Kornél Mundruczó „Hard to Be a God“ | Schiffbau/Halle, Zürich

Sex, Jeans und Politik

Ein Beobachter von einem anderen Stern entführt das Publikum in die tiefen, tiefen Abgründe der globalisierten Neuzeit: Kornél Mundruczós “Hard to be a God“ zeigt die gewalttätige, schonungslose Realität vier junger Frauen, die in die Fänge von Menschenhändlern geraten sind.

Von Tamara Schuler.

Das beklemmende Thema Menschenhandel wird, obwohl durchaus auch ein europäisches Problem, hierzulande leicht vergessen. Umso einleuchtender und wichtiger wird damit das Gastspiel des ungarischen Proton Theatre im Rahmen der Theater- und Vortragsreihe “Arm und Reich“: Während eines Monats wird im Schiffbau rund um das Schlagwort “Ungleichheit“ gespielt, doziert und diskutiert.

In “Hard to Be a God“ wird ein gottähnlicher Beobachter von einem anderen Planeten auf die Erde geschickt, um die Spezies Mensch zu erforschen. Dass er dabei ausgerechnet an eine Gruppe roher Gangster gerät, die junge Frauen zur Prostitution zwingen, mag Pech sein. Eingreifen dürfte er eigentlich – Befehl von oben ­­– trotzdem nicht. Doch bereits zu Beginn holt der Doc (Zsolt Nagy) das Publikum vor dem Hintereingang der Schiffbauhalle ab und beteuert, blutverschmiert, was da drin passiert ist, sei nicht seine Schuld. Mit dem Eintritt in die Halle wird der Zuschauer in der Zeit zurückversetzt, um die Geschehnisse der letzten Stunden noch einmal mitverfolgen zu können.

Stöhnende Fleischschau
Was dann kommt, ist heftig: Der unternehmerische Attila (Gergely Bánki) hält sich in einem Lastwagencontainer vier junge ungarische Frauen. Tagsüber nähen sie an klapprigen Nähmaschinen falsche Markenjeans, abends müssen sie sich prostituieren. Doch Attila und seine Kumpels haben noch mehr vor: Der aufgedunsene Károly (Roland Rába) musste als Junge mitansehen, wie sein Vater seine Schwester vergewaltigte. Diese starb daraufhin bei der Geburt ihres Kindes und wurde vom Vater in der Erde verscharrt. Dass dieser Vater mittlerweile ein hochrangiger EU-Parlamentarier ist, will sich Károly zunutze machen: Neben der persönlichen Rache will er so auch gleich einen wahnhaften Krieg, eine europäische Revolution anzetteln.

Das Leben ist grausam
Károly will deshalb ein pornografisches Video drehen, welches die Gräueltaten des Vaters nachstellt. Doch dabei läuft so einiges schief: Zunächst wird eines der Mädchen (Diána Magdolna Kiss) vom Sadisten Omar (László Katona) so schwer mit heissem Wasser verbrüht, dass sie zu sterben droht. Mami Blu (Annamária Láng), die selbsternannte Puffmutter des Lastwagens, ist über die “bleibenden Schäden“ dieser Aktion zwar alles andere als erfreut, stellt sich aber dennoch auf die Seite der Stärkeren – der Männer. So kommt halt Andrea (Kata Wéber) zum Einsatz – der durch die Rücksichtslosigkeit der Grobiane prompt der Hals gebrochen wird. Als Mami Blu den offensichtlich geistesgestörten Károly mit vollem Körpereinsatz und seinem Pass als Pfand zu einer Hochzeit überredet, und die schwangere Emőke (Orsi Tóth) als dritter weiblicher Ersatz vor die Kamera soll, wird es dem beobachtenden Doc zu viel: Er bringt kurzerhand Mami Blu, Károly und Attila – die Bösen der Geschichte – zur Strecke und lässt die überlebenden Mädchen zusammen mit dem alten Aufpasser János (János Derzsi) zurück ins Heimatland fliehen.

Bewusstseinserweiterndes Home-Video
Eines ist dem Zuschauer von Beginn weg klar: “Hard to Be a God“ ist Kunst, die nicht gefallen will: Da ist viel nackte Haut, Theaterblut und schockierende Szenen, wie beispielsweise eine angedeutete Abtreibung, ausgeführt mit der Drahtspeiche eines Regenschirmes. Diese Brutalität wird kontrastiert durch Gesangseinlagen und Seifenblasen – und gerade dadurch vermag dieses Stück durchaus auch ein gewisses Mass an (Galgen-)humor beizubehalten.

Insgesamt ist “Hard to Be a God“ eine gelungene Darbietung: Der Einsatz und das Schauspiel der Profi- und Amateurschauspieler ist faszinierend (besonders eindrücklich: Annamária Láng und Orsi Tóth), und das Bühnenbild (Márton Ágh) brilliert durch Details: Durch den Querschnitt des Camions zieht sich eine triste Wohnwelt: Wacklige Hochbetten, aufgestapelte Kartonschachteln, zerschlissene Stofftiere und eine exponierte Toilette sind auf engstem Raum arrangiert. Zusammen mit den auf Leinwände und Bildschirme projizierten Videoaufnahmen ergibt sich so ein düsteres Schauermärchen, welches hoffentlich das Bewusstsein der Zuschauenden für das Problem Menschenhandel zu schärfen vermag.

 

Weitere Vorstellung am 24. Mai 2013 (in ungarischer Sprache mit deutschen Übertiteln)
Dauer: 1h 45 Minuten

Besetzung
Gergely Bánki, János Derzsi, László Katona, Diána Magdolna Kiss, Annamária Láng, Zsolt Nagy, Roland Rába, János Szemenyei, Orsi Tóth, Kata Wéber

Regie
Kornél Mundruczó

Im Netz
www.schauspielhaus.ch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert