Ein kurzes Gespräch über James Camerons Aliens

Alienating Point of Views

Aliens

Apropos rein gar nichts: RUDOLF INDERST beantwortet CHRISTOF ZURSCHMITTENS dringende Fragen zu James Camerons Aliens und dazu, warum eigentlich niemand an den armen Riesen denkt, auf dessen Schultern Riesen stehen. Plus: Gedanken über Sonny Chibas Alterswerk.

Dr Inderst, calling Dr Inderst!

Vor, in Internetzeit gemessen, unendlich langer Zeit, war da dieser Kommentar, den ich auf nahaufnahmen.ch hinterlassen habe. Ein Kommentar, aus Irritation geboren, der Irritation nach sich ziehen sollte. In Kürzestform lautete er in etwa so:

“Gears of War” und Konsorten sind zwar keine Fortschreibung von “Aliens”. Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie den Abstand gesehen haben, den “Aliens” zu “Alien” eingenommen hat, und der dadurch markierten Linie blindlings, oder konsequent, weiter gefolgt sind. Dass da mal was anders war (nicht zuletzt Menschen, die draufgehen), scheint man dabei, euphorisiert vom exzellenten Handwerk, der Materialschlacht und dem Klingeln in den Ohren, übersehen und überhört zu haben. Das kann man Cameron natürlich nicht zum Vorwurf machen (auch wenn es seine Schwerpunktsetzung natürlich, wenn auch aus der Balance gekippt, widerspiegelt) — aber es prägt halt doch die heutige Sicht auf seinen Film, der durch das Prisma aller Nachfolger, Nachahmer und Bewunderer gebrochen zumindest auf mich schlicht… nicht unbedingt verbrauchter, aber doch historischer wirkte als sein Vorgänger. Wie ein Urknall, der aber paradoxer Weise beinahe verhalten klingt neben all den Explosionen, die aus ihm folgten.

Die gesamte Welt scheint sich einig zu sein, dass ich falsch liege. (Die gesamte Welt war sich nicht zu schade, mich ein Arschloch zu schimpfen.) Herr Inderst, Sie sind der Mann, dem die Verwirrten vertrauen! Sie sind jemand, der „Aliens“ einmal zu einem der besten aller Zeiten gekürt hat. Können Sie mir helfen?

Warum bin ich mit Blindheit geschlagen? Was ist es, das „Aliens“ in den Augen der gesamten Welt so wertvoll macht, dass sie glaubt, verteidigend vor meine Türschwelle zu defäkieren müssen? Dabei sage ich ja nicht, dass ich rein gar nichts sehe. Ich sehe: Einen Meilenstein des Action-Kinos. Der aber, gerade weil so viele dem von ihm markierten Weg gefolgt sind, etwas zurückgelassen wirkt. Ist diese Sicht wirklich derart unerhört? Ist dieser Film unantastbar?

Dr Inderst, helfen Sie mir!

badass

Lieber Christof,

das Thema bewegt Dich offensichtlich! Ich will versuchen, eine Antwort zu geben.

Ich kann nicht leugnen, dass der „Film“ „Aliens – Die Rückkehr“ sehr tief in meiner Jugend verwurzelt liegt. Warum setze ich „Film“ in A.Z.? Ganz einfach, ich sah etwa 10 Minuten davon (ich glaube, SAT 1 zeigte ihn seiner Zeit). Dann erwischten mich meine Eltern und brachten mich eigenhändig ins Bett. Für mich, der ich den Vorläufer gar nicht kannte (das Prinzip „Fortsetzung“ sowieso nicht), war das der Beginn einer Fantasiewelt. Wie mochte die Geschichte wohl weitergehen? Welchen Gefahren sah sich die Frau wohl später ausgesetzt. Und wie sehen die „Aliens“ eigentlich aus? Das alles beantwortete sich erst ein paar Jahre später. Mit 14 kaufte ich einen UK-Importtape: „Aliens“ (angeblich hieß der Film NUR in der DDR „Alien 2“!).

Bis heute ist „Aliens“ der einzige Film, bei dem ich mir die Mühe mache zu zählen, wie oft ich ihn sah. Es sind bis heute genau 87 Mal. 87 Mal. Wie Du gesehen hast, rangiert er recht weit oben in meiner All-Time-Favorite-Liste. Über das Filmdesign, die Kostüme, das Make-up und die Setbauten wollen wir nicht streiten? Das trifft sich gut. Es ist derart stimmig, dass es mir unheimlich in seiner Perfektion ist. Wegweisend. Maßgeblich inspirierend. Legendemhaft. Und zeitgleich selbst inspiriert, nutznießend – das übermächtige Erbe des Technoir-Vorgängers auf den Schultern. Schwer atmend.

