„Listen“ von Kinsun Chan und Theatertraum | Tanzhaus Zürich
Eine wortlose Welt voller Sprache
Der kanadisch-schweizerische Choreograph Kinsun Chan realisierte zusammen mit 11 Tänzern, von denen 6 gehörlos oder schwerhörig sind, ein Stück geboren aus den Zeichen der Gebärdensprache. Live unterlegt von den Klängen des Komponisten und Perkussionisten Fritz Hauser wurde man in eine Welt entführt, deren Sprache man nicht spricht aber trotzdem versteht.
Von Daniel Riniker.
Es erstaunte nicht, dass sich im Foyer des Tanzhauses gebärdete und gesprochene Sprache ungefähr die Waage hielten, wenn die Gehörlosen Schauspieler des TheaterTraums eine Premiere feierten. Jedoch drängte sich angesichts der überall fliegenden Hände die Frage auf, ob man als Hörender an diesem Abend im Tanzhaus nicht an einer Sprachbarriere zu scheitern drohe. Dies war jedoch nicht der Fall, denn der Choreograph Kinsun Chan und seine Darsteller liessen das Publikum, ob hörend oder taub, nicht im Stich, sondern kommunizierten auf vielfältigste Weise in der universellen Sprache des Körpers, des Ausdrucks, des Tanzes. Obschon das Stück „Listen“ hiess, galt für den Zuschauer im Saal die Devise „See“.
Gebärdensprache als Grundlage
Mit „Listen“ bringen hörende und gehörlose Tänzerinnen und Tänzer ihre Nöte und Gedanken, Themen wie Leidenschaft, Zusammenleben, Hoffnungslosigkeit und vieles Weitere auf die Bühne, ohne auf das gesprochene Wort zurückzugreifen. Dieser Umstand ist es auch, welcher es verunmöglicht, an dieser Stelle eine Präzisierung des Inhalts vorzunehmen, zumal es oft dem Zuschauer überlassen war, was er oder sie mit dem Gezeigten anfangen wollte. Besonders für jene, die der Zeichensprache nicht mächtig sind, keine andere Wahl hatten als zu interpretieren, was sie nicht verstanden, war der Spielraum gross. Folgen davon waren aber nicht Unverständnis und Verwirrung, sondern vielmehr gewannen die Choreographien dadurch an Offenheit und Vielschichtigkeit. Bald gab man es auf, Gebärde, Tanz und Pantomime voneinander trennen zu wollen, sondern akzeptierte und genoss eine Darbietung, die fremdartig und doch verständlich, vielseitig und mit feinem ästhetischen Sinn inszeniert war. Choreographien der Gruppe wechselten sich mit Soli und Einlagen von zwei oder drei Tänzern ab, wobei die Bandbreite der umgesetzten Themen und Formen erfreulich war. Man gab alles vom einfachen Darstellen der Morgentoilette über unerfüllte Reise- und Liebeswünsche bis hin zum rituellen Paarungstanz, der beinahe schon an „Sacre du printemps“ erinnerte.
Der Hohepriester des Klangs
Wie es einem Stück gebührt, welches so sehr über den visuellen Kanal zu funktionieren hat, war auch das Bühnenbild eine Augenweide. Es handelte sich dabei lediglich um zwölf verschieden grosse, würfelförmige „Matroschkas“ aus Holz, welche auch als Trommeln dienten. Kinsun Chan verstand es, unter anderem auch durch geschickten Einsatz des Lichts diese unscheinbare Würfel als konstruktivistische Plastiken zu inszenieren.
Einen grossen Anteil hatte auch der Perkussionist Fritz Hauser, dessen Rhythmen die einzige klangliche Unterstützung des Stücks waren. Mitten im Geschehen auf der Bühne trommelte er mit solcher Präzision und sensiblem Sendungsbewusstsein, dass ihm wohl hin und wieder mehr Aufmerksamkeit zugetragen wurde als beabsichtigt, wenn er wie ein Hohepriester des Klangs ein Furioso begann.
So vermochte „Listen“ trotz einiger Längen durch seine Vielseitig- und Schichtigkeit zu überzeugen und “TheaterTraum“ hatte sein Ziel, „die Welt der Gehörlosen und der Hörenden“ zu verbinden erreicht. Wer anwesend war, hatte viel begriffen, ohne alles verstehen zu müssen, denn an diesem Abend wurde eine Sprache ohne Worte gesprochen und mit oder ohne Gehör wahrgenommen.
Besprechung der Premiere vom 27. Juni 2013.
Tanz: Corina-Arbenz-Roth, Edgar Barão, Sarah Braschler, Michał Czyż, Tiago Gomes, Cibylle Hagen, Ibis Hernández, Wencke Kriemer de Matos, Reinier Powell, Beatriz Selinger, Janine Trachsel
Konzept, Choreographie, Regie: Kinsun Chan
Musik: Fritz Hauser
Bühnenbild: Peter Burkhardt
Kostüme: Anna Schnyder
Technik, Licht: Martin Burkhardt
Gebärdensprach-Coach: Katja Tissi
Gebärdensprachdolmetscherinnen: Corinne Leemann, Pierina Tissi,
Luzia Manser u.a.
Produktionsleitung: Ruedi Graf
Partner: Procom Dolmetschdienst, Zentrum für Gehör und Sprache Zürich