Sprache, die sich sehen lassen kann und vor Wortwitz und Einfällen nur so sprüht. Doch was damit auf den Proben geschieht, scheint mir zunächst völlig unglaublich: Kein Satz bleibt auf dem anderen, vielmehr wird erprobt und mundgerecht zurechtgestutzt was der Text an Sprach-Material liefert. Ganze Szenen werden grosszügig zusammengestrichen oder ganz weggelassen. Was sich schliesslich aus dem eigentlichen Stück herausschält, ist eine neue und ganz eigene Partitur, in der zunächst aufgebrochen und dann zusammen geschnitten wird, was der Text an Inhalten hergibt.

Intermezzo
Und so bin ich ein ums andere Mal entzückt irritiert, was da vor meinen Augen geschieht: das ist gelebte und vorgeführte Dekonstruktion in Reinkultur. Was in ungefähr so viel heissen soll wie, dass das, was einem an Festem und Greifbarem zunächst geboten wird, überführt wird in einen dynamischen Strom der Ereignisse, das Werk wird Prozess und zunächst einmal beweglich gemacht, dann aufgebrochen, was natürlich ein Moment der Destruktion mit sich bringt, aber in sich eben doch so ernst genommen, dass sich das Eigentliche und Ursprüngliche immer noch mittransportiert in die neue Form. Ist das noch Gabriel Vetters Stück „Der Park“? Ja, einfach in einer Inszenierung von Simon Solberg. Und so schwingt bei aller Destruktion immer auch ein nicht zu unterschätzendes Moment der Konstruktion mit – eine konstruktive Kritik am Werk sozusagen. Die Schrift wird gewissermassen zum Leben erweckt – neu probiert und ausgeführt auf etwas zu, das nur noch eines, aber zentral wichtiges zurücklässt: den Moment, als alles in sich zusammenstürzt und das Gebäude des Scheins aufbricht  – auf das arbeitet alles gemeinsam hin, auf das zielt alles ab – während  das Ganze in seiner Absurdität noch verschärft und auf die Spitze getrieben wird: von Traumsequenzen untermalt, in denen die menschlichen Abgründe aufbrechen.

 

Scan AI

 

Das Resultat
Und so werden Figuren gezeichnet, die ihre Bögen durch und über das Stück schlagen, die sich zunächst eine Fassade aufbauen und zu halten versuchen, die zum Schluss schonungslos aufbricht, sich qua Sprache und im Strom der Ereignisse selbst entlarvt und nicht mehr zu halten ist. Ein Bühnenbild, welches zunächst als eine wunderbar abgerundete Oberfläche einer Szenerie erscheint, wird in diesem Zuge ebenso aufgebrochen – das Innen quasi nach aussen gedreht an die Schmerzgrenze des Zuschauers heran, so dass man mit einem Mal das eigene Innenleben und die heimlichen Stützpfeiler vorgeführt bekommt, wie sich die Figuren im Verlaufe das Stückes von aussen nach innen drehen und dieses Innen mit einem mal schonungslos aus ihnen hervorbricht.  Das alles untermalt von einer Live-Musik die tief bewegt und berührt. Und was trägt das Stück, den Plot und letztlich die wesentlichen Wendungen? – im Schall der Dekonstruktion: „Biba la revolution!“ Besser hätte man es nicht machen können – zumindest wenn es das Ziel war etwas vorzuführen, was uns allen ein Stück weit unserer Welt der Bilder und Oberflächen abhanden zu kommen scheint: dass wir in den Oberflächlichkeiten wieder eine Tiefendimension eröffnen. Um uns und in uns.

 

Im Netz
www.tageswoche.ch

Christoph Schmassmann

Hat Literatur und Philosophie an der Universität Basel und Theater an der Universität in Bern studiert - zur Zeit ist er als Lehrperson für Deutsch und Philosophie tätig und verfasst regelmässig Beiträge für verschiedene Magazine und das Radio. Daneben verfolgt er eigene Kunstprojekte und hat Theaterstücke, lyrische Texte und Hörspiele veröffentlicht.

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