Und dann ist da Cameron der Erzähler. Der Erzähler ist abgebrüht, ist routiniert. Wie kann das sein? Ist das nicht derselbe Regisseur, der „Terminator“ zusammenstöpselte wie ein unlauniger Straßenarbeiter Schlaglöcher nach einem harten, langen Winter? Offensichtlich. Er führt seine Figuren durch so viele Geburtskanäle oder sind es Tunnel, an deren Ende KEIN Licht wartet. Er zeigt uns 1986 Space Marines. Scott zeigt uns 1986 Soldaten in „Top Gun“. Genau so cool. Und erfolgreich. Mit One Linern! „I feel the need, the need for speed.“ What do those marines feel? Den Atem der schmierigen Nativen. Sie, die die Kolonisten durch ihre Urmutter auslöschen, nein viel mehr, aushöhlen und missbrauchen – I rape the F5 Taste und löse einen Shitstorm aus. Jetzt schreibe ich wie ein modernes Theaterstück.

Sie sind nun viele. Sie sind nicht Borg, aber sie vereinnahmen Dich. Stellen Dir Fallen…

Hudson: 9 meters. 7. 6.
Ripley: That can’t be; that’s inside the room.
Hudson: It’s reading right man, look!
Hicks: Then you’re not reading *it* right.
Hudson: 5 meters, man. 4. What the hell?

Cameron, Du Hundesohn, Du ziehst jedem Seher die Zähne, wie getim(e)t kann Spannung noch sein? Feuergefechte. Feuergefechte, wie ich sie noch nie sah. Feuergefechte, die James Horner zu einer Explosion im Hirn machen.

You know, Burke, I don’t know which species is worse. You don’t see them fucking each other over for a goddamn percentage. – Verwichstes Wallstreet-Arschloch. 2007 ist Deine Schuld. Kann man das so posten?

AliensNewt

Lieber Herr Dr Inderst,

kann man posten. Muss man posten. Danke für eine so opake wie erhellende Antwort.

Ich beginne zu verstehen. Über die Qualität dessen, was ich in meinem Kommentar plump das „exzellente Handwerk“ genannt habe, sind wir uns einig. Kompliziert, und zu diskutieren, wäre allenfalls die Frage, wie es bestellt ist mit „Cameron, dem Erzähler“.

Ich sehe meinerseits, nicht ganz wider Willen, immer auch den anderen Cameron. Denjenigen, der nicht versteht, warum mehr nicht immer mehr ist. Warum Ripley nicht Heldin und Frau sein kann, ohne Mutter sein zu müssen. Oder vielleicht sehe ich (der Blick verschwimmt mir ständig)  in „Aliens“ auch nur bereits den Mann, der mehr als zwanzig Jahre später jeden Anstand fahren lassen wird, wenn ihn eine Journalistin fragt, ob „Avatar“ von „Pocahontas“ inspiriert gewesen sei.

I can’t unsee it now, wie man so sagt. Mein Fehler. Ich kann meine Augen nicht davor verschliessen, dass New Hollywood sich in „Alien“ ein letztes Mal aufbäumt in der dunkelsten und schmudeligsten Ecke des Genre-Kinos, und „Aliens“ sich in diese nur traut unter dem Licht des Mündungsfeuers einer M41A. Ich kann nicht wegsehen, wenn die Schüsse den maroden Körpers New Hollywoods streifen, und am Ende die „Gears of War“ auf seiner Asche Sackhüpfen spielen.

Ich sehe all das, und ich werde „Aliens“ nie sehen können, wie du ihn siehst. Aber ich kann nichtsdestoweniger sehen, was du darin siehst.  I see what you did there.

Oder anders: Geoff Dyer hat in seiner buchlangen Liebeserklärung an Tarkovskis „Stalker“ die richtigen Worte gefunden um zu beschreiben, wieso ein Film für ihn so wichtig sein konnte, und warum nach ihm, one moment in time, niemand mehr kommen kann:

I saw it, so to speak, live. […] So much so that the film I saw was slightly different from the one that a twenty-two year-old would see now, in 2012. […] The thing, the product, the work of art stays the same but by staying the same it ages — and changes. It exists now in the wake of its own reputation […], trailing clouds of its own glory. And it exists also in the wake of everything that has come in its wake, both the films that have been influenced by it (that’s why Citizen Kane is both ageless and incredibly old-looking; practically everything seems to have come after it) and the ones that treat it with tacit disdain and contempt.

Ich werde „Aliens“, sozusagen, nie live sehen können. Was ich versuchen kann und will, ist es, den Einfluss zu sehen, und über den disdain und contempt gegenüber dem, was nach ihm gekommen ist, hinwegzublicken.

Das ist vielleicht hart, und es ist mit Sicherheit nicht viel. Aber schätze, es ist trotzdem ok. Und du, du solltest dich glücklich schätzen, dass du da warst, als es zählte.

PS Allerdings muss man sich auch mich nicht als unglücklichen Menschen vorstellen. Ich hatte mein „Aliens“, verstehe ich nun: Es war eine bis in den Grünstich getriebene VHS-Kopie der zweiten Hälfte eines japanischen Films über Samurais. Sie hätten gegen „Aliens“ keine Minute durchgestanden. Es war ein Film, der kaum bemerkenswert ist. Es war ein Film, der für einen kurzen, aus der Zeit gefallenen Moment, alles war.

J-Rock-Gitarren, irritierende blonde Kinder — wahre Liebe steht über diesen Dingen, und sie dauert ewig.

One thought on “Ein kurzes Gespräch über James Camerons Aliens

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